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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

gewahren lassen und lieber auf seine Popularität verzichten, als einem Napoleoniden die Hand reichen.“

„Ganz Frankreich wird ihn zwingen, uns beizustehen. Noch schwankt sein Thron, noch ist seine Herrschaft keineswegs befestigt. Er ist verloren, wenn er Italien nicht unterstützt, die Freiheit verräth und die dreifarbige Fahne ungestraft beschimpfen läßt,“ erwiderte der Prinz mit Heftigkeit.

„Sie täuschen sich,“ versetzte Robert, „über die gegenwärtige Stimmung in Frankreich. Die allein mächtige Bourgeoisie, welche Louis Philipp auf den Thron gesetzt, sehnt sich nach Ruhe. Sie kennt nur ein Losungswort: Geld und Genuß.“

„Aber das Volk und das Heer, die den Kaiser anbeteten!“ unterbrach ihn heftig der Prinz.

„Das Volk ist von Parteien zerrissen, das Heer unentschlossen, ohne Führer.“

„Man hat uns vergessen!“ rief schmerzlich der Prinz.

„Ich bin Ihnen die Wahrheit schuldig, wenn Sie auch darunter leiden.“

„Ich glaube Ihnen, obgleich die Berichte unserer Agenten anders lauten. Unsere Freunde in Paris haben uns die Lage weit günstiger dargestellt, so daß ich im Begriff stand, mich der Revolution anzuschließen.“

„Mißtrauen Sie diesen von Leidenschaft erfüllten Fanatikern, lassen Sie sich nicht von den geheimen Agenten verführen, welche bei jeder Revolution nur zu gewinnen suchen. Namen wie der Ihrige üben einen eigenen Zauber aus, sind aber zugleich einer großen Gefahr ausgesetzt, als Spielball der Parteien zu dienen. Vergeben Sie meiner Aufrichtigkeit, aber nach meiner Ueberzeugung dürfen Sie nicht dem Schicksal vorgreifen, nicht auf die Stimmen des Ehrgeizes hören, wenn Sie nicht als Abenteurer enden wollen.“

„Ich danke Ihnen für Ihre Warnung, obgleich Sie meine schönsten Hoffnungen zerstören. Was aber auch kommen mag, so rechne ich darauf, daß Sie mein Freund, der Freund meiner Familie bleiben werden.“

In der That schien der Prinz seit dieser Unterredungen seine gefährlichen Pläne gänzlich aufgegeben zu haben, indem er sich hauptsächlich auf den uneigennützigen Rath Robert’s entschloß, den Bitten seiner Gattin nachzugeben und das aufgeregte Rom mit dem ruhigen Florenz zu vertauschen, wo er fortan in der Nähe seines Vaters, des früheren Königs von Holland, fern von allen revolutionären Umtrieben, zu leben gedachte.

Indeß war die Gefahr keineswegs beseitigt, da die Verschwörung im Stillen ihren Fortgang nahm, wenn gleich der Prinz sich nicht mehr daran betheiligte. Nachdem er sich zurückgezogen, richteten die Mitglieder der geheimen Gesellschaften jetzt ihre Blicke auf seinen jüngeren Bruder Louis, der augenblicklich noch bei seiner Mutter in Arenenberg am Bodensee verweilte, aber zu dieser Zeit in Rom erwartet wurde, wo die Königin Hortense die Wintermonate bei ihrer Familie zu verleben pflegte.

Einige Wochen später fand eine Versammlung der Carbonari in den römischen Katakomben statt; unter den Verschworenen befand sich ein junger Mann von ungefähr einundzwanzig Jahren, der von allen Anwesenden mit besonderer Auszeichnung behandelt wurde.

Trotz seiner Jugend machte sich seine geistige Überlegenheit bald bemerkbar, obgleich seine Züge keineswegs seine Bedeutung sogleich verriethen. Die kurze, gedrungene Gestalt ließ ihn, besonders wenn er stand, kleiner erscheinen als er wirklich war, entbehrte aber nicht einer gewissen Kraft und Eleganz, gepaart mit selbstbewußter Würde. Auf den ersten Anblick zeigte sein Gesicht einen träumerisch apathischen Ausdruck, eine schläfrige Abspannung, die jedoch nur den oberflächlichen Beobachter wie eine vorgehaltene Maske täuschen konnte. In Momenten der Aufregung schwand plötzlich die natürliche oder nur erkünstelte Ruhe, die matten Augen leuchteten, der verschlossene Mund öffnete sich, die starre Physiognomie belebte sich wunderbar und verrieth fast wider Willen eine seltene Intelligenz, eine glühende Phantasie und Leidenschaftlichkeit, die jedoch stets durch den berechnenden Verstand gezügelt und beherrscht wurde, während eine ungewöhnliche Energie den Grundzug seines Charakters bildete und sich in seinen Reden und Bewegungen offenbarte.

Der junge Mann war der Bruder des Prinzen, Louis, der gegenwärtige Kaiser der Franzosen, damals nur noch ein unbekannter Verschwörer, verzehrt von Ehrgeiz, berauscht von den zauberischen Erinnerungen seines Geschlechtes.

