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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Wasser. Das Mehl wurde nun in einem Trinkblech mit Wasser angerührt und so genossen. Nachher wurden abwechselnd auf der Spitze des Mastes Signale gegeben, um zu zeigen, daß noch Leben an Bord sei. Als aber die ersehnte Hülfe trotzdem ausblieb, kamen die Matrosen und Soldaten, die noch übrig geblieben waren, auf den Gedanken, die ringsumher zerstreuten Trümmer und Balken zu einem Flosse zusammen zu fügen, um auf diesem mit der nächsten Fluth Rettung zu suchen.

Aber die Fluth kam rascher, als man gedacht, und das Verdeck mußte wieder, ehe das Floß auch nur zu Hälfte fertig war, geräumt werden. Um die Noth der Schiffbrüchigen noch zu vermehren, schwammen jetzt auch starke Eismassen heran und drohten das Schiff völlig zu zertrümmern. Es wurde dabei wiederum Nacht und noch immer keine Hülfe. Die Schiffswände krachten unter den Stößen der Eisblöcke wieder ganz entsetzlich, aber sie hielten trotz alledem auch jetzt noch zusammen. Endlich begann es wieder zu tagen der dritte Morgen seit dem Schiffbruch. Dort in der Ferne zeigte sich auf’s Neue der wohlbekannte Mastenwald, allein kein rettendes Boot kam erlösend näher.

Mit eintretender Ebbe wurde dann wieder am Floßbau gearbeitet, rastlos, aber erfolglos. Den Hungerigen und Ermatteten versagte die Kraft und die Arbeit mußte eingestellt werden. Kaum daß man noch im Stande war, von der Spitze des Mastes herab nach wie vor Signale zu geben – Signale, an deren Erfolg schon Niemand mehr zu glauben wagte. Zum Sterben bereit, setzten sich die Einen wieder in den Mastkorb, die Anderen suchten sich sonstwo ein Plätzchen, ohne jetzt noch lange zu wählen. Was that’s auch, ob man von hier oder von dort aus in den ewigen Schlaf ging? Jetzt endlich, als schon Alle verzweifelten, am Nachmittage des dritten Tages nach dem Schiffbruch, erscholl plötzlich auf’s Neue der Ruf: „Ein Boot! Ein Boot! Alles wurde wieder lebendig, hinstarrend und die Arme ausstreckend nach diesem neuen Zeichen der nahenden Rettung. Und hinter dem einen Boote sah man bald noch andere. Sie steuerten alle heran auf das Schiff. Auch sollten diese neuen Zeichen der endlichen Hülfe nicht mehr trügen. Wackere Bewohner der Insel Texel waren es, die heran kamen, um den Gestrandeten ihren Beistand zu bringen. Den Rettern wurden Seile zugeworfen und ihre Boote legten an. Zwei dieser Fahrzeuge genügten, um die ganze noch übrige Mannschaft aufzunehmen. Es waren ihrer noch neunundzwanzig Soldaten, darunter die Officiere Wernecke, Keim und Dümmler, und außer diesen noch elf Matrosen. Aber sie sahen Alle mehr dem Tode als dem Leben ähnlich.

Die Boote segelten mit ihren Geretteten an der französischen Flotte vorbei und landeten in einer Bucht, nahe dem Dorfe Horn. Mühsam, aber mitleidig unterstützt von kräftigen Armen, schleppten sie sich in die Wohnungen ihrer menschenfreundlichen Retter. Einen derselben, den wackeren Lootsen Clas Dalen, nennt die Quelle, der wir zum Theil unsern Bericht entlehnen, mit Namen. Drei Tage blieben die Geretteten unter sorgsamer Pflege in Horn. Sie hatten hier bereits Zeit, ihre Todten zu zählen. Von den Nassauern allein hatten nicht weniger als zweihundertunddreißig auf der Haaksbank ihr feuchtes Grab gefunden, unter diesen auch zwölf Officiere. Von Horn wurden die Geretteten nach Bergen gebracht, um hier unter ärztlicher Obsorge ihre volle Genesung zu erwarten. Nur noch Einem war es beschieden, sie nicht zu finden. Einem Corporale waren die erfrorenen Glieder brandig geworden; unter der ärztlichen Pflege zu Bergen ging er in Folge dessen heim zu seinen todten Cameraden. Der Rest unserer Helden aber, der die Katastrophe glücklich überstand, trat am 26. März 1814 zu Herzogenbusch wieder in’s Regiment ein. Ihre Stunde zu froher Heimkehr in den sonnigen Rheingau war leider noch immer nicht gekommen. Die Nachricht von dem großen Unglück auf der Haaksbank aber eilte ihnen um Jahre voraus, von Hütte zu Hütte, von Thal zu Thal, von Berg zu Berg. Noch jetzt geht die Sage davon düster und schwer durch das Land, und manch’ stilles Taunusbäuerlein wird gesprächig, wenn es aufgefordert wird, zu erzählen, was es davon erfahren hat. Ist doch vielleicht gar seiner eigenen Mutter Bruder dabei gewesen, als die Fünfzig auf einmal hinabgespült wurden in die See!






Eine Mitternachtsstunde unter Haberfeldtreibern.

