Seite:Die Gartenlaube (1868) 235.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

aus dem Atelier eines Kleiderkünstlers gehalten hätte. Ueberwiesen, gestand sie weinend ihr Verbrechen; über die Hosen des heiligen Mathurin jedoch, sowie über den Zahn des heiligen Jacobus beharrte sie in einem hartnäckigen Leugnen, das jedes Mitleid in der Brust ihrer gekränkten Herrin erstickte. Ohne Reisegeld wurde sie in ihre Heimath geschickt, wo sie durch ihre ungnädige Entlassung auch ihren Ruf als Heilige und Wunderthäterin gänzlich einbüßte. Noch einmal wurde auch die übrige Dienerschaft entlassen und in Zukunft für den Eintritt in die Dienste der Dame Bonaparte ein authentisches Certificat über das zweifellose Christenthum der sich Meldenden verlangt. So gedachte sich Madame Bonaparte vor dergleichen unangenehmen Vorkommnissen zu sichern.

Der Abbé Saladin gewann ihre Gunst noch mehr als bisher. Er hatte an ihrer Betrübniß so regen Antheil genommen und so scharf auf die – leider verstockte – Dienerschaft hineininquirirt, daß sie ihm ihr ganzes Vertrauen zu schenken beschloß. Der Zugang zu ihr ward ihm zu allen Stunden des Tages gestattet; sie beteten gemeinsam und erholten sich dann in gemeinsamer Bewunderung und andächtiger Verehrung der heiligen Trümmerwelt. Eine reiche Diöcese wurde für ihn in Aussicht genommen, trotz seiner bestimmten Weigerung, ein Amt in der Kirche zu bekleiden, da er nur ein unwürdiger Diener derselben sei. Das Bestallungsdecret wurde bereits ausgefertigt. Madame Lätitia dachte ihn am Jahrestage seiner Ankunft damit zu überraschen und für so viele treue Dienste zu belohnen. Ach, es sollte ganz anders kommen!

Abbé Saladin saß eines Nachmittags in dem Betzimmer seiner hohen Gönnerin und stützte nachdenklich sein sorgenbeladenes Haupt auf die Hand. Vor ihm lag auf dem Betpulte das Brevier mit den Randbemerkungen des heiligen Franciscus, und der matte Goldglanz des Schnittes spiegelte das ergrauende Haar des wackern Mannes wieder. Er hatte unglücklicher Weise der Genlis von einem Brevier des heiligen Augustin gesprochen, und die fromme Dame hatte ihm seitdem keine ruhige Minute mehr gelassen. Bis zu fünfhundert Louisd’or hatte sich ihr Fanatismus bereits verstiegen; das Herz des Dulders war durch dieses verlockende Anerbieten schwer gekränkt, und doch waren fünfhundert Louisd’or soviel wie zehntausend Livres, womit sich bequem die zwei Jahre leben ließ, die der Abbé Saladin im Auslande zuzubringen gedachte. Ja, es war so: der Abbé Saladin wollte sich entfernen. Die Gnade seiner Gönnerin fing an, ihm furchtbar zu werden. Drohend stand die Diöcese vor seinen Augen, denn er war ein schwacher sündhafter Mensch, er war wirklich ein unwürdiger Diener der Kirche. So sehr es uns schmerzt, wir müssen es gestehen: er war eigentlich nicht unter den Klosterbrüdern in Jerusalem, sondern unter den Straßenjungen Venedigs aufgewachsen. Seine spätern Jahre hatte er als actives Mitglied einer „geschlossenen Gesellschaft“ auf einer venetianischen Galeere zugebracht. Freiheitdürstend brach er die Fesseln der Tyrannen; ein italienischer Abbate, dessen Bekanntschaft er auf seinem Weg zum Ruhme machte, mußte ihm Geld, Leben und Rock, sowie den Abbétitel lassen. Der Name Saladin, der ihm echt jerusalemitisch vorkam, stand nicht im Kirchenbuche, sondern war ein Product des galeerensträflichen Witzes, da unser Held von jeher viel natürliches Talent zum Muselmann an den Tag gelegt hatte. Die Briefe der Klosterbrüder in Jerusalem, sowie der griechische Bischof in Montenegro und der Pirate im adriatischen Meere waren Producte, die erstern seiner kunstgeübten Hand, die letzteren seiner reichbevölkerten Phantasie. Er hatte auf die Leichtgläubigkeit Madame Lätitia’s, sowie auf die Wirkung seines schwarzen Kleides gezählt und sich hierbei, wie wir sahen, nicht verrechnet. Unter solchen Umständen konnte ihm die Gunst der nächsten Wochen in keinem rosigen Lichte erscheinen. Ueber eine halbe Stunde saß er in tiefem Sinnen versunken. Dann stand er mit raschem Entschlusse auf, sein Gesicht glättete sich, er sandte einen freudigen Blick gen Himmel und durchschritt darauf mit feierlichen Schritten die Vorzimmer, indem er den Dienern seinen priesterlichen Segen gab.

Das Brevier des heiligen Franciscus war aber von dem Betpulte verschwunden.

