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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

zur Wahrheit geworden, so ist es in den Vereinigten Staaten geschehen. Die Väter der Republik erkauften, in dem nicht gerechtfertigten Wahne, daß die Sclaverei bald aussterben werde, die Einigkeit, indem sie die Freiheit dafür hingaben, und die Nation büßt das Vergehen mit einem mehr als siebenzigjährigen Despotismus der Sclavenhalter, mit einer alle Classen durchdringenden Corruption, mit Kriegen im Interesse der Sclaverei geführt, mit dem Hinschlachten von einer halben Million Menschen im Secessionskriege, mit einer Schuldenlast von nahezu dreitausend Millionen Dollars, mit tausend- und aber tausendfachem Morde der braven Unionsleute und armen Schwarzen im Süden, mit Verarmung, Geschäftsstockung und Sinken des Nationalcredites, dem Assassinate ihres geliebten Präsidenten und mit der Schmach und dem Unglücke, einen Menschen wie Andreas Johnson seine Stelle einnehmen zu sehen.

Andreas Johnson, der nordcarolinische Schneider, der sich bis zum Senator von Tennessee aufgeschwungen, dem sein Feuereifer gegen die Secessionisten (die südstaatlichen Sonderbündler) und seine beredte Vertheidigung der Union die Ernennung zur zweiten Stelle in der Republik eingetragen, dessen bescheidene Geburt und frühere beschränkte Verhältnisse nur dazu dienten, in dem Volke noch annehmbar zu machen - denn das amerikanische Volk liebt es, der Welt zu zeigen, daß bei ihm auch der Geringste sich durch Tugenden und Verdienste zu den höchsten Aemtern aufschwingen kann - , er, der als Militär-Gouverneur von Tennessee mit Feuer und Schwert gegen die Secessionisten gewüthet und den Schwarzen Zutheilung von confiscirten Ländereien versprochen und ihr Moses zu sein sich erboten hatte, - dieser Mann wurde mit der nicht unterdrückten Befürchtung gewählt, daß er dem Süden gegenüber zu unversöhnlich und hart auftreten würde. Und als was hat er sich ausgewiesen? Die Weltgeschichte kennt kaum einen Menschen von größerer Tücke und Heuchelei, von ärgerer Verlogenheit, von einer größeren politischen Nichtswürdigkeit! Nichts, was er der Sache der Freiheit und der Union versprochen, hat er gehalten, Alles, was er im feierlichen Reden den Schwarzen zugesagt, hat er ihnen vorenthalten oder zu hintertreiben gesucht, fast sämmtliche Verräther hat er begnadigt, jeden Despotismus hat er versucht! Wie aber ist dies anscheinende psychologische Räthsel zu erklären? Es sei mir gestattet, diese Erklärung zu versuchen, und zwar umso mehr, als auch in Deutschland, wie ich die Sache auffasse, die Elemente zum Erzeugen von Johnsons vorhanden waren und wohl noch sind und als auch vor fast zwanzig Jahren angehende Johnsons sich vorfanden und vielleicht noch jetzt sich vorfinden. Möge Deutschland nie der Fluch treffen, ihnen eine einflussreiche Stelle anvertraut zu sehen!

Um den Mann Johnson ganz kennen zu lernen, den Mann, der in einem Sclavenstaat in Armuth geboren, aus einer dem so genannten "weißen Schund" angehörigen Familie stammend, seinen ganzen glühenden Haß nicht dem Institute der Sclaverei, sondern den Sclavenhaltern zuwandte, der wie alle Unterdrückte eine Genugthuung darin fand, eine Menschenrace, die noch tiefer stand, als er, die Schwarzen, mißhandeln zu können, wie er selbst mißhandelt wurde - um diesen Mann kennen zu lernen, um die Geduld des amerikanischen Volkes vollständig zu ermessen und um jeden Leser der Gartenlaube in den Stand zu setzen, für sich selbst als Mensch und als ein aus dem Gesammtverbande der Menschheit berufener Geschworener mit voller Sachkenntnis zu urtheilen, muß ich etwa drei Jahre zurückgehen zu dem Momente, als er, von der republikanischen Partei mit Lincoln gegen die demokratischen Candidaten General Mac Clellan und Pendleton erwählt, sich anschickte, Nashville, die Hauptstadt von Tennessee, zu verlassen, um der Einsetzung Lincoln’s und seiner selbst im Capitole zu Washington am 4. März 1865 beizuwohnen.

Den Abend vor seiner Abreise sagte er im Vertrauen zu einem Freund: „Alles ist im Wirrwarr, und Ordnung kann nur durch die Demokratische Partei (zu der er früher gehörte) hergestellt werden.“

Also dieselbe Demokratische Partei, die den ganzen Krieg und Wirrwarr veranlaßt, die alles Mögliche während desselben gethan hatte, um den Süden siegreich daraus hervorgehen zu lassen? Den nämlichen Gedanken sprach er auf seiner Durchreise in Cincinnati einem dortigen Richter und Lichte der Demokratischen Partei aus.[1] Er bereitete demnach absichtlich die Rebellen und ihre Freunde heimlich auf seinen Verrath vor und ermuthigte sie zum Widerstande, während er vor der Welt sich als blutgierigen Rebellenfresser geberdete.

