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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

buchstäblich wahr. Jacques Simon war als sechszehnjähriger Knabe nach Paris gekommen, hatte anfangs als Maurergehiilfe sich durchgeschlagen, wurde später Ausläufer bei einem Bankier, las viele Schäferromane, träumte von Menalkas, Tityrus, Damötus, Mopsus, Alphesiböus, Daphne, Chloe, Phyllis und wie sonst die Helden und Heldinnen heißen, die seit Theokrit und Virgil bis auf Geßner und Florian in allen Idyllen auftreten, und führte eines Tages eine Chloris heim, deren Augen sein Herz entzündet hatten. Nach zehn Monaten kam seine Gattin mit Zwillingen in die Wochen. Das war kein doppeltes Glück, sondern ein zweifaches Unglück, da Simon viel Mühe hatte, sich und sein Weib zu ernähren. Ein härterer Schlag sollte ihn ein Jahr später treffen. Die fruchtbare, ich hätte fast gesagt: die furchtbare Frau Simon wurde nämlich von Drillingen entbunden. Die Wöchnerin und die Kleinen waren sehr schwach, und da der Arzt den Genuß von Ziegenmilch anrieth, machten die Frauen aus der Nachbarschaft der armen Familie zwei Ziegen zum Geschenke.

Die Mutter starb jedoch bald mit den drei Neugeborenen und ließ Jacques Simon mit den Zwillingen und dem Ziegenpaar zurück. Simon miethete einen Speicher, wo er die Ziegen unterbrachte, deren Milch nun die Damen aus dem Stadtviertel abkauften. Die Zunahme seiner Kundschaft erforderte eine Ausdehnung seines Geschäfts. Sobald er nun eine genügende Summe zurückgelegt hatte, schaffte er sich eine neue Ziege an, bis er nach und nach eine vollständige Heerde auf dem Speicher hatte. Jeden Tag trieb er, als Schäfer gekleidet, seine Lieblinge aus, von denen jede ihren eigenen Namen trug. Seit einiger Zeit ist er und das Haus und die Straße verschwunden. Die Nachbarschaft wird aber nicht sobald den harmlosen Mann und seine Heerde vergessen, die jeden Tag fünf Treppen herabsteigen mußte, um frische Luft zu schöpfen. –

Ebenso ist Hunden und Katzen ein wichtiger Platz im Pariser Thierleben zugetheilt. Die ersteren sind in allen Racen und Spielarten vertreten. Besonders reich ist Paris an Luxushunden, und ich sah vor Kurzem auf dem Schooß einer Dame ein Havaneserhündchen, für das man ihr zweitausend Franken geboten hat. Die unnützen Bestien werden immer am theuersten bezahlt. Wie die Pferde werden auch die Hunde auf einem Markte, der sich auf dem Boulevard de l’Hôpital befindet, zum Verkauf ausgestellt. Dieser Markt wird auch wohl von vornehmen Damen besucht. Eine ganz eigenthümliche Industrie macht den Pariser Hundebesitzern viel Sorge. Nirgendwo nämlich ist die Hundedieberei so systematisch ausgebildet, wie in der Hauptstadt Frankreichs. Die Hundediebe bedienen sich zur Ausführung ihrer sträflichen Absichten eines unfehlbaren Mittels. In einem Zwerchsack, den sie auf dem Boden nachschleichen lassen, haben sie gewisse Substanzen versteckt, deren Geruch jeden Hund unwiderstehlich anzieht. Das Thier folgt dem Verführer, der, an einem einsamen Ort angelangt, es, wenn es zur ordinären Race gehört, sogleich abmurkst, wenn es aber ein Luxushund ist, lebend in den Zwerchsack steckt. Das Fett des getödteten Hundes wandert in die Fabrik, wo es in Thierschwärze verwandelt wird; was den Luxushund betrifft, so späht der Dieb im Stadtviertel herum, wo er den Diebstahl begangen, und sobald er an einer Ecke einen Zettel gewahrt, der in großen Buchstaben eine Belohnung dem redlichen Finder des verlorenen und genau signalisirten Hundes verheißt, übergiebt er das vierfüßige Corpus delicti einem seiner Freunde und Mitstrebenden, der sich beim Eigenthümer als redlicher Finder einstellt, die Belohnung in Empfang nimmt und mit dem Diebe theilt.

