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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Wilhelm Emanuel Freiherr von Ketteler, Bischof von Mainz.

Achtung gebrechen ließ. Oftmals, wo es die Gelegenheit mit sich brachte, verwalteten sie ihr priesterliches Amt gemeinschaftlich an einem und demselben Altare, gleichgültig, ob in einer protestantischen oder katholischen Kirche. Die Gemeinden wohnten in Frieden beieinander. In den Schulen saßen, wenn es die Ortsverhältnisse so bedingten, die Kinder der verschiedenen Konfessionen untereinander, ohne daß der eine oder der andere Theil befürchten durfte, inner- oder außerhalb des Unterrichts in seinem Glauben gekränkt zu werden. Starb ein Protestant in einem vorwiegend katholischen Orte, so wurde er in derselben Reihe begraben, in welcher seine katholischen Mitchristen lagen, und die Glocken der katholischen Kirche läuteten ihn zu seiner letzten Ruhe, wie wenn er ihrer Gemeinschaft angehört hätte.

Das ist nun freilich seit dem Regierungsantritte des jetzigen Bischofs ganz anders geworden. Wider den Willen des Domcapitels zu Mainz, das erst einen Mann von milder und versöhnlicher Gesinnung, den früheren Domcapitular Schmidt, jetzt Professor der Philosophie zu Gießen, gewählt hatte, dem Sprengel vom Papst gewissermaßen aufgezwungen, ließ er sogleich in dem ganzen Lager, das seinem Befehle anvertraut war, nach allen Seiten hin Reveille schlagen, um jenen unduldsamen, exclusiven Geist in seinen Diöcesanen wach zu rufen, welchen wir unter dem Namen des ultramontanen kennen und – nicht lieben gelernt haben. Das früherhin so collegiale Verhältniß der Geistlichen unter einander hatte damit nicht nur bald sein Ende erreicht, es trat vielmehr zwischen ihnen jene Spannung ein, die überall dort zu Tage kommen muß, wo die unerträglichste aller Aristokratien, die des Glaubens, ihre Ansprüche geltend macht, Ansprüche, auf denen der geistliche Hochmuth des Menschen um so eigensinniger zu bestehen pflegt, je unsicherer das Fundament ist, auf welches sie sich gründen. Es versteht sich von selbst, daß die Gemeinden zum großen Theil ihren Seelsorgern nachfolgten und daß damit eine Absonderung nicht nur auf dem Gebiete der Kirche und Schule, sondern nicht minder der gesellschaftlichen Beziehungen eintrat. Auch die Kirchenglocken haben wieder ihre specifisch katholische und protestantische Klangfarbe angenommen. O sancta simplicitas!

Einige concrete Fälle werden am besten geeignet sein, den gegenwärtig in der Mainzer Diöcese waltenden Geist in das richtige Licht zu stellen. Welcher Same des Hochmuths, der Zwietracht, des Hasses und Wahnes zum Beispiel schon in die Seelen der Jugend gelegt wird, davon mag folgendes sehr bezeichnende Erlebniß des Verfassers dieses Aufsatzes Zeugniß ablegen. Die Kinder einer in einem rheinhessischen, nur zwei Stunden von Mainz entfernten Dorfe angesessenen protestantischen Familie kamen einst vom Spielen nach Hause, ganz aufgeregt darüber, daß ihnen ihre katholischen Cameraden den Umgang aufgesagt hatten, und zwar auf Befehl des Caplans, welcher in der Schule seine Stimme dahin abgegeben hatte, daß es sich für Kinder der katholischen Confession nicht schicke, mit Andersgläubigen umzugehen, da diese Letzteren doch nie in den Himmel kommen könnten. Als ich nun über diesen bornirten Fanatismus mein höchstes Erstaunen aussprach, beruhigte man mich damit, daß dergleichen Erscheinungen in der ganzen Mainzer Diöcese zu den alltäglichen gehörten. Ueberhaupt auf der Schule, als derjenigen Anstalt, die ihm die Herrschaft seines Geistes auch für die Zukunft zu verbürgen am meisten geeignet scheint, hält der Bischof seine Hand mit furchtbarer Strenge,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_245.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)