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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 23.   1868.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Im Hause der Bonaparte.
Historische Erzählung von Max Ring.
(Fortsetzung.)


Solche Vorstellungen bestürmten die Seele der unglücklichen Prinzessin, welche ruhelos, das schöne Haupt auf ihren Arm gestützt, die bange Nacht durchwachte. Wohin sie bei dem bleichen Schimmer der Lampe auf ihrem Tische blickte, umgaben sie die Erinnerungen an ihre hohe Abstammung, an den unsterblichen Ruhm ihres gleichsam prädestinirten Geschlechtes, an die großen Traditionen ihres Hauses.

Gespenstisch schaute von der Wand das Bild des Kaisers auf sie nieder mit den durchbohrenden Adleraugen, vor denen einst die Könige Europas zitterten und Throne wankten, als zürnte er der entarteten Tochter seines Hauses. Erschrocken barg sie das Gesicht in ihre Kissen und wagte nicht zu ihm aufzusehen. Neben ihm hing die schlanke, fast leidende Gestalt seines Sohnes, des unglücklichen Herzogs von Reichstadt, der langsam dem nahen Tode entgegensiechte, und dort das Bild des Prinzen von Robert’s Hand gemalt, die Züge des Verstorbenen, der traurig sie zu warnen, sie zu mahnen schien, sein Andenken im Grabe zu ehren, seinen edlen Namen vor Beschimpfung zu bewahren.

„Nein, nein!“ rief sie in fieberhafter Aufregung. „Fürchtet nicht, daß ich Euch untreu, Euer unwerth werde. Ich will, ich muß das schwere Opfer bringen. Die Napoleoniden sind nicht zum Glück geboren, das Haus des Tantalus, der an dem goldenen Tisch der Götter saß, ist dem Untergang geweiht. Der Fluch der Größe trifft uns Alle, Alle!“

Der Kampf war ausgekämpft; sie war entschlossen, Robert nicht wiederzusehen.

Kaum graute der Morgen, als sie von ihrem Lager aufsprang und an ihren Schreibtisch eilte, um von ihm für immer Abschied zu nehmen. Während ihre Thränen flossen, schrieb sie ihm, daß eine unerwartete Nachricht sie zwinge, plötzlich Florenz zu verlassen und sich zu ihrem Vater nach London zu begeben, wo sie fortan leben müßte.

Noch an demselben Tage reiste die Prinzessin ab, nachdem sie allein ihrer Mutter die Gründe ihrer Handlungsweise mitgetheilt hatte, die von dieser vollkommen gebilligt und gut geheißen wurden.

Der Brief der Prinzessin traf Robert wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel, all’ seine Hoffnungen vernichtend, sein Herz zu Tode verwundend.

„O,“ murmelte er zusammenbrechend, „ich habe mich getäuscht, noch einmal wie ein thörichter Knabe von der blinden Leidenschaft verführen lassen. Thor, der ich war, daß ich jemals glauben konnte, daß die Tochter der Napoleoniden den armen Maler lieben, jemals ihren Stolz besiegen würde!“




8.

Eine tiefe Schwermuth lagerte seitdem auf dem Geiste Robert’s, der gleich nach der Abreise der Prinzessin das heitere Florenz mit dem melancholischen Venedig vertauschte. Seine düstere Stimmung harmonirte mit der stillen Trauer der gefallenen Meerkönigin. Ihm gefielen diese öden Paläste, die Zeugen einer untergegangenen Größe, deren Steintreppen mit Seetang sich bedeckten, bespült von der dunklen Fluth der Lagunen; deren Marmorfaçaden langsam verwitterten, durch deren zerschlagene Fenster der Wind gleich dem Seufzer eines Sterbenden zog.

In dem alten Palazzo Pisani hatte er sein Atelier aufgeschlagen, mehr noch für seinen Bruder Aurel, der sein Schüler geworden war, als für sich, da ihn die Arbeit anekelte, obgleich er mit Aufträgen und Bestellungen von allen Seiten überhäuft und bestürmt wurde.

Robert stand damals auf dem Höhepunkt seines Ruhms, er war anerkannt als der größte Künstler der Gegenwart. Seine „heimkehrenden Schnitter in den pontinischen Sümpfen“ hatten auf der letzten Ausstellung in Paris die höchste Bewunderung erregt und wurden als das größte Meisterwerk gepriesen, er selbst mit dem ehrenvollen Namen des modernen Raffael’s begrüßt. Stolz auf die neuen Triumphe seines berühmten Bruders, zeigte ihm Aurel die letzte Nummer des „Journal des Debats“, worin eine glänzende Kritik in den überschwänglichsten Ausdrücken das Bild als die Perle des Louvre bezeichnete und die Verdienste des genialen Meisters feierte.

„Was kümmert’s mich?“ versetzte er mit trübem Lächeln. „Der Ruhm macht nicht glücklich und kann mir nicht den gestörten Frieden meiner Seele wiedergeben.“

„Du mußt zu vergessen suchen,“ mahnte der besorgte Bruder. „An Deiner Stelle würde ich hier eine neue Arbeit anfangen.“

„Mich widern diese ewigen Wiederholungen an, immer nur Räuber aus Sonnino zu malen, immer dieselben Figuren aus der Campagna zu pinseln. Ich bin es müde, nur mich selbst zu copiren. Da hat der Graf Raczinsky aus Berlin wieder die Schnitter bei mir bestellt und mir eine bedeutende Summe dafür geboten. Ich weiß noch nicht, ob ich darauf eingehen soll.“

„Du mußt Dich mehr zu zerstreuen suchen. Die ersten Häuser Venedigs, an der Spitze der Vicekönig selbst, schätzen Deine Gesellschaft als eine Ehre. Graf Cicegnara ist heut’ schon zwei Mal dagewesen, um Dich persönlich zu seiner Soirée einzuladen. Du mußt hingehen, wenn Du nicht den liebenswürdigen Nobile beleidigen willst.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_353.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)