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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

das geheime Civilcabinet des Königs ist, gelangen. Es ist dort eine besondere Hausthür gebrochen, durch welche die Minister und jetzt die Bundesräthe vorzugsweise ihren Weg nehmen, denn deren Räume liegen auf der linken Seite des Gebäudes. Dort haben sie auch im Seitenflügel ihren großen Conferenzsaal, der ursprünglich dem stenographischen Bureau diente. Nachdem im vorigen Jahre die Stenographen zwei Arbeitszimmer hinter dem Hauptsaale erhalten hatten, wurde dieser Saal zur Zeitungshalle eingerichtet. Des Zollparlaments wegen ist diese jetzt in den Neubau hinter der Restauration mit der Aussicht auf den alten Festungsgraben und den Spielplatz der Gewerbeschule verlegt. Es war das unvermeidlich, weil sonst kein für die achtundfünfzig Bundesräthe ausreichender Raum nahe dem Parlamentssaale und der Kanzlei vorhanden ist, zu welcher hier ein zweiter Aufgang, eine eiserne Wendeltreppe, führt. Ueber diesem großen Conferenzsaale liegen noch zwei Abtheilungszimmer und der Gang zur Hof- und zur Diplomatenloge. Auch dorthin gelangt man mittels der Wendeltreppe.

Da wir nicht zum Bundesrathe gehören, so gehen wir über den Hof, die breite Treppe hinauf, durch eine der drei Thüren, durch ein kleines Vorhaus und kommen so in einen Flur, der nach rechts und links führt. Dem Eingang gegenüber ist eine eiserne Thür, durch die man zu den übrigen reservirten Tribünen oder Logen gelangt. Rechts führt der Gang zur Restauration, links zum Sitzungssaale, auch zu den Räumen der Bundescommissarien und endlich zu einer dritten Treppe, welche den Haupteingang zur Bibliothek und den einzigen Eingang zu derselben für Alle bildet, die nicht direct aus dem Sitzungssaale zu ihr hinaufgehen. Der linke Theil dieses Flurs, der in seiner Länge quer vor dem größten Theile des Hintergebäudes liegt und fast den ganzen Verkehr zwischen den verschiedenen Räumen vermittelt, dient zugleich als Garderoberaum.

Der Parlamentssaal ist im Innern, also ohne die Tribünen, die nirgend über die untere Umfassungswand hineinragen, vierundvierzig Fuß breit und doppelt so lang. Er ist hoch und hell; sein Tageslicht empfängt er von den Tribünen an der Nord- und Ostseite und vom Dache. Als er im vorigen Jahre um zwanzig Fuß verlängert wurde, hat man ihn ohne Luxus, aber in würdigem Stile ausgestattet, die Farben sind sehr gut gewählt und bei Gasbeleuchtung gewährt er sogar einen glänzenden Anblick. Früher war er wegen schlechter Heizung und Lüftung verrufen. Diese Uebel wurden im vorigen Jahre auch beseitigt. Die Einrichtungen, welche die Herren Elsner und Stumpf zu diesem Zwecke angebracht, haben sich, sobald die Bedienungsmannschaft damit umzugehen wußte, im Ganzen vortrefflich bewährt. In einer Höhe von ungefähr neun Fuß vom Boden liegt ein durchbrochener Fries, aus welchem gewärmte und kalte Luft einströmen kann. Außerdem sind in den vier Ecken des Saales Heizungsröhren angebracht, durch deren Verkleidung diese Ecken abgestumpft sind.

Der Präsident hat seinen Platz nicht, wie im englischen Unterhause, an der dem Haupteingange gegenübergelegenen schmalen Wand und die Mitglieder sitzen nicht blos längs den beiden Langwänden, rechts und links, sondern er hat seinen Hochsitz in der Mitte einer Langwand und die Versammlung theils zu beiden Seiten, theils auch vor sich. An der andern Langwand, dem Präsidialbureau gegenüber, sitzen die Bundesräthe hinter einem langen, nur auf der rechten Seite einmal durch einen Gang unterbrochenen Tische. Im preußischen Abgeordnetenhause haben die Minister nur das mittlere Stück inne, und unmittelbar daneben befinden sich rechts und links für die Abgeordneten drei Bänke, die der Wand entlang stehen. Diese Bänke haben jetzt vor den zahlreichen Bundesräthen weichen müssen. Es sind dadurch für die Abgeordneten einundzwanzig Plätze auf jeder Seite des Ministertisches, also im Ganzen zweiundvierzig Plätze, verloren gegangen. Die Hälfte rechts gehörte den Freiconservativen, die Hälfte links den Nationalliberalen. Außer den Plätzen auf dem Präsidialbureau hat das Abgeordnetenhaus vierhundertachtunddreißig Sitzplätze, für das Zollparlament sind also dreihundertsechsundneunzig Plätze vorhanden, vierzehn über den Bedarf. Für diese Plätze dienen einfache Bänke mit Sitzen aus Stuhlrohr und gepolsterten, roth überzogenen Rücklehnen. Wenn das Haus sich leert, so wird das durch diese scharfhervorleuchtenden Polster sofort bemerklich. Die Bänke, welche rechts und links von dem langen Hauptgange stehen, haben sechs Plätze, die übrigen, welche mit dem einen Ende die Wand berühren, fünf. In der Mitte des Saales vor den Bänken stehen zwanzig Stühle, je einer rechts und links an der Rednerbühne, je sechs weiter rechts und links und sechs im eigentlichen Centrum. Von diesen Stühlen sind die letzteren sechs am gesuchtesten, weil sich zwischen je zweien ein Tischchen befindet. Vor den Plätzen in den Bänken hängen Brettchen, die sich aufklappen lassen und dann einen Tisch ersetzen sollen. Für die Zuhörer in der Kirche würden dieselben gerade groß genug sein, um das Gesangbuch darauf zu legen. Im Herrenhause sind die Sitze etwas besser eingerichtet.

