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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Und was bist Du früher gewesen, bevor Du Brigant wurdest?“

„Ich war als Jäger in der Campagna angestellt, und Ihr könnt alle Nachbarn fragen, ob es einen besseren Schützen in der ganzen Runde gab. Daß meine Kugel nie ihr Ziel verfehlte, habe ich bewiesen,“ fügte Francesco stolz hinzu.

„Du bist in der That zu bedauern,“ entgegnete Robert, „und wenn ich die Macht hätte, würde ich Dir die Freiheit wieder geben.“

„Das würde mir doch nichts nützen,“ meinte der Räuber traurig. „Die Vendetta erlischt nicht; ich müßte doch bald wieder in die Berge flüchten. Für mich giebt es keine Hülfe, keine Rettung mehr.“

„Ja, wenn nur Teresina wollte, so könnte eine Aussöhnung stattfinden,“ warf Maria-Grazia dazwischen.

„Teresina?“ fragte der Maler verwundert. „Was kann Teresina dazu thun?“

„Sie braucht nur dem Bruder des Ermordeten, der sie zur Frau verlangt, die Hand zu reichen, und die Vendetta ist für immer begraben.“

„Nimmermehr!“ rief jetzt das junge Mädchen mit einer Heftigkeit, die stark mit ihrer sonstigen Sanftmuth contrastirte.

„Und warum willst Du nicht Deinem Bewerber, der noch dazu ein wohlhabender und angesehener Mann zu sein scheint, zum Altar folgen, den gestörten Frieden zwischen den feindlichen Familien herstellen und der Blutrache ein erwünschtes Ende machen?“

Nur ein heißer Thränenstrom und ein leises Schluchzen war die Antwort des jungen Mädchens, so daß Robert es für gerathen hielt, nicht weiter in sie zu dringen und die Sitzung abzubrechen. Am andern Morgen erschien Teresina in dem Atelier des Malers bleich, doch ruhig und gefaßt, indem sie ihn ersuchte, das angefangene Bild zu vollenden, da sie zu dem Vater zurückkehren müsse, der in der Nähe von Sonnino ein kleines Landgut von geringem Ertrage befaß.

„Verzeiht mir,“ sagte sie entschuldigend, „meine gestrige Heftigkeit, aber die Rede meiner Schwester hat mich tief geschmerzt. Ich will von keiner Heirath wissen; jetzt noch weniger als sonst.“

„So mißfällt Dir Dein Bewerber?“ meinte der Maler, während er seine Farben ordnete und dem Mädchen die geeignete Stellung anwies.

„Mattia Caputi,“ erwiderte sie, „ist ein viel begehrter Mann; aber selbst wenn er tausend Mal schöner und reicher wäre, so will ich doch nicht seine Frau werden. Lieber todt!“

„Was hat Dir der arme Mattia denn gethan, daß Du ihn nicht leiden magst?“

„Seht her!“ sagte das Mädchen, indem sie mit ihrer Hand die schweren Flechten ihres dunklen Seidenhaares mit einer heftigen Bewegung zur Seite streifte und auf ihre Schläfe zeigte, wo eine feine rothe Narbe von Zolllänge jetzt sichtbar wurde, gleich einem schmalen Purpurstreif.

„Was hat das zu bedeuten?“ fragte Robert.

„Diese Narbe kommt von seiner Hand. Ich war acht, Mattia zwölf Jahr alt, als die Vendetta zwischen unseren Familien ausbrach, von der ich keine Ahnung hatte. Eines Tages saß ich auf dem Berge und hütete unsere Ziegen, während ich ein Liedchen sang, da schlich sich der tückische Bube in meine Nähe und schleuderte, in einem Myrthengebüsch verborgen, einen schweren Stein gegen meine Schläfen, daß ich taumelnd, blutend niedersank. Ich hörte noch sein wildes Hohngelächter, seine Verwünschungen gegen mich und all' die Meinigen, dann entfloh er und mein Bewußtsein schwand. Als eine Sterbende wurde ich aufgefunden und in die Hütte meines Vaters getragen. Meine arme Mutter pflegte mich und gelobte für meine Genesung ein silbernes Herz der heiligen Madonna, die mich vom sicheren Tod durch ein Wunder errettet hat. Der Schreck aber ist meiner Mutter in das Herz gefahren, seitdem kränkelte die Gute, und wenige Monate nach diesem Vorfall weinte ich auf ihrem Grabe.“

„Mattia war damals, wie Du selbst sagst, nur ein Kind, das nicht wußte, was es that. Jetzt bereut er sein Vergehen und bietet Dir zur Sühne seine Hand. Du mußt seine kindische That zu vergessen suchen,“

„Nie!“ rief Teresina mit glühender Röthe der bräunlichen Wangen. „So wenig wie diese Narbe jemals verschwinden wird, werde ich jemals diesem Mattia Caputi angehören.“

„Und doch scheinen die Deinigen diese Verbindung dringend zu wünschen.“

„Sie quälen und peinigen mich, daß ich verzweifeln muß; besonders der Vater, den dieser Mattia ganz in seiner Gewalt hat, da wir leider arm und verschuldet sind. Er hat durch zweite Hand dem Vater Geld geliehen und droht uns nun von unserem Gütchen zu vertreiben, wenn ich nicht einwillige. Ach! wir armen Leute sind sehr unglücklich!“

„Wie gern möchte ich Dir helfen, wenn dies in meiner Macht stünde!“ versetzte Robert, von ihrem tiefen Schmerz ergriffen.

