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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Purrrrr! –“ machte der neuhinzugekommene Gast, ein solider Fünfziger mit kleinen goldnen Ringen in den Ohren, einem vergnügten glattrasirten Gesicht, aus dem ein paar kleine vergißmeinnichtblaue Augen unter röthlichen Wimpern hervorblinzelten, und einem Anzug, der vor zehn Jahren die neueste Mode gewesen war, nämlich enganschließenden Nankinghosen und einem blauen Frack mit goldenen Knöpfen. Er stellte seinen hohen grauen Filzhut auf einen Stuhl und fing an mit einem Taschenkämmchen seine etwas schiefgerückte blonde Perrücke zu frisiren. Dabei beobachtete er den jungen Fremdling scharf von der Seite, offenbar im Zweifel, was er aus ihm machen solle.

„Denken Sie nichts Unrechtes, Herr,“ sagte Gabriel nach einer Pause. „Das wunderliche Kind hat einen sehr harmlosen Scherz mißverstanden und mir nun selbst durch ihr Davonlaufen die Erklärung abgeschnitten.“

„Hm, hm!“ brummte der Andere, und seine Mienen wurden wieder ganz menschenfreundlich, „mir wär’ auch gar nicht bange, daß Einer den Scherz mit der Traud zu weit treiben könnte. Die hat Haare auf den Zähnen und weiß sich zu wehren. Und doch wünscht’ ich ihr, daß einmal der Rechte käme, dem es Ernst mit ihr wäre. Ja, ja, so ein Mädel! Der bravste Mann könnte Gott danken, wenn er sie kriegte. Hm, hm! Eine Prise gefällig?“

Gabriel nahm Anstandshalber ein paar Körnchen des grauen Schneebergers aus der silbernen Dose und rückte, die Höflichkeit zu erwidern, einen Stuhl für den Stammgast zurecht. „Sie sind ihr Onkel, wenn ich recht verstanden?“ fragte er.

„Nicht doch,“ erwiderte der Andere. „Ich wollt’ ich wär’s, dann nähm’ ich sie heute noch hier aus dem Mäusethurm weg und in meine Junggesellenwirthschaft, und wenn ich stürbe, wäre sie meine Erbin. Es ist nur so ein Spaß zwischen uns, daß ich mich ihren Onkel nenne, wissen Sie. Vorm Jahr um diese Zeit – nu, Sie werden keinen Gebrauch davon machen – da hab’ ich alter Narr mir wahrhaftig noch eingebildet, sie sollte mich mit einem ganz anderen Namen nennen. Sie war gescheiter als ich und hat mich ausgelacht, und da hab’ ich ein paar Tage gebrummt und bin weggeblieben. Aber hernach hab’ ich mich besonnen, daß das noch närrischer sei, mit ihr trutzen zu wollen, und hab’s auch nicht recht aushalten können zu Hause, und wie ich wiedergekommen bin, hab’ ich ihr gesagt: ,Darum keine Feindschaft, Traud; zehn Jahre hast Du Zeit, Dich anders zu besinnen, so lange bleibe ich Dir aufgehoben, Du brauchst nur zuzugreifen; aber drüber hinaus steh’ ich für nichts, und so lange will ich Dein Onkel sein, und versprich mir nur, daß Du mir’s zuerst klagen willst, wenn Du etwa einen Kummer hast? Nun, daran fehlt’s keinem Mutterkind, und so hatt’ ich bald genug was zu trösten; denn Sie müssen wissen – es bleibt aber unter uns – schon vor zwei Jahren, als sie noch sechzehnjährig war, hatte sie sich mit einem jungen Landwirth aus ihrem Dorf so gut wie versprochen, und nun heirathete der plötzlich eine reiche Bauerntochter, und auf den Brief, den sie ihm bei dem ersten Gerücht davon schrieb, hat er nicht einmal geantwortet. Seitdem ist sie nimmer die Alte, und obwohl es ihr hier an nichts fehlt – denn ihre Pathe hält die größten Stücke auf sie, und Jeder, der sie kennt, und ich selbst muß sagen, da ich nun seit fünf Jahren hier aus und ein gehe, es ist kein ungutes Fädchen an dem ganzen Mädchen – aber so recht von Herzen froh ist sie nicht mehr geworden. Hm, ja, wissen Sie!“

Er trank tiefsinnig das erste Glas von dem Schoppen, den ihm der Wirth, ohne zu fragen, gebracht hatte. Dann seufzte er und fuhr sich mit der Hand über die Stirn und unter sein Toupet, als würde es ihm zu warm darunter.

„Sie ist noch so jung,“ sagte Gabriel, den die zutrauliche Redseligkeit seines neuen Bekannten wohlthätig von seinem eigenen Sinnen ablöste. „Sie wird sich mit der Zeit trösten und nicht als eine Klosterfrau sterben.“

