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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Miethsgulden zurückzubringen. Es wär’ auch wohl gegangen, nur daß das Fräulein plötzlich krank geworden war – Sie können ganz ruhig sein, jetzt ist sie wieder auf der Besserung – und da wollten die Eltern ein recht braves und verlässiges Mädchen, wofür sie mich hielten, keine so hergelaufene, die sie nur aus Noth hätten nehmen müssen. Ich mußt’ also hin und hab’s Ihnen ja auch geschrieben. Ich dank’ Gott, daß es so gekommen ist; sonst wußt’ ich wohl noch heute nicht, woran ich bin. Die ersten zwei Tag hab’ ich freilich noch nichts gemerkt; Fräulein Cornelie lag ganz still zu Bette, und wenn gegen Abend das Fieber kam und sie so wirre Sachen sagte, würd’ ich daraus nicht klüger. Nur, daß sie einen geheimen Kummer haben müßte, dahinter kam ich bald, denn auch in den guten Stunden war sie sterbensbetrübt, dabei wie ein Engel zu mir und zu allen Leuten, und faßte ein solches Vertrauen gegen mich, daß sie mir einmal in der Nacht sagte: ‚Wenn ich sterben sollte, Traud, so versprich nur, den Brief, der da zu oberst in meiner Schreibmappe liegt, auf die Post zu tragen und Keinem was davon zu sagen. Ich weiß, daß Du mich nicht verrathen wirst?’ - Das versprach ich ihr denn und dachte mir nichts dabei und das war vorgestern, gerade als es am schlimmsten mit ihr war. Und noch spät am Abend kam der Doctor und verschrieb ihr was Neues, und ich mußte mit dem Recept in die Apotheke laufen. Wie ich’s eben heimtrage, begegnet mir die Lisbeth, die vor mir da gedient hatte, und ich kannt’ sie ein bisle, und darum hatte sie mich auch in das Haus empfohlen. Nun, sie hatte auch gehört, daß unser Fräulein krank war, und fragte, wie es stehe, und ich sagt’ es ihr, so und so.

,Ha’, sagte sie und lachte dazu, ,mit so Tränkle und Apothekerzeugs ist die Krankheit nicht zu curiren. Man muß erst wissen, woher sie das Fieber hat, und das weiß ich ganz genau,’ sagte sie.

,Wenn Du so gescheid bist,’ sag’ ich, ,warum hältst Du mit Deiner Weisheit hinterm Berg?’

,Ja,’ sagt sie, ,da könnt’ ich mir schön das Maul verbrennen, und übrigens geschieht’s ihr auch ganz recht. Mich hat sie nicht länger um sich leiden wollen, weil ich mir gern ein bisle die Cour schneiden lasse, und sie selbst hat ihren Liebsten kurz halten wollen, und wie der keinen Spaß verstanden, sondern ihr den Laufpaß gegeben hat, da ist’s ihr wieder leid geworden und nun mag sie’s haben,’ sagte sie, ‚sterben wird sie nicht gleich davon.’

Nun fragt’ ich sie, woher sie’s denn wisse, und da erzählte sie mir, eines Abends sei er gekommen, sie habe ihn nicht weiter gekannt, aber es sei ein ganz schmucker junger Herr gewesen und habe das Fräulein Bäschen genannt, und sie ihn Vetter. Und da habe sie durch die Thür die ganze Unterredung mit angehört, und erzählte sie mir, so viel sie noch wußte, und hernach, wie der Vetter fortgewesen sei, und auch der andere Herr, der Franzose, da sei sie wieder in den Salon gekommen und habe das Fräulein im Sopha liegen sehen, ihr Sacktuch vorm Gesicht, und das sei naß gewesen zum Ausringen.“

Hier hielt die Traud einen Augenblick inne und sah mitleidig zu Gabriel hinüber, der sich in einen Stuhl geworfen hatte und von ihr abgewendet zu Boden starrte. „Nehmen Sie sich’s nicht so zu Herzen,“ sagte sie, „es ist ja nun Alles überstanden. An jenem Abend freilich war’s noch recht schlimm, und wie ich nach Hause kam, fand ich das Fräulein im hitzigsten Fieber. Aber auf die Medicin wurde es besser, und um Mitternacht ging der Arzt und sagte, die ,Gries’ sei eingetreten, womit er wohl den Schweiß meinte, und sie schlafe jetzt in die Gesundheit hinein. Alles ging zu Bett im Hause, nur ich blieb auf, und da konnt’ ich nicht widerstehen nicht aus Neugier, sondern weil ich dacht’, am Ende kann es nützlich sein, wenn man dem Vetter nur so einen Wink giebt – und gehe ganz sacht an ihren Schreibtisch und mache die Mappe auf. Da lag richtig der Brief im versiegelten Couvert; wie ich ihn aber umdreh’, um die Adresse zu sehen, ich meinte, der Blitz schlage bei mir ein, so erschrak ich, als ich Ihren Namen las. Da auf einmal wurde mir Alles klar, und wie es gekommen war, daß Sie sich so rasch an die Erste Beste gehängt hallen, nur um einen Trost zu finden für Ihren Liebesschmerz, und nun sah ich wohl ein, warum Sie mir auf meinen Brief nicht haben antworten können, weil Sie doch immer noch die alte Lieb’ im Herzen haben und mir nicht gern eine Lüge schreiben wollten.“