Die Katze ist das Lieblingsthier der Pariser. Die Pariser Katzen gehören fast sämmtlich der Angorarace an, sind von außerordentlicher Größe und nehmen sich mit ihrem langen seidigen Haar sehr stattlich aus. Sie sind auch viel sanfter als die deutschen Katzen und fehlen in keinem Pariser Hause. Man findet selten eine Concierge-Loge, die nicht eines dieser Thiere beherbergte. Sie werden ungemein verhätschelt, sind aber doch nicht sicher, eines natürlichen Todes zu sterben. Wenn die Nacht mit ihrem Sternenmantel die Erde umhüllt, lauert auf sie der schnödeste Verrath. Gar mancher hoffnungsvoller Kater verläßt die angenehme Zimmerwärme, um ein Schäferstündchen zu feiern, zahlt aber seinen kurzen Liebeswahn mit seinem Leben. Es giebt nämlich in Paris Individiuen, die von der Katzenjagd leben. Jeden Abend gehen sie, von einem zu dieser Jagd wohlabgerichteten Hunde begleitet, durch vereinsamte Straßen, und wo sich eine Katze blicken läßt, wandert sie schnell in’s Jenseits. Ihr Fell wird dem Kürschner verkauft; die anderen sterblichen Ueberreste werden zu irgend einem Speisewirth im Faubourg getragen, der sie seinen Gästen in einer unbeschreiblichen, reich mit Zwiebeln versehenen Sauce als Kaninchen vorsetzt. Sind denn aber die Kunden so leichtgläubig? Giebt es Niemanden unter ihnen, der trotz der unerforschlichen Sauce und der heuchlerischen Zwiebeln unwiderlegbarere Beweise als die Versicherung des Wirthes begehrt, daß ihm ein wirkliches Kaninchen vorgesetzt wird? Freilich giebt es solche Skeptiker, aber auch diese werden hinters Licht geführt und zwar auf folgende Weise. Der Katzenjäger, der mit den Fellen seiner Erschlagenen handelt, treibt auch einen Handel mit Kaninchenfellen. Er bezahlt dieselben den Köchinnen seines Stadttheils etwas theuerer, unter der Bedingung jedoch, daß sie mit den Fellen ihm auch die Kaninchenköpfe zuschicken. Diese Kaninchenköpfe spazieren zugleich mit den Katzenleibern zum Speisewirth. Jede Katze wird dann mit einem Kaninchenkopf servirt, so daß selbst der ungläubigste Consument anbeißt. Gewiß ist es schon vorgekommen, daß ein armer Teufel, der das plötzliche Verschwinden seiner Katze betrauerte, ohne es zu ahnen, mit den Ueberresten der theuren Freundin seinen Hunger stillte. Schmeckt denn aber Katzenfleisch wie Kaninchenfleisch? Naive Frage! Hat noch kein Heuchler durch süße Redensarten Dein Herz betrogen? hat noch kein Redner, kein Schriftsteller durch künstlich zugespitzte Sophismen Deinen Geist berückt? Nichts sieht der Wahrheit ähnlicher, als die Lüge. Wäre das nicht der Fall, so würde diese gewiß nicht jener so oft den Rang streitig machen. Wie das Herz und den Geist, kann man auch den Magen leicht hintergehen, wenn man sich einigermaßen geschickt anstellt. Wie in der Literatur, ist auch in der Küche nichts verrätherischer, als eine scharf gewürzte Sauce.

Die zahlreichsten, wenn auch sicherlich nicht die beliebtesten Thiere in Paris sind die Ratten. Sie stecken in allen Gossenrinnen und es bleibt kaum ein Haus von ihnen verschont. Sobald die Nacht gekommen, huschen sie zu Tausenden aus ihren Schlupfwinkeln und suchen ihre Nahrung auf den Kehrichthaufen und unter den Abfällen vor den Hausthüren. Bei diesen Ausflügen büßt gar manches dieser Thiere das Leben ein, denn die Pariser machen beständig Jagd auf die widerwärtigen Nager. Aber trotz aller Verfolgungen durch Feuer und Wasser, durch Hunde, Gift, Fallen und Knüttel, vermehren sich dieselben so sehr, daß ein ausgerottetes Thier bald durch mehrere ersetzt wird. Nun, die Ratte wird ebenfalls von der Industrie ausgebeutet. Man erlegt sie nicht nur im Großen und verkauft ihre Felle, sondern sie werden auch gefangen und müssen sich zu wüthenden Kämpfen hergeben. Sehr wenige Leute wissen, daß, wie in London, auch in Paris Rattenkämpfe stattfinden. Es giebt nämlich Individuen, welche die eingefangenen Ratten nähren und dann mit einem paar Dutzend derselben und mit einigen abgerichteten Hunden sich zu den Liebhabern begeben, wo die Ratten freigelassen werden und gegen die Hunde den blutigen Strauß zu bestehen haben, der ihnen trotz ihrer heldenmüthigen Vertheidigung immer das Leben kostet. Gewöhnlich wird ein solches Schauspiel in den Ateliers der Thiermaler gegeben, und der Impresario der unglückseligen vierfüßigen Truppe reichlich belohnt. –

Sprechen wir jetzt von den Vögeln und beginnen wir mit dem Kanarienvogel, der ein Liebling der Pariser und besonders der Pariserin ist. Das Hagestolzenthum jeder Classe, namentlich der arbeitenden, sucht in diesem gefiederten Sänger einen angenehmen heiteren Gesellschafter. Wer in Paris ohne Familie lebt, fühlt sich hier mehr vereinsamt als – London etwa ausgenommen – irgendwo. Die Ouvrière, die im Dachkämmerchen vom frühen Morgen bis spät in die Nacht arbeitet oder früh ausgeht und Abends in ihre enge, dunkle Zelle zurückkehrt, spart sich’s oft am Brod ab, um einen Kanarienvogel hegen zu können. Es giebt nicht nur Vogelhändler in allen Theilen der Weltstadt, sondern es befindet sich hier auch ein Vogelmarkt, der an Sonn- und Feiertagen sehr lebhaft besucht wird. Da werden nicht nur europäische, sondern auch tropische Vögel verkauft und getauscht. Die ärmere Classe begnügt sich mit Kanarienvögeln, Rothkehlchen, Hänflingen und was sonst um einen billigen Preis trillert und zwitschert. Man hat in Paris sogar mehrere Vogelerziehungsanstalten, wo vorzüglich Kanarienvögel trefflichen Gesangunterricht erhalten und es bei einigem Talent in kurzer Zeit weiter bringen, als die Zöglinge des Conservatoriums. Der Unterricht dauert etwa zwei Monate und kostet zehn Sous wöchentlich.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_217.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)