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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

mehrere Jahre gleich geblieben. Ein nettes Flügelhäubchen stand dem kleinen Kopf und dem feinen Gesichte gar wohl, und die braune oder graue Kleidung gab ihrer Gegenwart Ruhe und Würde. Sie sprach gut und wußte dem, was sie sagte, durch Empfindung immer Bedeutung zu geben. Ihr Betragen war gegen Jedermann vollkommen gleich. Allein durch dieses Alles ist noch nicht das Eigenste ihres Wesens ausgesprochen; es zu bezeichnen ist schwer. Sie schien an Allem Theil zu nehmen, aber im Grunde wirkte nichts auf sie. Sie war mild gegen Alles und konnte Alles dulden, ohne zu leiden; den Scherz ihres Mannes, die Zärtlichkeit ihrer Freunde, die Anmuth ihrer Kinder, Alles erwiderte sie auf gleiche Weise, und so blieb sie immer sie selbst, ohne daß ihr in der Welt durch Gutes und Böses, oder in der Literatur durch Vortreffliches und Schwaches wäre beizukommen gewesen.“

So geartet lebte diese Dichterfreundin in dem reichen glänzend ausgestatteten Hause zu Coblenz, „wenig erhöht über dem Fluß gelegen“, mit dem klugen, feinsinnigen, heitern, jeder Sentimentalität spottenden „Welt- und Geschäftsmann“, ihrem Gatten, als glückliche Mutter der schönsten jungen Töchter und Söhne in einem Glück und harmonischen Behagen, das auf Alles, was mit ihr in Berührung trat, wohlthuend ausgestrahlt haben muß. Unter den Kindern wird in mehr als einer Hinsicht besonders die älteste Tochter, der Liebling des Vaters, Maximiliane, wichtig: „Eher klein als groß von Gestalt, niedlich gebaut, eine freie anmuthige Bildung, die schwärzesten Augen und eine Gesichtsfarbe, die nicht reiner und blühender gedacht werden konnte.“

Goethe hat damals nicht ungestraft in diese ebenso weichen und sanften als feurigen und schalkhaften, großen schwarzen Augen geschaut. Auch nachdem sie des reichen Großhändlers und Wittwers Herrn Brentano reizende Gattin geworden war, dauerten die intimen Beziehungen aus poetischeren Jugendzeiten her zwischen ihr und dem bewunderten und begehrten schönen Frankfurter Doctor juris ungestört fort und bildeten ihren einzigen Trost über die Häringstonnen und Käse und die langweiligen Gespräche der dicken Kaufleute, in deren Gesellschaft diese Heirath sie bannte. Uebrigens sind dieser anscheinend so prosaischen Ehe nichtsdestoweniger zwei Kinder erwachsen, welche an poetischer Mitgift für’s Leben eher zu viel als zu wenig erhielten: Bettina und Clemens Brentano.

Doch zurück zum Hause der Eltern und der Zeit, wo die schöne Maie noch der heitere jugendliche Schmuck desselben war; zurück zu jenem Maitag, wo dieses Haus den werthesten Gast erwartete, den mutteralten Freund und Anbeter, Wieland. Außer ihm und Leuchsenring fanden sich zu diesem Fest der Empfindsamkeit noch die Gebrüder Georg und Friedrich Jacobi ein, in ihrer damaligen Gestalt fast unter Allen die echtesten und vollständigsten Repräsentanten der ganzen Gattung. Besonders gilt dies von dem älteren, Georg. Ihm war durch seine Bekanntschaft mit Vater Gleim in Halberstadt auch das letzte Mark in dem weichen Gefüge seines geistigen Knochengerüstes aufgelöst worden. Wenn nun aber auch jener jüngere Bruder es nicht zu einer solchen Höhe der Meisterschaft in der Sentimentalität gebracht hatte, wie der ältere, immerhin leistete er Anerkennenswerthes genug darin für einen reichen, tüchtigen Kaufmann, gesunden, schönen Achtundzwanziger und Gatten einer liebenswürdigen Frau, jener Betty von Clermont, in welcher Goethe das weibliche Ideal des Rubens in seiner schönsten Vollendung verkörpert fand. Seinem berühmt gewordenen Berichte über jene sentimentale Congreßfahrt nach Coblenz, die er mit dem Bruder Georg Tags zuvor von seinem Wohnsitz Düsseldorf aus antrat, ist der Moment, den unsere Zeichnung darstellt, entlehnt, und es bedarf des Wortlautes der bezüglichen Stellen desselben, um Stellungen und Mienen zu rechtfertigen, welche dem Geschlecht jener weichgeschaffenen Seelen so natürlich und in der Ordnung waren und erschienen, wie sie uns Heutigen unwahr und unglaublich dünken müssen.