„Ihr habt mein Wort,“ sagte er zu den Genossen, „das Wort eines Napoleoniden. Ich bin der Eurige und will für die Freiheit und Einheit Italiens mit Euch leben und sterben.“

„Schwöre!“ rief der Vorsitzende der Carbonari.

Auf einen Wink desselben richteten die Mitglieder der geheimen Gesellschaft ihre bisher verborgenen Dolche gegen die Brust des jungen Mannes, der trotz seiner Selbstbeherrschung kaum merkbar zitterte.

„Möge mich der Tod von Eurer Hand treffen, wenn ich jemals die Freiheit verrathen, die Einheit Italiens jemals antasten sollte!“

„Tod dem Verräther!“ riefen die Verschwornen, indem sie einzeln die dunklen Katakomben verließen.

Louis aber schlug den Weg nach dem Palaste des Fürsten Ruspoli ein, wo ihn seine Mutter, die Königin Hortense, mit Ungeduld erwartete. In ihrer Gesellschaft befanden sich sämmtliche älteren Mitglieder der Familie Bonaparte, der Fürst Lucian von Canino, Jerôme, der frühere König von Westphalen, und der Cardinal Fesch, der Oheim des Kaisers. Nur die greise Lätitia, die unglückliche Ahnherrin des berühmten Geschlechtes, fehlte heute, da sie durch einen Bruch ihres Fußes, den sie sich bei einem Ausgange zugezogen hatte, an ihr Lager gefesselt wurde. Bei seinem Eintritte richteten sich die Blicke aller Anwesenden auf den jungen Mann, der eine vollkommene Unbefangenheit heuchelte, obgleich er sogleich ahnte, daß die Versammlung zu so ungewohnter Stunde nur ihm allein gelten konnte.

„Louis,“ sagte die bekümmerte Mutter, „Deine Verwandten sind unzufrieden mit Deinem Verhalten. Sie haben sich bei mir beklagt, daß Du durch Deine Thorheiten ihren Interessen schadest, unseren Namen compromittirst.“

„Das sind harte Beschuldigungen,“ erwiderte er mit erkünstelter Ruhe, „die ich hoffentlich leicht widerlegen kann.“

„Du hast Dich,“ nahm jetzt der Cardinal Fesch das Wort, „vielfach auf dem Corso sehen lassen mit der verpönten Tricolore an der Schabracke Deines Pferdes, obgleich Du weißt, daß die dreifarbigen Bänder in Rom verboten sind.“

„Ich glaube, daß Sie mir am wenigsten einen Vorwurf daraus machen können, da Sie selbst einst die Tricolore trugen.“

„Das waren damals andere Zeiten,“ versetzte der Kirchenfürst verlegen. „Man muß sich in die gegebenen Verhältnisse schicken, um jeden Verdacht zu vermeiden. Außerdem suchst Du geflissentlich die Gesellschaft berüchtigter Verschwörer, mit denen Du vorzugsweise hier verkehrst. Die Polizei beobachtet Dich.“

„Mag sie mich beobachten, wenn es ihr Vergnügen macht. Ich verachte diese geheimen Spione und Sbirren einer ohnmächtigen Regierung.“

„Aber wir sind dieser Regierung zu großem Dank verpflichtet,“ bemerkte Lucian. „Sie allein hat uns ein Asyl gewährt, als wir von der ganzen übrigen Welt mit Verachtung zurückgewiesen wurden, verfolgt und verbannt, nirgends eine Zufluchtsstätte fanden. Der verstorbene Papst war unser Wohlthäter und hat uns zu einer Zeit beschützt, wo wir nur Feinde und Gegner hatten. Die gewöhnliche Klugheit verlangt, daß wir den römischen Stuhl schonen.“

„Der Stuhl ist zerbrochen und der geringste Anstoß wird ihn zertrümmern. Zwar verkenne ich nicht die persönlichen Verdienste des verstorbenen Papstes, aber das darf uns nicht abhalten, die weltliche Herrschaft des Papstthums zu bekämpfen, als das Haupthinderniß für die Freiheit und Einheit Italiens, gerade wie der Kaiser sie bekämpft hat.“

„O, Du bist unverbesserlich,“ rief der erzürnte Cardinal. „Wenn Du so fortfährst, vermag Dich selbst mein Ansehen nicht länger zu schützen. Der Gouverneur der Stadt ist heute schon bei mir gewesen und hat mich aufgefordert, Deiner Mutter den Rath zu ertheilen, Dich auf einige Wochen aus Rom zu entfernen, um Dir große Unannehmlichkeiten zu ersparen. Obgleich ich dem Gouverneur das Recht zu einer solchen Maßregel bestritten habe, so lange keine begründete Klage gegen Dich vorliegt, so halte ich es doch für gerathen, den gegebenen Wink zu beherzigen.“

„Und was sagt meine Mutter?“ fragte Louis, den Blick auf das liebevolle Gesicht der Königin Hortense gerichtet.

„Du weißt, mein Sohn,“ sagte die so vielgeprüfte Frau

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_303.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)