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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 18.   1868.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Im Hause der Bonaparte.
Historische Erzählung von Max Ring.
(Fortsetzung.)


4.

Durch die berüchtigten pontinischen Sümpfe schleppten sich mühselig auf abgetriebenen Pferden zwei Reiter, von denen der ältere in seinen eingefallenen Wangen und fieberhaft glänzenden Augen ein krankhaftes Leiden verrieth. Mit seiner trüben Stimmung harmonirte der bleigraue Sciroccohimmel und die traurig öde Gegend.

Der wellenförmige Boden, von der Hitze des August ausgetrocknet und geborsten, wurde nur selten von einem fruchtbaren Weizenfelde oder einer kurzen Rasenstrecke unterbrochen. Zu beiden Seiten zeigte sich der gefürchtete Buschwald, ein dichtes Gestrüpp von Korkholz, Oleaster, Mastix, Schwarzdorn und Arbutus, von Schlingpflanzen und immergrünendem Epheu umsponnen.

Hier hausen der wilde Eber, das Stachelschwein, Schildkröten und giftige Schlangen, die tückischen Büffelheerden mit rückwärts gekrümmten Hörnern, welche von Zeit zu Zeit aus dem Dickicht hervorbrechen, um sich in die nahen Sümpfe zu stürzen, wo sie vor der brennenden Gluth Kühlung suchen. Wehe dem armen Wanderer, wenn er den schwarzen Ungeheuern in den Weg tritt! Mit eherner Stirn stürzen sie ihm entgegen, wenn er ihre leicht erregte Wuth reizt, und zerstampfen mit den plumpen Knieen ihm die Brust, bis er seinen Geist aufgiebt.

Noch gefährlichere Insassen birgt der niedere Wald der pontinischen Sümpfe, den habgierigen Banditen, den gesetzlosen Räuber, der aus sicherem Versteck den Reisenden überfällt.

Meilenweit keine Menschenspur, kein Dorf, kein Haus, nicht einmal eine elende Hütte, nur verfallenes Gemäuer, in denen der Falke oder der Habicht lauert, deren Nähe die blutig zerrauften Flügel und Federn des Moorhuhns verrathen, die Reste eines wilden Mahles.

Es dämmerte bereits und aus dem schwankenden Erdreich stiegen die Dünste des Moorgrundes, jene gelblich-weißen Nebel, empor, welche Krankheit, Fieber, Verderben und Tod auf ihren feuchten Schwingen tragen.

Schweigend ritten die Reiter neben einander her, nur begleitet von dem Klagegeschrei der beutegierigen Raubvögel, dem Stampfen und Brüllen der wilden Rinderheerden, bis der jüngere von beiden die lastende Stille unterbrach.

„Ich fürchte,“ sagte er, „daß wir uns verirrt haben. Die Nacht überrascht uns, und ich sehe nirgends ein Haus, wo wir bleiben und ausruhen könnten.“

„Was sagst Du?“ erwiderte der düstere Gefährte, aus seiner bisherigen Apathie erwachend.

„Ich meine, daß wir Unrecht gethan haben, den Weg durch diese Sümpfe zu nehmen. Du bist krank und elend, wir müssen sehen, ein Obdach zu finden, bevor es dunkel wird. Die Fieberluft kann Dir schaden und außerdem ist die Gegend nicht geheuer.“

„Was kann mich Schlimmeres treffen, als mich schon getroffen hat!“ entgegnete Robert, welcher der ältere der beiden Reiter war.

Der Maler hatte seit jener unglücklichen Entdeckung weder Ruhe noch Rast gefunden. Muthig rang er gegen die verzehrende Leidenschaft, die er selbst für verbrecherisch halten mußte. Liebe und Freundschaft, Pflicht und Neigung stürmten in seiner Brust und zerrissen ihm das Herz.

Die eigenthümliche Lage, in der er sich befand, erschwerte noch den unausbleiblichen Conflict. Er war der treue Freund des Prinzen, dessen Liebenswürdigkeit, Herzensgüte und geistige Begabung er kennen gelernt hatte. Er schätzte und verehrte ihn, außerdem fühlte er sich ihm zum größten Dank verpflichtet. Die Familie der Napoleoniden war ihm mit seltener Gastfreundschaft entgegengekommen; sie hatte dem damals noch unbekannten Künstler ihr Haus geöffnet, ihn wie Ihresgleichen mit der höchsten Zuvorkommenheit, ja mit fast verwandtschaftlicher Herzlichkeit aufgenommen. Seine Erfolge waren die ihrigen, und zum Theil durch ihren noch immer bedeutenden Einfluß erhöht und gesteigert worden.

Durfte, konnte er den besten Freund, den großmüthigen Beschützer, seinen Wohlthäter so schwer beleidigen, selbst wenn er so vermessen gewesen wäre, auf die Gegenliebe der Prinzessin zu hoffen?

Diese selbst aber war, wie er nur zu gut wußte, die reinste, edelste Frau, die pflichtgetreueste Gattin, zu der er, wie zu einer Gottheit, kaum emporzublicken wagte. Ihre fast schwesterliche Neigung für Robert, selbst ihre Vertraulichkeit waren mit so vieler Würde und maßvoller Zurückhaltung gepaart, so natürlich bei ihrer Herzensgüte, so erklärlich durch das künstlerische Interesse, daß blos die frechste Selbsttäuschung, der schwärzeste Undank auch nur den leisesten Verdacht schöpfen, die schwächste Hoffnung daran knüpfen konnte.

Doch selbst wenn das Betragen der Prinzessin ihn zu einer derartigen Annahme berechtigt hätte, so war Robert trotz seiner Leidenschaft eine zu sittlich-ernste und tiefe Natur, zu ehrenwerth in seinem Denken und Thun, um solch’ einen verabscheuungswürdigen Verrath an dem besten Freund, an dem edelsten Mann zu üben. Lieber wollte er schweigen, dulden und untergehen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_273.jpg&oldid=- (Version vom 7.11.2021)