Schon auf der Fahrt, den Rhein hinauf, wird eine Verschwendung mit „zärtlichen Rührungen“, mit Umarmungen, „sanften Händedrücken“, „seligen Thränen der ruhigen Empfindung“ und „heiligen Küssen der Freundschaft“ unter den Brüdern getrieben, womit eine liebende Seele unseres Jahrhunderts für das ganze Leben alle Anforderungen decken würde, welche Freundschaft und Liebe in diesem Punkte an sie stellen könnten. Endlich langen sie vor dem Hause an, der „empfindsame Leuchsenring“ fällt ihnen in die Augen. Gleich darauf sehen sie Wieland im Wagen ankommen. Und nun lassen wir Fr. Jacobi selbst erzählen.

„Herr von Laroche lief die Treppe herunter, ihm entgegen, ich ihm ungeduldig nach. Wieland war bewegt und etwas betäubt. Während wir ihn bewillkommneten, kam Frau von Laroche die Treppe herunter. Wieland hatte eben mit einer Art von Unruhe sich nach ihr erkundigt und schien äußerst ungeduldig, sie zu sehen; auf einmal erblickte er sie – ich sah ihn deutlich zurückschauern. Darauf kehrte er sich zur Seite, warf mit einer zitternden und zugleich heftigen Bewegung seinen Hut hinter sich auf die Erde und schwankte zu Sophien hin. Alles dies ward von einem so außerordentlichen Ausdruck in Wieland’s ganzer Person begleitet, daß ich mich in allen Nerven davon erschüttert fühlte … Sophie ging ihrem Freund mit ausgebreiteten Armen entgegen, er aber, anstatt ihre Umarmung anzunehmen, ergriff ihre Hände und bückte sich, um sein Gesicht darin zu bergen. Sophie neigte mit einer himmlischen Miene sich über ihn und sagte in einem Ton, den keine Clairon nachzuahmen fähig ist: ,Wieland–? Ja, Sie sind es, Sie sind noch immer mein lieber Wieland!’ Wieland, von dieser rührenden Stimme geweckt, richtete sich etwas in die Höhe, blickte in die weinenden Augen seiner Freundin und ließ dann sein Gesicht auf ihren Arm zurücksinken. Keiner von den Umstehenden konnte sich der Thränen enthalten, mir strömten sie die Wangen hinunter, ich schluchzte, ich war außer mir und ich wüßte bis auf den heutigen Tag noch nicht zu sagen, wie sich diese Scene geendet und wie wir hinauf in den Saal gekommen sind … Noch nie hatte ich mich in dem Grade glücklich gefühlt; nunmehr schien mir mein ganzes voriges Leben Tand und die unbedeutende Erinnerung davon hätte ich ohne Widerwillen aus meinem Gedächtniß vertilgen können.“ –

Wahrlich, es bedurfte wohl einer harten Cur durch die Geschichte, um ein so empfindsames Geschlecht wieder zu Männern umzuprägen. Sie ist ihm nicht erspart geblieben. Auch ihm hätte ein prophetischer Dichter sagen können: „Und wie die Erze vom Hammer, so wird das lockre Geschlecht gehau’n sein von Noth und Jammer zu festem Eisen recht.“ Und Noth und Jammer, sie sind gekommen und wie ein Bergstrom über Deutschland hereingestürzt, wegschwemmend und vernichtend viel Schwaches, Weiches und Faules, und in dem Weltbrand erst haben die weichen Seelen sich wieder gehärtet, aus der Tiefe der Verzweiflung erst ist die eiserne Manneskraft wieder geboren und in heiliger, todesmuthiger Begeisterung für „der Menschheit große Gegenstände“, für Freiheit und Vaterland gereift, die Manneskraft, welche unserm Volk wenigstens – die Möglichkeit eroberte, diese verlorenen beiden Güter, deren Mangel alle ästhetische Cultur, alle Bildungsschätze nicht ersetzen, in stetiger, ausdauernder, politischer Arbeit sich selbst zu erwerben.

L. P.




Im Hause der Bonaparte.

Historische Erzählung von Max Ring.
(Fortsetzung.)


„Endlich, nach achttägigem Leiden,“ erzählte die Prinzessin weiter, „war Louis so weit hergestellt, um ohne Gefahr das Bett verlassen zu können. Hortense dankte persönlich dem General, von dem sie auf ihr Ansuchen noch einen Passirschein für sich und einen Bedienten erhielt, dessen Livrée der kaum Genesene anziehen mußte. So verließen sie glücklich und unerkannt Ancona, indem sie bei Antibes die französische Grenze überschritten und zum ersten Male seit ihrer Abreise in Cannes übernachteten, wo einst der Kaiser bei seiner Rückkehr von der Insel Elba gelandet war.“

„Das sind traurige Erinnerungen!“ seufzte die Gräfin von Survilliers.

„Von hier aus wollte Louis an den jetzigen König von Frankreich einen Brief abschicken, worin er denselben bat, das ungerechte Exil aufzuheben und ihm zu gestatten, in die französische Armee

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 349. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_349.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)