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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

der Steinberg an, umschlossen von einer stattlichen Ringmauer und gekrönt von einigen Lusthäuschen; er hat ungefähr achtzig Morgen Flächenraum und erzielt den besten Rheinwein. Seine einzelnen Lagen führen von Alters her die poetischen Namen: goldener Becher und Rosengarten. Wenige Schritte weiter, und vor uns liegt das Kloster mit seinen umfassenden Gebäulichkeiten, ein Bild, das der nebenstehende Holzschnitt wiedergiebt. Ein breiter Fahrweg führt unmittelbar auf das eigentliche Kirchengebäude zu und durch die Kirche mit ihren Pfeilerreihen hindurch. Ueber drei Fuß hoch hat sich der Schutt über den eigentlichen Boden des Kirchengebäudes gelagert. Eine Mauer neuerer Entstehung, zum Theil aus zerstörten Grabmonumenten errichtet, scheidet einen Theil des Mittelschiffes und der beiden Nebenschiffe ab. Landwirtschaftlichen Zwecken dient die so geschaffene Sonderabtheilung. Südlich zeigen noch Reste der durchbrochenen Fenster prächtiges und reiches Steinwerk, doch Staub und Verfall haben die herrlichen Pfeiler und die Kreuzgewölbe ihrer malerischen Umrisse zum größten Theile beraubt. Der Altarraum, ein Stück des Langhauses und das Querschiff sind durch eine neue Mauer besonders abgeschlossen und dienen jetzt wieder als Kirche – für die Gefangenen des Correctionshauses. Hat auch hier die Zeit ihr zerstörendes Werk in vollem Maße ausgeübt, so prangen doch darin noch für Kunst und Geschichte gleich wichtige, prächtige Steindenkmale als Zeugnisse früheren Glanzes. Geistliche Würdenträger und kräftige Rittergestalten treten auf den Monumenten hervor.

Langgestreckt erscheinen die Flügelbauten, welche nunmehr die Correctionäre der Strafanstalt und die weiblichen Züchtlinge (zusammen wohl dreihundert Gefangene) des vormaligen Herzogthums Nassau, des jetzigen Regierungsbezirks Wiesbaden, beherbergen. Ein Theil der Gebäude ist zu Beamtenwohnungen eingerichtet. Ein Muster mittelalterlichen Bauwerkes ist der leidlich erhaltene Schlafsaal der frommen Brüder, im oberen Stock eines Nebengebäudes, welches an den nördlichen Querflügel der Kirche stößt. Das Dormitorium ist mit seinem zweireihigen Säulen-Kreuzgewölbe und dem laubverzierten Säulenwerk auch noch heute, eine Perle für Kenner und Freunde interessanter mittelalterlicher Bauten. In dem genannten Nebengebäude befinden sich, und zwar im unteren Stockwerke, die ehemalige Sacristei und der Capitelsaal des Klosters. Letzterer, jetzt eine Holzremise, ruht auf einer einzigen Mittelsäule. Der Kreuzgang ist leider fast ganz zerstört.

Vor allen Dingen sei aber des weltberühmten Cabinetskellers gedacht, der, wenn auch nicht für die Alterthumsforscher, so doch für Jedermann, welcher den goldperlenden Wein des deutschesten Stromes zu achten gelernt hat, besonderes Interesse bietet. Hier lagern vom Jahre 1706 an alle besten Jahrgänge, die edelsten Berglagen rheinischen Rebensaftes, die in den benachbarten ehemals herzoglichen, jetzt königlichen Domainen-Weinbergen gezogen werden. Hier träumen die Steinberger, Marcobrunner, Hochheimer, Gräfenberger, Hattenheimer, Rüdesheimer von Rhein und Liebe, von toller Lust und munteren Liedern. Es sind in Wahrheit „heilige Hallen“, die nur dem Eingeweihten zu betreten gestattet ist, und wahrhaft feierlich stellt das Innere dieses merkwürdigen Ortes sich dar. Doppelte Mauern und beschattendes Buschwerk umgeben die Cabinetskeller, die für ihre Zwecke vielleicht vortrefflichsten, welche überhaupt existiren. Um einen gewaltigen Pfeiler in der Mitte des Kellers zieht sich ein runder steinerner Tisch, groß genug, um einem tanzenden Paare genügenden Raum zu bieten. Auch an einer Nische für die Musik fehlt es nicht. Ein laufender Brunnen im Keller selbst dient zur Reinigung und Abkühlung zugleich. In großer Zahl reihen sich an den Mauern hin Fässer an Fässer, sämmtlich in eirunder Form, mit Nummern und hellblinkenden Messingkrahnen versehen.

Gottvolle Fässer, ritterlich Geschlecht!
Ihr hauchet Wonne, Lust und Lebenslust,
Ihr strömt wie helle Flammen durch die Glieder;
Es jauchzet, lag er trüb in tiefer Gruft,
Der Geist bei Euch, durch Scherz, Humor und Lieder!

Einer Eigenthümlichkeit sei hier noch gedacht. Von Zeit zu Zeit versammeln großartige Weinversteigerungen hier die Weinhändler des ganzen Rheinstroms und wohl auch Agenten fürstlicher Höfe zur Probe und zum Kauf. Die erzielten Preise sind häufig so bedeutend, daß an einem solchen Versteigerungstage. Hunderttausende gelöst werden; kein Wunder, daß bei dieser Gelegenheit nicht berücksichtigt wird, wie viele Wanderer sich an der Probe betheiligen, die nicht im Entferntesten in der Absicht kommen zu kaufen. Diese Versteigerungen waren bisher stets eine Art Volksfest für das Rheingau.