„Ah! Sie sind gut, wie die Heiligen im Himmel. Haben Sie Barmherzigkeit! Wenn Sie mich nicht retten, so bleibt mir nichts übrig, als mich in die Tiber zu stürzen!“

Ehe sie der überraschte Maler hindern konnte, war Teresina aufgesprungen und umklammerte seine Kniee mit südlicher Heftigkeit, seine Hände mit ihren Thränen benetzend und mit heißen Küssen bedeckend, während er sie sanft zu entfernen suchte.

„Stoßt mich nicht fort,“ bat sie mit wunderbar ergreifender Stimme. „Laßt mich hier zu Euren Füßen liegen, wie vor dem Bilde des gnadenreichen Erlösers, der das Gebet der Unglücklichen und Elenden erhört. Treibt mich nicht von Euch, weist mich nicht zurück! Ich will ja nur bei Euch bleiben und verlange nichts weiter, als Euch zu dienen wie eine Magd.“

„Du weißt, daß dies nicht möglich ist. Bedenke Deinen Ruf!“ versetzte Robert, fast bestürzt über dies seltsame Anerbieten.

„Was kümmert mich mein Ruf? Ich kenne Euch. Ihr seid ein guter Mann, dem ich vertrauen darf, wie ich ein schuldloses Mädchen bin.“

„Und was wird Dein Vater, was werden Deine Schwester und Francesco sagen?“

„Sie werden sich nicht weigern, wenn Ihr mit ihnen redet. Ein Wort von Euch gilt so viel wie der Ausspruch des heiligen Vaters, der zu binden und zu lösen vermag.“

Obgleich Robert noch immer schwankte und ihr sein vielfaches Bedenken nicht verschwieg, so ließ sie doch nicht ab, ihn mit ihren Bitten und Thränen so lange zu bestürmen, bis er ihr wenigstens die Zusicherung gab, mit ihren Verwandten die nöthige Rücksprache zu nehmen.

„Ich selbst,“ sagte er freundlich, „werde Dich nach Sonnino begleiten und mit Deinem Vater reden, da ich ohnehin die Absicht hatte, jene Gegenden kennen zu lernen und daselbst für meine Bilder landschaftliche Studien zu machen.“

Die bloße Aussicht auf Robert’s Beistand genügte, die Traurigkeit des jungen Mädchens in die ausgelassenste Freude zu verwandeln. Mit jenem schnellen Wechsel, der die Natur und die Menschen des Südens charakterisirt, überließ sich jetzt Teresina der kindlichsten Heiterkeit, indem sie anmuthig von ihrer Heimath, von den schönen Bergen und Villen in der Nähe plauderte, während der Maler ihre günstige Stimmung benutzte, um das Bild zu beenden.

Als er ihr jetzt das wohlgelungene Portrait zeigte, stieß sie einen leisen Schrei aus, indem sie das lieblich erröthende Gesicht mit den Händen bedeckte, als wäre sie von ihrer eigenen Schönheit beschämt.

„Wie, das sollte ich, ich selber sein?“ fragte sie zweifelnd.

„Wer denn sonst?“

„Und das meine Augen, meine Haare? O! Ihr habt mich viel zu schön gemacht. Das muß Maria-Grazia und Francesco sehen! Darf ich sie rufen?“

Vergessen war alles Leid, und wie ein Kind, das eben noch geweint, durch, eine Kleinigkeit erfreut, laut auflacht, so schwebte sie graciös durch die offene Thür in den Hof, wo sie erregt der Schwester ihr unerwartetes Glück verkündigte. Mit Wohlgefallen sah ihr Robert nach, bis sie verschwunden war. Es schien ihm, als ob das düstere Atelier sich noch mehr verdunkelt hätte, als ob das heitere Sonnenlicht mit ihr gegangen wäre.

Trotz der Kürze ihrer Bekanntschaft fühlte er sich von dem seltsamen Mädchen, von dieser wunderbaren Mischung kindlicher Heiterkeit, Anmuth und zarter Weiblichkeit so sehr angezogen, daß auch er nur mit Widerwillen an die drohende Trennung dachte, obgleich er sich nicht die Schwierigkeit verhehlte, die sich ihren und auch seinen Wünschen entgegenstellte. Jedenfalls war er entschlossen, Alles aufzubieten, um sie von der verhaßten Verbindung

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