„Gewiß nicht, Herr,“ sagte der ,Onkel’. „Ich hab’ sie einmal darüber befragt. ,Wenn ein braver Mensch kommt’, hat sie gesagt, ,der mir nicht zuwider ist und sein Auskommen hat, warum sollt’ ich ihn nicht nehmen? So lieb wie den Lorenz kann ich freilich nie wieder einen Menschen haben. Aber was hat mir meine große Liebe geholfen? Unglücklich hat sie mich gemacht, und ich seh’ wohl, es ist nicht gescheit, einen Menschen so heftig zu lieben, daß man meint, ohne ihn müsse man das Leben hassen. Wenn er uns im Stich läßt, so sitzen wir recht erbärmlich da und haben das Nachsehen. Nein, sagte sie, ,ich will ihm den Gefallen nicht thun, um seinethalb mein bischen Leben zu vertrauern!’ – Sehen Sie, so sind unsere Mädchen hier am Rhein. Es geht ihnen wohl auch Alles nah, wie Anderen; aber wenn’s eben nicht sein kann, so kann’s eben nicht sein, und wer nicht alle Neun schiebt, kann immer noch einen Kranz werfen, wissen Sie. Darum ist mir auch für Traud gar nicht bange, desto mehr für mich und uns Alle, die wir uns nun seit Jahren an das liebe Gesicht gewöhnt haben. Hm, ja! ’s ist ein Kreuz.“

„Was meinen Sie damit?“

„Je nun, sie will mit Gewalt aus dem Haus, nicht etwa nach ihrem Dorf zurück, nur so zum Besuch; denn ihre Mutter hat noch sechs jüngere Kinder und ist eine Wittfrau und froh, die Traud hier bei der Pathe so gut aufgehoben zu wissen. Weiß Gott, wer dem eigenwilligen Ding in den Kopf gesetzt hat, sie müsse endlich auch einmal etwas Anderes sehen und thun, als was in einem Weinhaus zu erleben ist, und nun hat sie einen Dienst angenommen als Hausmädchen bei reichen Leuten. Sie wird sich wundern, wie ihr das vorkommen wird nach dem ungebundenen Leben hier, wo Alles sich um sie gedreht hat. Indessen, es muß eben Jeder durch Schaden klug werden. Aber was fang’ ich an, als Onkel ohne Nichte? Alle Gemüthlichkeit ist weg aus dem Mäusethurm, und was hilft nur die gute Küche der Frau Wirthin, wenn die Traud nicht mehr, Wohl bekomm’s!’ dazu sagt?“

Der Arme stützte dabei den Kopf so heftig in die Hand, daß das Toupet noch einen Zollbreit von der Stirn zurück rutschte, und schloß eine Weite die Augen, als könne er der öden, unheimlichen Zukunft nicht in’s Gesicht sehen. Gabriel fühlte ein lebhaftes Mitleiden.

„Wenn es nicht unbescheiden ist, zu fragen,“ sagte er: „warum haben Sie, mit Ihrem Bedürfniß nach Häuslichkeit und Menschen, für die Sie sorgen könnten, nicht geheirathet, Herr Rentmeister? Und da Sie noch in den besten Jahren sind, warum thun Sie es nicht noch jetzt, lieber heut’ als morgen?“

Der Gefragte öffnete schwermüthig die Augen und sagte: „Lieber Herr, warum ist der Mensch ein Thor, eh’ er zur Vernunft kommt? Sehen Sie, ich dachte, wie so Viele denken: die Beste wäre gerade gut genug für mich, und das ist der pure Unsinn. Die Erste Beste, wenn sie nur nicht übel ist, wird endlich die Allerbeste, wenn sie einem gut ist und man sich zwanzig Jährchen an sie gewöhnt hat. Ich hab’ mir Wunder was eingebildet, so lang’ ich ein junger Sausewind war, wie Sie – nichts für ungut! – und Die war mir nicht schön genug, und Jene nicht gebildet, und eine Dritte zu fromm, und Nummer Vier zu weltlich, und so fort. Und jetzt, wo das Spiel quarte-sept steht und, wenn ich nicht endlich zugreife, ich mit leeren Händen stehen bleiben werde bis an den jüngsten Tag, jetzt mein’ ich wieder, accurat wie die Traud müsse das Weib aussehen, mit dem ich glücklich werden sollte. Ein alter Esel bin ich, das weiß ich wohl – ganz unter uns gesagt –; denn was hilft mir mein bequemes Häuschen und Hab’ und Gut und Alles? Wenn Andere sich des Abends an einen Tisch setzen, wo so ein halb Dutzend Rangen herumsitzen und eine liebe Frau, bleibt mir nichts übrig, als in ein Weinhaus zu schleichen und mit anderen mißvergnügten alten Knaben ein einfältiges Spiel zu machen um ein paar Batzen. Und komm’ ich dann nach Haus, – statt im Dunkeln ein paar schlafende Kinderköpfe zu streicheln und noch ein paar Worte mit meinem Weibe zu wechseln über Dies und Das, hör’ ich nur meinen Kater schnurren auf seinem Stuhl am Ofen, und wenn ich die Nacht wegsterbe, – meine alte Köchin oder der Stiefelputzer fragen vor Allem danach, ob ich ihnen ein Legat ausgesetzt habe, und hier im Mäusethurm trinkt keiner den nächsten Abend einen Schoppen weniger, außer ich selber. Ja, ja, das ist das goldene Junggesellenleben, von dem die Ehemänner sprechen oder die jungen Herren, die’s nicht probirt haben. Zugreifen, so lang’ es noch Zeit ist, und nicht in der Suppe herumlöffeln, bis sie einem kalt geworden ist, das ist die wahre Weisheit, wissen Sie. Aber um Vergebung, daß ich Sie mit solchen Reden gelangweilt habe. Man ruft da drinnen nach mir. Es scheint, es fehlt ein vierter Mann. Hat mich sehr gefreut, Ihre werthe Bekanntschaft – und was ich geschwatzt habe, bleibt unter uns nicht wahr? Hm, ja, – guten Abend!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_308.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)