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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

1841 begann, in der badischen Kammer ereignete. Die badische Regierung verlangte damals als ein Recht, daß kein Staatsdiener ohne ihre besondere Erlaubniß in die Kammer trete, und verweigerte in Folge dessen den Abgeordneten Aschbach und Peter den Urlaub. Itzstein war in der ganzen Frage der größte Gegner der Regierung und brachte in einer Commissionssitzung durch seine unüberwindliche Ruhe und seine schlagenden Reden den damaligen Staatsminister Freiherrn von Blittersdorff so in die Hitze, daß Letzterer mit – der Papierscheere auf ihn eindrang. Itzstein bemerkte dem erregten Gegner ganz lakonisch: „Herr Staatsminister, ich finde diese Beweisführung durchaus nicht parlamentarisch.“ Die Erinnerung an diesen Sitzungskampf hat dem alten Herrn später manche Thräne der Heiterkeit gekostet.

Itzstein, der wackere Vorkämpfer für die Ziele deutscher Einheit und Größe, wird für alle Zeiten ein leuchtendes Vorbild eines deutschen Volksvertreters bleiben, und mit vollem Rechte heißt es im Lied auf den Einsiedler von Hallgarten:

Er hat am freudigsten gestritten,
Je stärker stets sein Gegner war;
Er hat geopfert und gelitten
Und blieb sich treu, unwandelbar!

Ferdinand Heyl.




Pariser Bider und Geschichten.

Der Herr von Paris.

Vor einigen Jahren wurde ich von einem alten reichen Hagestolzen zum Frühstück eingeladen. Wir waren unser Neun bei Tische, eine Zahl, die bekanntlich bei einer classischen Tafel nicht überstiegen werden darf. Die Gesellschaft bestand übrigens aus hochgebildeten Männern, aus Künstlern, Schriftstellern und Magistratspersonen, so daß die Unterhaltung keinen Augenblick stockte. Die trefflichen Weine, auf die unser Amphitryo mit Recht stolz war, trugen nicht wenig dazu bei, die Unterhaltung zu beleben und durch manches geistreiche Wort zu würzen.

Nach beendigter Tafel begaben wir uns in den Rauchsaal, wo wir den duftigsten Mokka schlürften und eine reiche Auswahl der vorzüglichsten Havanna-Cigarren fanden. Die Fenster dieses Saales gingen auf die Elyseischen Felder, und da die Frühlingssonne am unumwölkten Himmel strahlte und eine frische stärkende Luft durch die grünen Wipfel der Ulmen wehte, so rollten die glänzenden Equipagen nach dem Boulogner Gehölz und waren die breiten Trottoirs von unzähligen Spaziergängern belebt. Berühmtheiten der Kunst und Literatur, der Wissenschaft und der Diplomatie drängten sich durch die Menge, ohne von dieser beachtet zu werden.

Wir sahen dem Treiben plaudernd zu, als einer unserer Tischgenossen – ich will ihn aus Discretion Duval nennen – uns auf einen athletisch gewachsenen, schwarz gekleideten Mann aufmerksam machte, der würdevollen Schrittes vom Concordienplatz herbeikam und just unter unserem Fenster stehen blieb, um einigen Mädchen, die mit ihren Eltern von der entgegengesetzten Richtung kamen, mehr Raum zu gönnen. Die Familie verneigte sich dankend vor ihm und setzte ihren Weg fort.

„Wissen Sie, wer der schwarz gekleidete Herr ist, der eben so artig gewesen?“ fragte Duval.

Wir schüttelten verneinend den Kopf.

„Es ist Monsieur de Paris!“ sagte Jener.

„Der Scharfrichter!“ riefen wir Alle.

„Kein Anderer!“ sagte Herr Duval, der, ein berühmter Priester der Themis, in der Lage war, den furchtbaren Rächer der beleidigten Justiz genau zu kennen. „Sieht er nicht aus wie ein Rentier, der sich von den Geschäften zurückgezogen?“ fuhr er fort. „Glücklicher Weise nimmt ihn auch sein Geschäft nur höchst selten in Anspruch, so daß er ruhig von seinem Gehalt leben kann, welches mit den Nebeneinkünften ziemlich bedeutend ist. Wahrscheinlich kommt er in diesem Augenblick von seiner schönen Wohnung auf einem der Boulevards und geht nach Courcelles, wo er ein hübsches, von Blumen und Zierpflanzen umgebenes Landhaus bewohnt, um welches ihn gar Mancher beneidet; denn so furchtbar das Amt dieses Mannes ist, so haben sich doch bei der im Jahre 1847 erfolgten Entlassung seines Vorgängers Sanson an dreißig Personen darum beworben, und unter diesen Bewerbern waren sogar mehrere Aerzte. Der Mensch will leben, und ein fixer Jahresgehalt von sechstausend Franken und eben so viel für Reisespesen hat doch etwas Verlockendes.“

Man fragte, welche Reisen der Nachrichter zu unternehmen habe.