„Halt! Werr-r–da!!“ rief uns eine Stimme mark- und beindurchschneidend entgegen, und ohne in der undurchdringlichen Finsterniß einer sternlosen, von dichten Isarnebeln umfangenen Novembernacht auch nur Contouren zu erkennen, hörte ich gleichzeitig das rasche Knacken eines Hahnes und fühlte das kalte Eisen eines Gewehrlaufes mir unsanft auf die Brust gedrückt. Ich war verwirrt. War es Wirklichkeit? War es eine Vision? Waren es die Geister des alten Bieres, das wir in trauter Gesellschaft im Bürgerbräu zu Tölz so reichlich genossen, daß wir erst in später Nachtstunde schwanken Schrittes den Weg nach L. angetreten haben? Tausend Gedanken schossen mir wirr und bunt durch den Kopf.

Erst die Frage: „Woas wöllt’s ös?“ weckte mich aus diesen Betrachtungen und führte mir scharf und klar die Gefährlichkeit meiner Lage vor Augen, doch gaben mir Ton und Anstrich von altbaierischer Gutmüthigkeit, mit dem diese Worte gesprochen wurden, wieder Hoffnung und Muth. Hatten es die kalten Herbstnebel bewirkt, war die Gewehrmündung auf meiner Brust die Ursache davon: gleichviel, die Befangenheit meiner Sinne war geschwunden; mit einer Bestimmtheit, mit einer Verstandesklarheit, als ob ich seit Wochen keinen Tropfen alten Bieres gesehen hätte, sagte ich, daß wir, mein College und ich, eben im Begriffe seien, in unsere Wohnung nach L. zurückzukehren. Ich hatte während dieser Rede den Gewehrlauf erfaßt und ihm eine andere weniger gefährlichere Richtung gegeben. „Koin Schritt vorwärts oder i schieß’!“ war die Antwort auf mein Beginnen.

Mein Freund, ein harmloser Schwabe, wollte einen Discurs anfangen und sich Aufklärung über das Warum und Weshalb unserer Lage verschaffen, aber kein Wort war herauszupressen aus den schweigenden Lippen unseres Gesellschafters, und so blieben wir eine Weile stehen. Ich hatte inzwischen denselben noch immer nicht erkannt; noch immer sah ich in der schwarzen Nacht nur eine noch schwärzere Masse vor uns stehen. Ein paar Mal war mir’s schon, als hörte ich ein fernes Geräusch; ich hielt es jedoch für das Rauschen der Isar. Jetzt konnte ich mich nicht mehr täuschen, es konnte kein Zweifel sein, man hörte durch die lautlose Stille der Nacht deutlich die Schritte eines großen Menschenhaufens, der sich uns nähern mußte, und ich war froh, nun bald aus der unerquicklichen Situation erlöst zu werden; nur wollte ich die Leute noch vollends herankommen lassen, bevor ich Lärm schlug.

Doch was ist das? Ein Blitz zu Ende November? Ein Knall, und die Erscheinung ist verschwunden. Es war eine Rakete, und wie mit einem Schlag änderte sich urplötzlich die Scene. Ein mächtiger Böllerschuß durchzittert die Luft und findet in den nahen Bergen ein tausendfaches Echo, massenhaftes Kleingewehrfeuer aus Büchsen, Flinten und Pistolen knattert. Trommeln schlagen betäubende Wirbel. Pfiffe aller Tonarten schwirren durch die Nacht; ein wildes Geschrei und Gejohle aus hundert rauhen Männerkehlen erfüllt die Lüfte. Grelle und unbeschreibbare Töne aus Ratschen, alten Röhren und Spectakelwerkzeugen jeder Art mischen sich mit dem eintönigen Geklapper der Windmühle darein. In kurzen Pausen vernimmt man stets wieder den gewaltigen Donner des Böllers, und das bunte Geknatter des Kleingewehrfeuers verstummt keinen Augenblick. Zahlreiche Raketen und Schwärmer beleuchten blitzartig die Scene und lassen in unserer nächsten Nähe eine Gruppe von etwa einhundertundfünfzig Gestalten erblicken. Mir war es nun klar geworden, um was es sich handelte, oder war dies nicht das Vorspiel zu einem Haberfeldtreiben?

Ueber zwei Jahre war ich bereits im bairischen Gebirge. Von Salzburg bis Lindau hatten sich meine Arbeiten ausgedehnt, und mein Beruf brachte es mit sich, daß ich meist auf Einödhöfen und kleineren Dörfern wohnen und das Gebirge nach allen Seiten durchstreifen mußte. Ich hatte das Leben in den Rockenstuben und auf der Alm, dort die hübschen Diandeln und hier die alten Jungfern kennen gelernt. Das ganze bairische Gebirg mit seinen Alpenrosen und seinem Edelweiß, seinen Dirnen und Burschen, seinen reißenden Flüssen und stillen Seen, weißen Firnen und Gletschern – nichts war mir entgangen. Ich hatte mich während eines großen Theils der Zeit am Gau der Haberer, d. i. zwischen Inn und Isar, zwischen Rosenheim und Tölz herumgetrieben.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_315.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)