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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Nur ein Ausweg aus diesem Labyrinth blieb ihm übrig: der Versuchung zu entfliehen, Rom zu verlassen, so schwer ihm auch ein solches Opfer fallen mußte. Er konnte den häufigen Verkehr mit dem liebenswürdigen Prinzen, mit der angebeteten Geliebten seines Herzens nicht aufgeben, ohne die Freunde zu beleidigen, ohne möglicher Weise ihren Verdacht zu erwecken. Und doch fühlte er, wie dies innige Zusammenleben, dies stete Wiedersehen die mühsam erstickte und niedergehaltene Flamme wieder anfachte, die kaum vernarbte Wunde immer von Neuem aufriß; er erkannte die Unmöglichkeit, seine frühere Unbefangenheit zu bewahren, das Geheimniß seiner Seele vor verrätherischen Blicken zu schützen, ein solches Leben in der Nähe des heißgeliebten Weibes zu ertragen, ohne sich gänzlich aufzureiben.

Eine Reise nach Neapel sollte ihn zugleich zerstreuen und der Gefahr entziehen. Durch neue Eindrücke und Studien, die er an Ort und Stelle für seine Kunst machen wollte, hoffte er, wenn auch nicht Genesung, doch wenigstens Linderung für sein krankes Herz zu finden.

Aber von Tag zu Tag zögerte er, den gefaßten Entschluß auszuführen, bis eine unerwartete, traurige Nachricht aus der Heimath, deren Ueberbringer sein jüngster Bruder Aurel war, seinem Schwanken und Zweifeln ein Ende machte. Tief erschüttert erfuhr er von ihm, daß sein zweiter Bruder Alfred in einem Anfall von Schwermuth, die in Robert’s Familie erblich schien, sich das Leben genommen hatte.

Es war zu viel, mehr als er zu ertragen vermochte. Mit dem Bilde der Geliebten vermischten sich die blutigen Züge des unglücklichen Bruders, mit der Qual der Leidenschaft die Trauer um den Verstorbenen, der Gedanke an den Schmerz einer tief betrübten Mutter.

Selbst die herzliche Theilnahme seiner Freunde, denen er seinen Verlust nicht verschweigen durfte, die sanften Worte der Prinzessin, mit denen sie ihm ihre innigste Theilnahme bekundete und ihn zu trösten suchte, vermehrten nur noch sein Leiden, indem sie seine Liebe noch steigerten.

Endlich riß er sich mit blutendem Herzen von ihr los, um in Neapel, begleitet von seinem Bruder Aurel, Vergessenheit für seinen doppelten Verlust zu suchen. Anfänglich schien auch an ihm die „Circe“ unter den Städten Italiens ihre unwiderstehliche Zauberkraft zu bewähren. Das entzückende Panorama, das blaue Meer mit seinen herrlichen Küsten, Vorgebirgen und Inseln, unter denen das romantische Capri gleich einer versteinerten, riesigen Sphinx aus den Wellen emporsteigt, der erhabene Vesuv mit seiner Krone von Rauch und Flammen und seinem Gürtel von schwarzen Wäldern und grünen Reben, der berauschende Duft der Orangen- und Citronenblüthen, der ewig heitere Himmel, der über diesem glücklichsten Fleck der ganzen Welt fortwährend lächelt, das fröhliche Treiben des sorglosen Volkes, der Gesang der Marinari zum Klang der Mandoline, das lustige Drängen, Jubeln und Jauchzen der rastlosen Menge, betäubten und zerstreuten ihn, so daß er wieder Antheil an dem ihn umwogenden Leben zu nehmen anfing. Bald suchte er seine alten Studien und Arbeiten wieder hervor, darunter das halb zerstörte Bild seiner „Corinna“, an deren Stelle er jetzt die Figur eines „neapolitanischen Improvisators“ setzte, um jede Spur von den verrätherischen Zügen der Prinzessin zu verwischen.

Mit diesen Arbeiten wechselten Ausflüge in die Umgegend von Neapel, nach dem herrlichen Sorrent, nach Procida und Ischia, von denen Robert, reich beladen mit neuen Schätzen, heimkehrte, wie die honigsammelnde Biene aus dem Blüthenmeer, so daß er kaum die empfangenen Eindrücke zu bewältigen, die sich ihm aufdrängenden Gestalten kaum flüchtig festzuhalten vermochte.

Wollte er sich aber einmal der immer wieder von Neuem auftauchenden Schwermuth überlassen, so stand ihm der treue aufmerksame Bruder zur Seite, um die schwarzen Geister zu verscheuchen. Gewaltsam entriß er ihn seinem düstern Brüten, indem er ihn mit sich fortführte zu den heiteren Festen, an denen es in Neapel niemals fehlt. Dort beobachtete Robert mit dem Auge des Künstlers das bunte Leben dieser Bevölkerung, welche, gleich dem Vesuv, in ewig schäumender Bewegung sich gefällt. Bald wohnte er zu diesem Zweck dem glänzenden Corso bei, bald dem berühmten Fest der „Madonna del Arco“, an dem ganz Neapel sich zu bethätigen pflegte.