„Es giebt in Frankreich achtundzwanzig kaiserliche Gerichtshöfe,“ antwortete Jener. „Jeder Gerichtshof hat seine Guillotine und seinen Scharfrichter. Wenn nun eine Hinrichtung außerhalb der Hauptstadt eines Gerichtsbezirkes stattfindet, muß natürlich der Scharfrichter, von der entsetzlichen Maschine begleitet, sich an den Ort der Hinrichtung begeben. Die Maschine, die vor der Reise auseinander gelegt und in eine Kiste gepackt worden, wird dort ausgepackt, um Mitternacht aufgerichtet, unmittelbar nach dem furchtbaren Acte wieder auseinander gelegt und wohl verpackt in ihre Wohnung zurückgebracht. In Paris ist sie in der Rue Folie-Regnault, Nummer 42, einquartiert und zahlt einen jährlichen Miethzins von sechshundert Franken. Was nun den jetzigen Pariser Nachrichter betrifft, so ist er ein sanfter stiller Mann. Er ist ein Südfranzose; sein Name läßt indessen auf einen holländischen Ursprung schließen. Er heißt nämlich Heidenrix.“

Es entstand eine Pause, welche durch die Bemerkung unterbrochen wurde, wie gräßlich es sein müßte, einen Menschen zu tödten, von dem man kein Unrecht erlitten, ja den man früher niemals gesehen.

„Ich bin weit entfernt, dem zu widersprechen,“ sagte Jener, „indessen macht man sich doch einen ganz falschen Begriff von der Thätigkeit des Scharfrichters. Derselbe sieht den Verurtheilten kaum einige Minuten, und dieser wird von ihm niemals berührt. Die Hinrichtungen finden am frühen Morgen statt. Beim Beginn der Morgendämmerung begiebt sich der Scharfrichter in das Gefängniß und unterzeichnet in der Schreibstube den Schein, in welchem er für das ihm anzuvertrauende Individuum haftet. Hierauf tritt er in das sogenannte Toilettenzimmer, ein dunkles enges Gemach, in welches bald der Delinquent, von dem Priester begleitet, geführt wird. Zwei Gehülfen setzen ihn auf einen Stuhl, und sobald ihm der Hemdkragen abgerissen, das Haar rings um den Nacken abgeschnitten und die Bande an Händen und Füßen befestigt sind, erscheint der Nachrichter, der sich bisher mit dem Gerichtsschreiber und den Gefängnißwärtern in einem Winkel gehalten, und faßt den Delinquenten vermittels der Band-Enden, während der Priester ihn am rechten Arme faßt. Der Scharfrichter ist schwarz gekleidet und trägt schwarze Handschuhe. Die zwanzig Schritte zum Schaffot, wohin inzwischen die zwei Gehülfen geeilt sind, werden in einigen Augenblicken zurückgelegt. Dort angelangt, wird durch eine leichte Handbewegung der Delinquent auf das verhängnißvolle Brett gelegt; der Scharfrichter drückt auf den Knopf, das Beil fällt und – das schauervolle Drama ist zu Ende.“

„Man darf indessen nicht glauben,“ fuhr er fort, „daß die Ausübung seines Amtes dem Scharfrichter keine Gemüthsbewegung verursache. Monsieur de Paris ist immer leichenblaß, wenn er das Urtheil der Justiz ausführen soll, und er verlangt unmittelbar nach der Ausführung ein Glas Wasser, um seine aufgeregten Nerven zu beruhigen. Dies mag davon herkommen, daß er einst von einem Verurtheilten, der aus Versehen nicht in die gehörige Lage gebracht worden, in die Hand gebissen wurde.“

„Wie kann man nur ein so blutiges Amt übernehmen!“ riefen Mehrere.

„Das ist nicht immer ein Act der freien Wahl,“ antwortete Jener. „Das Nachrichteramt erbt sich in der Familie von Vater auf Sohn fort, wie dies bei den Sanson geschehen ist, in deren Familie es sich länger als zwei Jahrhunderte hindurch fortgeerbt hat. Der Großvater des vor mehreren Jahren entlassenen Sanson ist mit Verzweiflung im Herzen seinem eigenen Vater in’s Amt gefolgt. Er war in Rouen geboren. Sein Vater wollte ihm eine gute Schulbildung geben lassen, der arme Junge wurde aber aus jeder Schule fortgeschickt, weil die Eltern der Schüler den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_280.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)