Vor Allem beachtenswerth aber in den ausgedehnten Baulichkeiten ist das ehemalige Refectorium des Klosters, das, aus dem zwölften Jahrhundert stammend, zu den auserlesensten mittelalterlichen Bauten zählt, welche der Rhein, ja welche Deutschland überhaupt ausweisen kann. Es hat vierzehn Säulen mit trefflichen Capitalen, die ein zwei Reihen drei überwölbte Schiffe bilden. Jedes Capitäl ist in der Ausführung von den andern verschieden. Schon um 1617 wurde ein großes Einfahrtsthor nach dem Klosterhofe zu in das Refectorium gebrochen, und seitdem dient dasselbe als – Kelterhaus bis auf unsere Zeit. Liebhaber von Gegensätzen finden hier reichen Stoff der Betrachtung. Der ehrwürdige Bau ist angefüllt mit sechszehn Weinkeltern, die sich an dieselben Wände lehnen, wo früher die Altäre prangten, daneben Bütten, Kübel und Bottiche, Weindrestern und Stangen, Faßdauben und Küfergeräth! Dicht neben das Refectorium erbaute die nassauische Verwaltung einen neuen Gährkeller, welcher mit dem Kelterhaus in directer Verbindung steht. –

Ganz in der Nähe dieses Weinklosters erhebt sich auf malerischem Hügel ein lustiges Winzerdorf, welches hell durch das ganze Rheingau hinüberleuchtet. Auch hier bieten sich uns Erinnerungen an einen fleißigen Arbeiter im Weinberge des Herrn. Denn in Hallgarten – so heißt das anmuthige Dörfchen – beschloß Adam von Itzstein, einer der edelsten Kämpfer für des deutschen Volkes Rechte, seine Lebenstage. Es ist gerade in unseren Tagen, ein Act der Pietät, sich eines Mannes zu erinnern, der sein Leben und seine ganze geistige und körperliche Kraft einsetzte für jene Ziele, welche uns – wenn auch’ auf anderen Wegen – durch das ereignißvolle Jahr 1866 näher gerückt worden sind. Bei der bis heute immerhin noch zweifelhaften Stellung, welche der größere Theil unserer süddeutschen Brüder dem Nordbunde gegenüber festhält, ist es eine Pflicht darauf hinzuweisen, wie eigentlich der deutsche Süden es war, der von 1815 an und vornehmlich unter Itzstein’s Leitung von 1822 bis 1846 das nationale Banner hochhielt; daß der deutsche Süden es war, der die Fahne der Bürgerfreiheit schwang und vertheidigte gegen alle einseitigen und reactionären Maßnahmen und Bedrückungen jener Zeit, und es ist eine Sache der Gerechtigkeit, daß sich die gesammte Nation gerade jetzt wieder jener leitenden Männer erinnert, die auf noch kleinem Gebiet und mit noch sehr beschränkten Mitteln den Kampf muthig geführt für die Ideen und Ziele, die nunmehr eine offenere Bahn im deutschen Vaterland gefunden. Bei näherer Betrachtung gewinnen die Bestrebungen des deutschen Südens, vornehmlich der badischen Kammern in den Zeiten der Wirksamkeit Itzstein’s, eine hochwichtige Bedeutung, und der Süddeutsche darf sie mit Recht gegenüber der häufig zu Tage tretenden Ueberschwänglichkeit „nordischer Verdienste“ zu seinen Gunsten betonen. Itzstein war in Wahrheit ein heldenmüthiger Vorkämpfer deutscher Einheits- und Freiheitsbestrebungen, geliebt und verehrt von Alt und Jung, soweit deutsches Wesen und Sitte heimisch, und mit Recht sang Johann Deeg von ihm:

Denn nicht allein die Badner Lande,
Ihn nannte Deutschland allzumal,
Vom Pregel bis zum Rheinesstrande,
Der Freiheit muth’gen General.

Hier oben auf dem bescheidenen Kirchhof des Dorfes Hallgarten hat jetzt Itzstein seine Grabstätte gefunden. Hier ruht er, müde von den Kämpfen seines thatenreichen Lebens, unter den Bürgern der Gemeinde, in deren Mitte er seine letzten Jahre verlebte, „Unter dem Volke muß man ihn sehen,“ schrieb F. Hecker, sein Mitkämpfer, von ihm, „dort giebt er dem Beobachter das Bild eines Volksmannes im besten Sinne. Leicht bewegt er sich unter Leuten jeder Art von Bildung und der verschiedensten Berufsart.“, Als Volksmann wie als Freund, stets versöhnend, stets begütigend, war er den Hallgartnern ein Vater und Rathgeber in jeder Weise, und selten ist wohl Jemand häufiger für milde und allgemeine menschliche Zwecke in Anspruch genommen worden, als Adam von Itzstein. Hieß er doch, in Folge seiner Bemühungen für wohlthätige Zwecke aller Art, so für die vielgenannten sieben Göttinger Professoren, denen er eintausendzweihundert Gulden, für Professor Jordan’s Familie, welcher er über zehntausend Gulden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_278.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)