Da sah er diese Schaaren geputzter Männer und Frauen in lichten, farbenglänzenden Kleidern, zu Fuß und zu Wagen, von Pferden, Mauleseln und breithörnigen Stieren gezogen, die Hände bewaffnet mit Thyrsusstäben, rings von Epheu und Blumen umwunden, die braune Stirn mit Weinlaub, Feigenblättern und Citronenzweigen bekränzt, an denen noch die goldenen Früchte hängen. Hier fesselte ihn das liebliche Gesicht eines Kindes einem antiken Amor gleich, dort die Gestalt eines Straßenjungen, das Modell des jungen Faun, oder ein tanzendes Mädchen, das beim Schall der Castagnetten und des Tambourin ihn mit ihren edlen, abgemessenen Bewegungen und ihrer naiven Schönheit unwillkürlich an die verschwundene Teresina erinnerte.

Alle die Freuden, die Lust, der Lärm zerstreuten schnell wieder die dunklen Schatten der Vergangenheit, welche vor den lachenden, rosigen Bildern der heiteren Gegenwart verschwinden mußten. Was der Künstler gesehen, gestaltete sich zu farbentrunkenen Gemälden, die seinen schnell erworbenen Ruhm befestigten und wo möglich noch vermehrten. Schon war sein Ruf über Rom hinaus nach Paris gedrungen, wo seine „Wallfahrt zur Madonna del Arco“ und sein „Improvisator“ auf der letzten Ausstellung im Louvre die größte Sensation erregten und ihn in die Reihe der ersten Maler stellten.

In der That schien die Kunst über Robert’s Liebe zu triumphiren, aber schon nach wenigen Monaten seines Aufenthaltes in Neapel verfiel er in seine frühere Melancholie; der Lärm der ewig brausenden Stadt widerte ihn an, er sehnte sich nach Ruhe und Einsamkeit, nach den Bergen seiner Heimath, nach dem Elternhause, wo er an dem Herzen einer geliebten Mutter Trost und Frieden zu finden hoffte.

Auf dem Rückwege wandelte Robert jedoch die Lust an, die pontinischen Sümpfe kennen zu lernen, deren wilde Poesie ihn anzog, obgleich der besorgte Bruder vor den Gefahren einer solchen Reise warnte. Aber mit der ihm eigenen Reizbarkeit beharrte Robert auf seinem Entschluß, so daß der jüngere Aurel sich wider Willen fügte.

Jetzt irrten sie schon seit mehreren Stunden auf unwegsamen Pfaden, ohne einem Menschen zu begegnen, erschöpft von der Hitze des Tages und der Anstrengung des weiten Rittes, in Gefahr, nicht einmal ein Obdach zu finden, da die Nacht bereits hereingebrochen war. Ihre Lage war um so peinlicher, da Robert auf der Reise krank geworden war und nur mit Mühe sich noch im Sattel hielt.

Vergebens strengte sich Aurel an, in der Dunkelheit ein Haus oder die Spur eines lebenden Wesens zu entdecken, nirgends zeigte sich in der öden verlassenen Gegend ein willkommenes Obdach. Zwar gestattete die milde Temperatur, die sich ein wenig abgekühlt hatte, den Aufenthalt im Freien, aber ein Nachtlager in diesen von den giftigen Dünsten der „Malaria“ geschwängerten Sümpfen konnte den Tod zur Folge haben, abgesehen von der Unsicherheit des verrufenen Buschwaldes.

Seine Verlegenheit war bereits auf das Höchste gestiegen, als das Gebell eines zottigen Wolfshundes an sein Ohr schlug und den gesunkenen Muth auf’s Neue belebte. Auf seinen Ruf antwortete ein alter Mann in der Tracht der dortigen Hirten und Landleute mit Vertrauen erweckender Stimme.

„Könnt Ihr uns,“ fragte Aurel, „die Nacht über beherbergen? Wir wollen es Euch reichlich lohnen.“

„Wollt Ihr mit meiner schlechten Hütte vorlieb nehmen, so sollt Ihr mir auch ohne Bezahlung von Herzen willkommen sein. Wenn wir auch arm sind, so haben wir doch niemals einen verschmachtenden Wanderer von unserer Thür gewiesen,“ versetzte der Greis mit patriarchalischer Würde.

Schon nach wenigen Minuten erreichten die Reisenden unter Führung des Alten das niedrige Haus, noch zur rechten Zeit, da Robert an der Schwelle bewußtlos niedersank. Ein plötzlicher Fieberanfall, wie er in den Sümpfen nicht selten vorzukommen pflegt, bedrohte sein Leben; wenige Stunden später lag er auf dem ärmlichen, aber reinen Lager von Maisstroh in wilden Phantasien.

Zum Glück fand der trostlose Bruder an seinem Wirth und dessen Familie den hilfreichsten Beistand und die innigste Theilnahme, indem die armen Leute Alles aufboten, was in ihren Kräften stand, um dem Kranken beizustehen. Besonders schien die Tochter des Hauses, ein junges, bleiches Mädchen von wunderbarer Schönheit, von dem Schicksal des Leidenden tief gerührt; sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_274.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)