In der gleichen Stunde noch fühlte Madame Genlis ihr Herz um fünfhundert Louis erleichtert. Was wog aber diese Summe gegen den Besitz des Gebetbuches des heiligen Augustin, das der Heilige mit eigenhändigen Meditationen versehen hatte! Madame Genlis küßte die heiligen Buchstaben, dann fuhr sie zu einer Freundin, um ihr den glücklichen Erwerb zu zeigen, mit der stillen Hoffnung, diese, die auch eine alte Magdalene und sehr devot war, durch den Besitz eines solchen Kleinods ein wenig zu ärgern. Und so geschah es. Natürlich wurde der guten Freundin das größte Stillschweigen anempfohlen; natürlich war ferner, daß diese gute Freundin zehn andere Freundinnen mit ihrem Geheimniß beglückte, Alles unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit, und so gelangte die Kunde in kurzer Zeit zu den Ohren des officiellen Alleswissers Fouché.

Madame Lätitia Bonaparte hatte den Verlust bereits entdeckt. Nachdem die obligatorischen Ohnmachten vorbei waren, eilte sie zu dem Kaiser, ihrem Sohne, und verlangte strenge Gerechtigkeit. Napoleon befahl dem Polizeiminister Fouché, den Dieb ausfindig zu machen, und Fouché setzte sogleich seine Agenten, öffentliche und geheime, in Bewegung. Das Verhör des Dienstpersonals der Bestohlenen überließ er einem seiner Untergebenen, er selbst sprach bei Madame Genlis vor. Diese war durch den unerwarteten Besuch sehr überrascht, faßte sich jedoch und war bald in lebhaftem Gespräch mit dem gewandten Manne. Spielend wußte dieser das Gespräch auf Reliquien zu bringen und bat schließlich Madame Genlis, auch ihn des Anblicks ihrer Schätze dieser Art, von denen er Erstaunliches gehört, zu würdigen. Nach einigen Ausflüchten war Madame Genlis nach Art aller Sammler hierzu nur zu gern bereit. Die Arglose, sie ahnte nicht, welche Schlange sie an ihrem Busen nährte! Fouché nahm an Allem lebhaftes Interesse; die Hosen des heiligen Sebastian besonders unterwarf er einer eingehenden Betrachtung, aber auch dem Zahn des heiligen Matthäus widmete er die gebührende Aufmerksamkeit. Madame Genlis war von ihm entzückt, und als sie sich an seinem Erstaunen gehörig geweidet, beschloß sie bei sich selbst, ihn vollständig zu beglücken, und brachte nach einigen dunkeln Anspielungen das Brevier des heiligen Augustin zum Vorschein. Fouché’s Freude, übertraf ihre höchsten Erwartungen; er erklärte, sich von diesem heiligen Buche nicht so schnell trennen zu können, eine hohe Freundin verdiene auch mit diesem Schatz bekannt gemacht zu werden, und er bitte Madame Genlis, in ihrer Wohnung seine Zurückkunft zu erwarten. Alle Einwendungen ihrerseits wurden durch eben eintretende uniformirte Polizeiagenten gehoben, welche die ohnmächtig Werdende auffingen und mit schuldiger Hochachtung auf ein Ruhebett legten, worauf sie sich aller Ausgänge versicherten. Fouché aber, der rohe Materialist, steckte ohne Ceremonie das Brevier in die Tasche und eilte zu Madame Lätitia.

Hier war Alles in der größten Verwirrung. Der treueste Freund der alten Dame ließ sich nicht blicken, auch Abbé Saladin schien entwendet worden zu sein. Als Fouché sich melden ließ, schöpfte die arme, geplagte Frau wieder Hoffnung. Diese Hoffnung wurde zum überschwänglichen Triumphe, als er, diesmal mit der gehörigen Andacht, das Brevier seiner hohen Gönnerin übergab und um gefällige Bescheinigung der Echtheit hat. „Und nun noch Eins, lieber Fouché,“ bat Lätitia, „schaffen Sie mir den Abbé Saladin wieder her, retten Sie ihn aus den Händen meiner Feinde, die ja nur mich in ihm treffen wollen.“ Bei diesem Namen überschlich ein Lächeln die glatten Züge Fouché’s, sein pfiffiges Gesicht wurde noch um Vieles pfiffiger, und mit freundlichen Worten versprach er, ihrem Wunsche nachzukommen. Er eilte fort und kehrte nach kurzer Zeit mit dem verlorenen Sohne wieder.

Ach, wie hatten die Feinde des Abbé ihm mitgespielt! Anstatt des ehrwürdigen Abbékleides schlotterte ein weites, abscheulich gestreiftes Gewand von grobem Tuch um seine Glieder; an den Füßen klirrte eine schwere Kette und die Hände waren durch eine eiserne Schraube brüderlich verbunden. Zwei bewaffnete Begleiter gingen ihm zu beiden Seiten, und sein Gesicht zeigte Spuren körperlicher Mißhandlung. Mit dem Kleide schien ihn auch die Würde verlassen zu haben, denn frech musterte er die Versammlung und schlug selbst vor seiner einstigen Freundin die Augen nicht nieder. Fouché erläuterte dieser kurz den Thatbestand.

Schon von Anfang an war ihm der Abbé Saladin eine unangenehme Persönlichkeit, weil er lange nichts Authentisches über ihn erfuhr. Endlich gelang es seinen stillen, aber unablässigen Studien, über die früheren Lebensjahre Saladin’s einige Auskunft zu erlangen; von da an wandte er ihm eine sorgsame Aufmerksamkeit zu und wartete nur auf Anlaß, diese zu bethätigen. Dieser Anlaß bot sich bald, wie wir gesehen haben;

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_235.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)