Da sprang er auf, ergriff ihre Hände und sah ihr mit überströmenden Augen in’s Gesicht. „Traud,“ sagte er, „Du hast das beste goldenste Herz unter der Sonne, und wenn ich Dir damals sagte, daß ich Dich von Herzen lieb hätte, – Gott weiß, ich brauche es auch heute nicht zurückzunehmen. Und Du hast Recht: Dich zu betrügen wäre ich nicht im Stande gewesen. Auf dem Papier da hättest Du es zu lesen bekommen, daß ich eine Andere noch lieber habe, als Dich, und Dich darum bäte, mir’s nicht nachzutragen, wenn ich mein Wort zurückforderte, denn Zwei, die sich heirathen, sollen Niemand anders im Herzen haben, als einander selbst. Nun hast Du mir’s entgegengebracht und mich nur um so mehr beschämt.“

Er drückte ihre Hände ein Mal über das andere und wandte sich dann ab, seine Erschütterung zu verbergen.

„Da ist nichts zu schämen,“ sagte sie. „Liebe macht den Klügsten zum Narren, heißt’s im Sprüchwort. Sie haben mir auch gar nichts zu Leide gethan; denn obwohl ich Sie recht gern gehabt hab’, ich sterb’ eben nicht daran, daß ich Sie nicht krieg’. Ich hab’ schon einmal einen Schatz gehabt, und wie der eine Andere genommen hat, nur um’s Geld, hab’ ich gemeint, es bringt mich um, und hernach ist mir das Leben doch wieder lieb geworden. Nun aber machen Sie nur, daß das Fräulein bald wieder ganz gesund wird; denn deshalb bin ich hergekommen. Gleich gestern wußt’ ich, was ich zu thun hätt’, und hab’ freilich eine Nothlüge sagen müssen, nämlich meine Mutter hätt’ mir geschrieben, ich müßt’ auf der Stell’ zu ihr kommen, sie hätt’ wegen einer Erbschaft mit mir zu reden. Lieber Gott, von Erbschaften ist bei uns nicht die Rede, aber mir fiel gerade nichts Anderes ein. Da hab’ ich denn heute früh Erlaubniß bekommen, auf drei Tage nach Hause zu gehen; daß ich nie wieder das Haus betreten würde, dachten sie freilich nicht, als ich Abschied nahm. Aber wenn das Fräulein gesund ist und eine Braut, wer wird da an ein armes Mädle denken, ob sie da ist oder nicht! Ich geh’ nur eine halbe Stunde weit zu einer Base in F., da bleib’ ich bis morgen, und dann fahr’ ich vollends nach Hause, und Sie brauchen weiter keine Sorge um mich zu haben, die Mutter sperrt mir ihre Thür nicht zu, sie hat längst gewollt, ich soll sie einmal besuchen. So! und nun bin ich fertig. Und da und sie zog etwas in Papier Gewickeltes aus der Tasche und legte es auf den Tisch – da ist auch der Ring. Geben Sie mir den meinen zurück; ich sehe, Sie haben ihn auch nicht tragen mögen.“

„Laß ihn mir noch,“ sagte er. „Ich schicke ihn Dir ganz gewiß, und schreibe Dir dabei Alles, was ich Dir in diesem Augenblick nicht sagen kann. Und glaube mir, Traud, Du sollst es nicht zu bereuen haben, daß Alles so gekommen ist. Wenn Du einen Bräutigam verloren hast, hast Du einen Bruder dafür gewonnen, der sein Leben lang Dich nicht im Stich lassen wird. Ich kann jetzt nicht mehr sagen, es würde Dich auch kränken, als wollt’ ich Dir einen Ersatz anbieten. Ich rede Dir auch nicht zu, hier zu bleiben,“ sagte er, als sie sich zum Gehen wandte. „Mir selbst eilt es, dahin zu kommen, wo ich jetzt am nöthigsten bin. Ich schreibe Dir aber schon morgen, wie Alles steht, und nun behüt’ Dich Gott, liebstes Kind, und gebe Dir noch einmal ein rechtes Glück, liebe Schwester, daß wir, wenn wir alt und grau geworden sind, von alle dem sprechen können, wie von einer Geschichte, die mehr zum Lachen als zum Weinen war, und Gott danken, daß sie so ausgegangen ist.“

Er drückte ihre Hand, dann küßte er sie mit brüderlicher Herzlichkeit auf den Mund und stand am Fenster, ihr nachzusehen, wie sie mit flinken, zierlichen Schritten auf der Landstraße hinwanderte, noch einmal umsah und mit einem Gesicht zurückwinkte, das schon wieder von aufglimmender Heiterkeit geröthet war.




Die Lese war längst vorüber, die letzten braunen Blätter von den Reben abgeweht, die Tage des Jahres herangekommen, die Niemand gefallen, außer glücklichen Liebesleuten, die nach Wind und Wetter nicht fragen, weil sie sich selber Regen und Sonnenschein machen. In dem Kamin des uns wohlbekannten Salons in der Rheinstraße Nr. 27 brannte ein helles Feuer, aber die Balconthüren standen noch offen und die beiden Palmen waren nur ein wenig tiefer in’s Innere zurückverpflanzt. Wieder war es gegen Abend und wieder saßen Gabriel und sein Bäschen beisammen, diesmal aber nicht fremd und förmlich sich gegenüber, sondern unter der grünen Landschaft mit der Schafheerde einträchtig

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_339.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)