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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Hochedelgeborner Herr!
Werthgeschätzter Herr Bräutigam!

„Obgleich es noch nicht lange her ist, daß ich mich Ihres Umgangs zu erfreuen habe, so hat mir doch derselbe Gelegenheit verschafft, mich von Ihren vortrefflichen Eigenschaften vollkommen zu überzeugen. Ihr holdseliges Wesen machte, als ich das erste Mal in Ihrer Gesellschaft war, sogleich einen bezaubernden Eindruck auf mein Herz, und Ihren süßen, schmachtenden Augen, sowie den nachtigallähnlichen Flötentönen Ihrer Stimme konnte ich, ach, nicht widerstehen. Dahin ist es nunmehr gekommen, Liebenswürdigster der Sterblichen, daß an meinem Himmel ewige Mitternacht ist, wenn die Pollarsterne (sic) Deiner („braunen“ war ausgestrichen und „blauen“ darüber geschrieben) Augen mir nicht zulächeln. Ich habe also das Geständniß meiner innigsten Neigung für Sie offen dargelegt. Aber Liebe ohne Gegenliebe ist Höllenpein. O stoßen Sie mich nicht, unempfindlich gegen die Ergießungen eines jungfräulichen Herzens, von sich weg! Schon einige Worte des Trostes werden mich unendlich beglücken. Und wie der Dichter sagt:

Wandle auf Rosen und Vergißmeinnicht,
Der Kranz, den uns die Liebe flicht,
Soll blühen, bis das Auge bricht,

so schließe ich mit dem Gefühle dankbarer Verehrung und Zärtlichkeit

Ihre geliebte Braut               
Gertrud Wendelin.“

Er hatte in einer Art Betäubung halblaut bis zu Ende gelesen; erst als er den Namen aussprach, schien das Bewußtsein zu erwachen: das Alles sei an ihn gerichtet. Eine Weile erlag er dem vernichtenden Eindruck. Dann befreite ein Lachkrampf sein gepreßtes Herz. Er schleuderte den Brief weit von sich, wälzte sich auf dem Divan und lachte, bis ihn die Seiten schmerzten und die Thränen ihm über das Gesicht liefen. Noch in diesem verzweifelten Humor sprang er plötzlich auf, rannte zu einem Schrank, wo er allerlei Kram verwahrte, und zog aus einem Fach ein Büchlein hervor, sehr vergilbt und zerlesen, in dem er eifrig zu blättern begann. Es war ein uralter „Briefsteller für Liebende“, den ihm lustige Cameraden, um ihn mit seiner Unempfindlichkeit gegen das schöne Geschlecht zu hänseln, vor Jahren verehrt hatten. Nicht lange brauchte er zu suchen, als er richtig in gedruckten Lettern die zärtliche Herzensergießung fand, die er soeben in unbehülflich großen geschriebenen Buchstaben gelesen hatte. Von Neuem schlug er ein fieberhaftes Gelächter auf, brach aber plötzlich ab, hob den weggeworfenen Brief vom Boden auf und fing an ihn in ganz kleine Stücke zu zerpflücken. Die warf er eins nach dein andern, mit einer Bedachtsamkeit, als wenn ihm dies Geschäft eine große Befriedigung gewährte, in seinen Aschenbecher und zündete das Häuflein an. Als das letzte Fünkchen verglommen war, fiel ihm ein, daß noch das Couvert vorhanden sei. Wie er es aber aufhob, fand er noch einen Zettel darin, den er erst übersehen hatte. Darauf standen von derselben Hand, aber in sichtbarer Eile und sehr unorthographisch, während der eigentliche Brief in diesem Punkte nichts zu wünschen übrig ließ, die folgenden Zeilen:

„Ich hab’ nun doch in das Haus müssen, wo ich mich vermietet hab’, aber nur auf ein paar Tag’ und Sie werden mir gewiß nicht böse sein, wenn Sie den Grund erfahren, den ich Ihnen sagen werde, wenn wir uns sehen und das ist am Sonntag, wenn Sie Wort halten, und ich bin die Sie liebende und hochschätzende Traud.“ – „Nachschrift. Das Hausnummro ist Nummer 27 in der Rheinstraß’, falls Sie mich lieber dort aufsuchen wollten, als wo wir abgeredt haben. Es ist ein vornehmes Haus und Sie brauchen wegen meiner nicht zu sorgen, daß ich schlecht gehalten würde. Ich bin nur um das Fräulein hier, Fräulein Cornelie heißt sie, und sie ist krank, und darum konnt’ ich’s nicht abschlagen, wenigstens auf eine Woche einzutreten, weil sonst keine dagewesen wär’ zur Pfleg’, und nun wissen Sie’s und werden gewiß nichts dagegen haben. Leben Sie recht wohl und denken an Ihren Schatz.“

Er sprang in die Höhe und rannte wie ein Unsinniger, sein Haar zerwühlend, in heller Verzweiflung durch das Zimmer. Das war zu viel der Schicksalstücken auf Einmal, und das Lächerliche zu dicht an das Tragische gerückt, um noch seiner Sinne Herr zu bleiben. Er glaubte vor Beschämung und Kummer ersticken zu müssen, stürzte auf die Terrasse’ hinaus, und als es ihn auch dort nicht duldete, rannte er in den Stall hinunter, sattelte sich selbst sein Pferd und sprengte, barhaupt wie er ging und stand, auf die Landstraße hinunter, die dort in großen Windungen neben dem Flusse hinläuft.