Der 4. März 1865 tagte; die Einsetzung sollte stattfinden, Lincoln sollte das Steuer wieder übertragen werden, das die amerikanische Nation seinen getreuen Händen für vier weitere Jahre anvertrauen wollte. Johnson, der nordcarolinische Schneider, sollte das hohe Amt des Vicepräsidenten antreten und dadurch den Triumph einer dem Herzen jedes Arbeiters theuren Idee verwirklichen. Er war der Repräsentant einer durch Vorurtheil verachteten Classe. Seine Hand war mit einem der bescheidensten Handwerke beschäftigt gewesen. Ihm stand weder Reichthum, Erziehung, noch gesellschaftliche Bildung zur Seite. Er hatte angefangen, lesen zu lernen in einem Alter, in dem die meisten jungen Leute in Amerika ihre volle wissenschaftliche Ausbildung erhalten haben und die Collegien verlassen. Alle diese Schwierigkeiten überwindend, war er von Stellung zu Stellung gestiegen bis zur zweitem im Bereiche der Republik. Jeder Arbeiter fühlte sich erhoben in seiner Erhebung, denn sie bewies, daß in dem freien Amerika die allerhöchste Stelle für den Niedrigsten zugänglich war. Und wie faßte er diesen Moment auf? Vor einem Schnapstische betrank er sich, wagte es, sich in zweideutigen Scherzen über Frau Lincoln („die aufgedonnerte Königin“) zu ergeben, die er in den Saal zu führen hatte, schwankte in den Congreß hinein und hielt eine unwürdige Rede, in der er den wohlfeilen Muth hatte, den Repräsentanten der fremden Mächte Ungehörigkeiten zu sagen und ihnen die Faust drohend entgegen zu strecken. Das war der Repräsentant der Arbeiter! „Seht hin,“ so konnte jeder ihrer Feinde ausrufen, „auf euren Vertreter, auf euren hochgestellten Plebejer, auf euren Schneider-Senator! Das ist die Folge eurer demokratischen Institutionen. Ein Bauer bleibt ein Bauer. Die Fähigkeit zu regieren rollt nur in den blauen Adern von Herren, wie wir sind, die aus den Schenkeln von Königin entsprossen sind. Das sind die Früchte der Demokratie!“

Das amerikanische Volk verzieh diese Schmach, aber es begrub sie in das Innerste seines Herzens und, stolz auf sein Land und über Alles stolz auf den Namen eines amerikanischen Gentleman, wurde es jedes Mal roth, wenn es sich daran änderte, daß der betrunkene Vicepräsident die fremden Gesandten mit der Faust bedroht und sie wegen ihrer aristokratischen Geburt verhöhnt hatte. Es kam der 22. Februar 1866, der Geburtstag des „Vaters des Vaterlandes“, der zweithöchste Festtag des amerikanischen Volkes. Präsident Johnson erschien in den Straßen der Hauptstadt, umgeben von ihrem Pöbel und denen, welche die Ermordung seines edlen Vorgängers mit Jubel begrüßt hatten, von denen, die während vier Jahren die Freiheitskämpfer des Nordens in der Schlacht, in den gefangenen Höhlen, in Wald und Feld gemordet hatten, und klagte den Congreß als Usurpatoren an, während er den hohen Greis Stevens, den Führer des Hauses, und den verdienten Senator Sumner als Gegenstände des Hasses und der Gewaltthat der wüthenden Bande empfahl.

Nebenbei sprach er durch seinen Umgang mit berüchtigten Frauenzimmern und dadurch, daß diese die allein bevorzugten Begnadigungsagenten waren und dies als ein großartiges Geschäft betrieben, jeder Moralität Hohn. Das war der Privatmann A. Johnson.

Der Präsident Johnson setzte ohne den Schatten einer Autorität und ohne Zuziehung des Congresses in den Südstaaten solche provisorische Regierungen ein, daß binnen ganz kurzer Zeit die Sclavenhalter wieder alle Macht in den Händen hatten und die Lage der armen Farbigen, welche Alles für die Union und ihre Verteidiger aufgeopfert und von denen über zwanzigtausend als Soldaten ihre Treue mit dem Tode besiegelt hatten eine viel verzweiflungsvollere war, als vor der Secession. Denn damals mußten ihre Herren sie wenigstens ernähren, kleiden und pflegen, jetzt wurde ihm mit Hohn zugerufen: "Ihr seid ja frei, geht nach dem Norden, der muß euch ernähren!"

Zwei Jahre lang kämpfte der Congreß mit diesem unwürdigen Verräther im Interesse der Freiheit, der Rechte der Farbigen, deren Befähigung zum Stimmrecht, zu Stellen - zollweise mußte jedes Stückchen Freiheitsboden vertheidigt und erobert werden, stückweise mußte der Congreß ihm einer nach der andern seiner Befugnis entziehen und sie besseren Händen

  1. Ich entnehme diese Thatsachen, sowie manche folgende, den von einem Comité des Congresses niedergesetzten, bis jetzt nicht veröffentlichten Zeugenvernehmungen, die siebenhundert gedruckte Seiten umfassen. D. Verf.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_221.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)