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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Mutter, einer geistvollen, hochgebildeten Matrone, die ein warmes Kunstgefühl besitzt und sehr anregend auf das Talent ihres Sohnes wirkt. Wie jeder wahrhaft geniale Mensch ist Doré sehr einfachen, schlichten Wesens. Man kann sich keinen liebenswürdigeren Mann denken. Seiner Liebenswürdigkeit verdanke ich auch die von dem Künstler eigens für die Gartenlaube componirte und von ihm selbst auf die Holzplatte übertragene Zeichnung, welche diese Skizze begleitet. Sie wird von den zahlreichen Lesern des Blattes gewiß als ein Zeugniß von Doré’s Manier und eben deshalb als ein interessanter Beitrag begrüßt werden.

L. Kalisch.




Blätter und Blüthen.

Eine zweite schwedische Nachtigall. Neben Adeline Patti und Pauline Lucca gehört jedenfalls Christine Nilsson zu den ausgezeichnetsten Sängerinnen der Gegenwart und bildet auch mit ihren nordischen goldblonden Haaren, den tiefblauen Augen, den regelmäßigen Zügen und der hohen, schlanken Gestalt ein treffliches Pendant zu jenen beiden schwarzlockigen Schönheiten. Dazu ist ihre Lebensgeschichte interessant genug, um alle mögliche Theilnahme für sie zu wecken, denn nur ein bedeutendes Talent kann sich in solcher Weise emporarbeiten. Christine Nilsson ist die Tochter sehr armer Bauersleute in einem elenden kleinen Dörfchen der schwedischen Provinz Smaland; sie wuchs unter einer Anzahl zerlumpter kleiner Geschwister und einigen Ziegen, Schafen und Hühnern auf, welche cameradschaftlich das einzige Zimmer ihrer elterlichen Hütte theilten. Die Mutter spann und spann von früh bis Abends, der Vater arbeitete auch so viel als möglich, aber dennoch wollte es ihnen kaum gelingen, die vielen hungerigen Magen täglich zu sättigen.

Christine war kaum zehn Jahre alt, als sie schon die außerordentlichsten Anlagen zur Musik zeigte; sie lernte von dem Spielmann, der auf den Bauernhochzeiten musicirte, mit Leichtigkeit einige Stücke auf der Violine spielen und sang wie eine Lerche mit lieblicher Stimme und vielem Gehör jedes Liedchen nach, welches sie hörte, so daß man sich bei allen ländlichen Festen um die kleine Sängerin und Musikantin riß. Oft mußte sie im Winter mit ihrer Violine am Wege stehen, wenn man von Weitem Schellengeklingel vernahm und einen vorüberkommenden Reisenden vermuthete, um einige Schillinge zu verdienen und dadurch Brod in das Haus zu schaffen.

Ein reicher Gutsbesitzer nahm sich später des talentvollen Kindes an und gab sie in eine benachbarte Stadt, damit sie ordentlichen Unterricht genießen könne; von da aus brachte er sie dann nach Stockholm, wo er sie von einem berühmten Musiklehrer weiter ausbilden ließ, und schließlich sandte er sie nach Paris, um sie durch Professor Wartel für die theatralische Laufbahn vorbereiten zu lassen.

Nach dreijährigen Studien unter der Leitung Wartel’s fand Christine ein Engagement am Pariser Théâtre Lyrique, wo sie namentlich in Martha, der Zauberflöte und Don Juan die Herzen zu gewinnen wußte.

Seit Kurzem ist der Glücksstern der schwedischen Sängerin noch glänzender aufgegangen; sie ist an der großen Oper in Paris engagirt und macht daselbst als Ophelia in der Oper „Hamlet“ von Ambroise Thomas ungeheures Furore, da sie für diese Rolle wie geschaffen scheint. Man erzählt sich, daß Thomas seine Oper seit acht Jahren vollendet gehabt, aber nie eine Sängerin gefunden, welcher er die Rolle der Ophelia hätte anvertrauen mögen. Vielleicht wäre die Oper auch noch länger in seinem Pulte geblieben, wenn er nicht eines Tages den Musikverleger Hengel besucht und demselben die Partitur vorgespielt hätte.

„Das ist schön, herrlich!“ rief Hengel. „Ich gebe Ihnen dafür, was Sie wollen. Wann soll die Oper aufgeführt werden?“

„Wenn ich eine Ophelia gefunden haben werde.“

In diesem Moment steckte Christine Nilsson, die im Geschäft gewesen und im Nebenzimmer den Maestro spielen gehört, ihren lieblichen Kopf zur halbgeöffneten Thür herein.