Der Verwalter, der ihm seinen Strohhut nachbringen wollte, kam zu spät und sah seinen Herrn nur gerade noch um die nächste Ecke verschwinden. Noch mehr hatte er Ursache den Kopf zu schütteln, als er den Tag überhaupt nicht wiederkam, am folgenden Tage statt seiner nur ein Briefchen mit dem Mittagsdampfer, man solle ihn nicht erwarten, er wisse selbst nicht, wie lange er ausbleibe, – und dann vier bis fünf Tage nichts mehr, da doch seine Anwesenheit während der Lese besonders nöthig gewesen wäre. Endlich am sechsten Tage – der Frühnebel lag noch dicht und zähe über Fluß und Hügeln, und die Sonne schien ihn heute nicht bezwingen zu können – erklang Hufschlag am Terrassenthor, und die Winzer sahen den jungen Gutsherrn langsam heraufreiten, Roß und Reiter sichtbar ermüdet und der Pflege bedürftig. Aber auch jetzt noch erhielt der besorgt sich erkundigende Verwalter keine Auskunft. Als er die Briefe überreichte, die inzwischen eingelaufen, glaubte er zu bemerken, daß der Herr mit einer gewissen Angst die Adressen überflog, ob keine von jener geheimnißvollen Hand darunter sei, und zufrieden aufathmete, da es nur Geschäftsbriefe waren. Dann mußte er den Herrn allein lassen, der auch sogleich sich an seinen Schreibtisch setzte, um einen Brief zu schreiben, über dessen Fassung er nun lange genug gebrütet hatte.

Er hatte aber kaum die Anrede geschrieben „Liebe Gertrud!“ und wollte eben anfangen, alles Herzliche und doch so Schmerzliche, was er ihr zu sagen hatte, auf’s Papier zu bringen, als der Verwalter an die verschlossene Thür pochte und hineinrief, der Herr möge entschuldigen, aber es sei ein junges Mädchen draußen, das durchaus mit ihm sprechen müsse; sie sage, der Herr kenne sie schon, und sie sei eben mit dem Dampfschiff gekommen, um ihm etwas Wichtiges mitzutheilen.

Mit zitternder Hand schloß er auf und sah richtig draußen im Flur die Traud, reisefertig angethan, in Tuch und Strohhütchen, ein schmales Bündel unterm Arm. „Ist’s erlaubt?“ sagte sie und trat ohne seine Antwort abzuwarten in sein Zimmer, dessen Thür er hastig zuwarf; doch schloß er nicht ab; man sollte nichts Nachtheiliges von dem Mädchen denken.

„Traud,“ sagte er, als sie mitten im Zimmer einander gegenüberstanden, „Du bist selbst gekommen? Siehst Du, ich war eben dabei, Dir zu schreiben.“

Sie antwortete nicht, als ob sie nicht wisse, wo sie anfangen solle. Sie sah ihn nicht an, sondern zum Fenster hinaus in den Nebel, dessen obere Schicht die Sonne eben zu vergolden begann. Er aber spähte mit gespannter Unruhe auf ihrem blassen Gesichtchen nach einer Miene, die ihre Stimmung verriethe.

„Traud,“ sagte er wieder, „soll ich Dir ein Glas Wein bringen lassen und einen Imbiß? Willst Du Dich nicht setzen? Du wirst müde sein.“

„Ich dank’ Ihnen,“ sagte sie in ihrem gleichmüthig freundlichen Ton. „Ich hab’ auf dem Schiff gesessen und will auch nicht lange bleiben. Ich bin nur gekommen –“

„Da sieh,“ unterbrach er sie und hielt ihr das Blatt hin, auf dem er eben ihren Namen geschrieben hatte, „das wäre heute Abend in Deinen Händen gewesen, wenn Du mir nicht zuvorgekommen wärst.“

„Es ist so besser,“ erwiderte sie. „Es hätte doch nicht mehr gepaßt, ich meine: mich hätte es doch nicht mehr gefreut, wenn Sie mir auch endlich einen Liebesbrief geschrieben hätten. Sie lieben ja doch eine Andere, die es auch mehr verdient, und so waren wir doch alle Zwei unglücklich geworden.“

„Wer hat Dir gesagt -?“ rief er in höchstem Erstaunen.

„Gesagt hat mir’s eigentlich erst die Lisbeth, aber geschwant hat mir’s schon von selber. Ich hab’ auch Ihren Ring nicht ansehen können, ohne ganz traurig zu werden, denn es schien mir immer, als sei er doch für ein Bauernkind tausend Mal zu schön. Aber dann dacht’ ich wieder an all’ Ihre guten Worte und Ihr gutes Gesicht und sagte mir: am Ende ist es doch Gottes Wille. Wie ich dann der Frau Pathe erklärt hab’, ich wollt’ nicht aus dem Haus, war sie’s ganz zufrieden, und ging gleich zu der Herrschaft, zu bitten, daß sie mich losgeben möchten, und den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 338. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_338.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)