Im Allgemeinen ist überall die englische Sitte nachgeahmt, daß die Freunde des Ministeriums rechts und die Gegner links vom Präsidenten Platz nehmen, aber nicht immer ist sie anwendbar. In den Jahren 1862 bis 1866, als drei Fünftel aller preußischen Abgeordneten zur entschiedenen Opposition und kaum ein Fünftel zur ministeriellen Partei gehörten, fand blos die Fraction der deutschen Fortschrittspartei auf der linken Seite Raum; die Fraction des linken Centrums, die sich von ihr nicht im Programm, nur in der Taktik einigermaßen unterscheiden wollte, mußte mit der kleinen ministeriellen Partei und mit den Altliberalen, die eigentlich in’s Centrum gehörten, sich auf der rechten Seite niederlassen. Die Plätze im Centrum waren damals von der Fraction der specifischen Katholiken belegt. Diese Fraction besteht im Abgeordnetenhause nicht mehr, sie wurde seit 1861 bei jeder Neuwahl kleiner, und jetzt sind im Abgeordnetenhanse kaum noch Zehn, die zu ihr gehört haben oder die, wenn sie noch bestände, sich ihr anschließen würden. Sie haben ihren Platz im Centrum behauptet. Die übrigen Plätze sind dort von den Altliberalen nun nach und nach eingenommen worden. Im großen Ganzen finden die Parteien des Abgeordnetenhauses sich im Zollparlament wieder und auch, so weit die veränderte Einrichtung es gestattet, auf denselben Plätzen

Rechts dem Stenographenraum gegenüber gehören die vier ersten Bänke noch immer der Fraction des linken Centrums, die sich jetzt auch wohl „freie Vereinigung“ nennt. Weiter nach dem wirklichen Centrum und im Centrum haben die Altliberalen, die sich „rechtes Centrum“ nennen, belegt. Also sitzt das linke Centrum weit mehr nach rechts als das rechte Centrum. Außer den beiden letzten Reihen gehören die übrigen Plätze auf der rechten Seite den beiden conservativen Fractionen, der „Fraction der Conservativen“ und der „conservativen freien Vereinigung“ (was in „freiconservativ“ zusammengezogen ist). Auf der linken Seite gehört die Stuhlreihe dem Stenographentisch gegenüber während des Zollparlaments den specifischen Hannoveranern; die beiden ersten Bänke dahinter gehören eigentlich den Polen. Diese wollen aber am Zollparlament wenig Theil nehmen und haben alle Plätze bis auf drei preisgegeben. Drei Plätze behalten sie für den „Beobachtungsposten“, den sie ausstellen. Durch diesen werden sie benachrichtigt, wenn eine Frage zur Entscheidung kommen sollte, welche polnische Interessen berührt, denn dann eilen sie herbei. Weiter nach dem Centrum, jenseits des langen Ganges, der durch den ganzen Saal führt, sind die fünf unteren geraden Bänke und ein Theil der sechsten Bank von der deutschen Fortschrittspartei besetzt. Das Stückchen Centrum, das vor diesen Bänken ist, und fast alle übrigen Bänke auf der linken Seite sind für die Nationalliberalen, deren Zahl im Zollparlament ungefähr Hundert beträgt, in Beschlag genommen.

Die Abgeordneten, die sich keiner Fraction anschließen, die sogenannten „Wilden“, pflegen entweder im Centrum oder auf der äußersten Rechten oder Linken, nahe der Langwand einen Platz zu belegen.

Diese letzteren Plätze sind in der Woche vor der Parlamentseröffnung durch Süddeutsche belegt worden, auf der äußersten Rechten durch die Würtemberger und die specifischen Baiern; die Letzteren haben außerdem die letzten Bänke hinter den Conservativen genommen; auf der äußersten Linken tragen die ersten Bänke die in diesem Saale neue Bezeichnung „Volkspartei“, die hintern Bänke sind den nationalliberalen Vertretern Badens zugefallen. Hätte Rothschild den Platz, den er zuerst gewählt hatte, behalten, so hätte er die nächste Berührung mit der Volkspartei gehabt. Nachdem er aber gesehen, welche Nachbarn er bekäme, ist er in’s Centrum zu den Altliberalen ausgewandert. Im Allgemeinen sind die Süddeutschen bei

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_310.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)