„Da haben Sie Ihre Ophelia!“ rief Hengel halb lachend, halb ernst.

Schon wenige Stunden später trat der Director der großen Oper in Unterhandlungen mit Christine, und kurz darauf waren die Proben der Oper im vollen Gange.

Unter den vielen Bewunderern, welche die holde Ophelia mit ihrem hinreißenden Gesange fand, eroberte sie auch im Sturme ein Herz – das Herz Gustav Doré’s, mit dem wir in unserer heutigen Nummer unsere Leser bekannt gemacht haben. Binnen Kurzem wird Christine Nilsson Doré’s Gattin sein.

Wir finden die junge Sängerin nach so mannigfachem Schicksalswechsel jetzt in einer reizenden Wohnung der Rue Rivoli in einem mit Weiß und Gold drapirten Salon und blauseidenen Möbeln vor einem Kamin aus carrarischem Marmor, der mit antiken Schalen und Statuen verziert ist. Sie steht auf und setzt sich an das mit unzähligen Opernpartituren bedeckte prachtvolle Piano, auf dessen Tasten ihre Finger träumerisch umherirren. Woran sie wohl denken mag? Vielleicht an die Triumphe des heutigen Abends? Nein, sie blickt in weite Vergangenheit zurück, sie sieht sich wieder in der ärmlichen Hütte ihrer Eltern, mitten unter den zerlumpten Geschwistern, für deren Fortkommen sie jetzt getreulich sorgt; sie hört aus der Ferne das Schellengeklingel eines Schlittens und hört den Vater rufen: „Christine, nimm Deine Violine und geh’ hinaus an den Strand!“

Wer ihr damals gesagt hätte, welcher Glanz, welche Huldigungen sie heute umgeben würden!





Herman Schmid. Allen Lesern der Gartenlaube ist Herman Schmid ein Lieblingserzähler geworden, und gewiß, er verdient diese Gunst durch das künstlerische Streben und die streng ästhetisch sittliche Durcharbeitung seiner Stoffe, die ihm sicher auch für die Zukunft einen bleibenden Platz in der deutschen Literatur sichern werden. Wie andere Zeitschriften von ihm urtheilen, beweist u. a. die in München erscheinende „Süddeutsche Presse“, die sich in Nr. 28 d. J. folgendermaßen über ihn äußert:

„Schmid strebt nicht blos merkwürdige Begebenheiten zu bringen und durch sie eine müßige Neugier zu reizen, er ist überall sichtlich bemüht, das Ereigniß, welches er erzählt, ob es nun in hohen oder niedrigen Kreisen spielt, zu einem ästhetisch gebauten, sich gehörig vorbereitenden, verwickelnden und lösenden Menschengeschick zu vertiefen und auszubreiten, aus welchem wie aus einem reinen Spiegel ungesucht und ungewollt dem Beschauer ein Bild allgemeiner Menschlichkeit mit lebenswahren Zügen entgegentritt. Er verschmäht den Effect keineswegs, viel mehr läßt sich in den Anlagen hie und da die auf solchen gerichtete Absicht sehr deutlich erkennen, aber er ist immer untergeordnet und wird als Mittel zum Zweck benützt, ohne selbst Zweck zu sein. Schmid ist, was man unter Malern einen guten Coloristen nennen würde, aber er läßt darüber weder die Richtigkeit und Schönheit der Ausführung und Zeichnung noch die Correctheit der Composition Schaden leiden. In dieser glücklichen Verbindung zweier Factoren (abgesehen von dem den Leser fesselnden Gemüthsleben des Verfassers) ist wohl auch die Erklärung zu suchen, warum Herman Schmid’s Erzählungen sich so rasch und allgemein Bahn gebrochen haben. Wie nämlich die niedrigen Classen von Erzählern mit grellem Farbenauftrag und verrenkter Zeichnung der gröber organisirten Menge huldigen, haben einige höhere den Weg des entgegengesetzten Extrems betreten. Sie wollen von Wirkung, Spannung u. dergl. nichts hören, verwerfen, das Kind mit dem Bade verschüttend, alles dahin Abzielende als unkünstlerisch und unwürdig und wollen, daß das feinere Publicum, das sie im Auge haben, sich durch Reflexionen und geistreiche Conversation für den Mangel an Handlung und Charakteristik entschädigt finde. Sie wollen, wie Goethe im Wilhelm Meister seine Philine so treffend sagen läßt, versuchen, ob es nicht angehe, „sich am Eise zu wärmen“. Die Wahrheit liegt wohl wie überall auch hier in der Mitte, und diese Wahrheit ist es, welcher Schmid in seinen Erzählungen offenbar nachstrebt, indem er anziehenden Stoff mit anziehender Form verbindet und dadurch beim Gebildeten ebenso Berührungspunkte findet wie bei dem schlichten Mann im Volke. Dabei unterstützt ihn ein seltenes Schilderungstalent, vermöge dessen es ihm nicht nur gelingt, die eingeflochtenen Naturbilder anschaulich schön darzustellen, sondern auch die Menschen wahr und so wiederzugeben, daß man sie vor sich zu sehen glaubt. Insbesondere Charaktere und Art der baierischen Bergbewohner weiß Schmid mit seltener Treue zu schildern. – Dem Stoffe nach greift unser Dichter bald zu den einfachsten Culturverhältnissen, bald auch zu geschichtlich merkwürdigen Begebenheiten und Charakteren. Die bis jetzt vorliegenden Lieferungen seiner gesammelten Schriften enthalten die dem Bauernleben entnommenen Erzählungen „die Huberbäuerin“ und „Unverhofft“ – von denen die erstere einen düsteren Charakter hat und eine reiche schöne Bäuerin schildert, welche im Uebermuth zur Verbrecherin und zum Hauptmann einer Räuberbande geworden – die letztere giebt die anmuthige Geschichte eines hochmüthigen Mädchens, das „unverhofft“ einen Buckligen zum Manne nimmt. An geschichtlichen Stoffen findet sich „das Todtengesicht“, die unheimliche Geschichte eines adeligen Ingolstädter Studenten, der eine unselige Neugier durch ein bitteres entsagungsvolles Leben büßt, und „der Schütz von der Pertisau“, das Ende des letzten der selbständigen Tiroler Herzoge, des edlen Franz Sigismund, behandelnd. Das dritte hat den Bürgeraufstand und die Sendlinger Mordweihnacht von München mit dem patriotischen Jägerwirth und seiner Tochter als Anführer zum ergreifenden Gegenstand. Wenn wir nicht irren, ist diese Erzählung im Auftrage König Max des Zweiten geschrieben, der gern, wie er sich ausdrückte, einen „baierischen Walter Scott“ gehabt hätte und ihn in Herman Schmid gefunden glaubte. Schließlich darf nicht unbemerkt bleiben, daß die sämmtlichen bis jetzt vorliegenden Geschichten gegenüber ihrer ersten Gestalt vielfach in Stil und Darstellung die nachträglich mit Sorgfalt glättende Hand verrathen, daß sich Aenderungen selbst in den Motiven vorfinden und daß die Sammlung auch neue, weiteren Kreisen unbekannt gebliebene Erzählungen Herman Schmid’s bringen wird.“





Zur Pariser Haarkräuslerei. Paris hat nicht nur seine Universität mit den vier Facultäten und sein Institut mit den fünf Akademien; es besitzt auch eine Hochschule und eine Akademie für Haarkräusler. So wie es aber den Gelehrten und Schriftstellern nicht leicht wird, Mitglied des Instituts zu werden, so ist es auch den Haarkräuslern nicht leicht, sich unter ihren unzähligen Collegen Ruhm und Unsterblichkeit zu erwerben. Indessen wird ihnen doch Gelegenheit geboten, ihr Genie zu bekunden. Jedes Jahr nämlich findet Salle Molière ein feierlicher Preiskampf statt, in welchem die glorreichen Sieger mit Ehrenmedaillen bedacht werden. Treten wir in diesen Saal, so sehen wir in der Mitte desselben einen langen mit einem weißen Tafeltuch bedeckten Tisch, auf welchem sich zwei Reihen Toilettenspiegel befinden. Neben jedem derselben gewahrt man einen zierlichen Kasten, der die Instrumente des Haarkräuslers einschließt. Vor jedem Spiegel, an beiden Langseiten des Tisches, sitzt eine Dame in einem Frisirmantel und zu ihrer Linken hält sich ein Friseur. Auf ein gegebenes Zeichen setzen sich sämmtliche Haarkünstler in Bewegung. Die Kasten werden geöffnet, die Haare der Damen rasch aufgelöst. Da wird gekämmt, geflochten und gekräuselt. Jeder dieser Haarkünstler hat seine eigene Methode, seinen eigenen Stil, seine eigenen Kunstgriffe, die sich an der Frisur seiner Dame kundgeben. Sobald die Arbeit vollendet, fällt der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_255.jpg&oldid=- (Version vom 2.9.2021)