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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

dahinflog, so klagte Robert doch über dessen Langsamkeit und trieb immer von Neuem zur höchsten Eile, als hinge von jedem gewonnenen Augenblick, sein Glück, sein Leben ab.

Mit einem raschen Sprung stürzte er die Treppen zum Kloster hinauf, an dessen verschlossenen! Thore er so heftig klingelte, daß die alte Pförtnerin erschrocken aus ihrem Lehnstuhl emporfuhr, um dem ungestümen Besucher zu öffnen.

„Dachte ich doch, daß Ihr es seid,“ sagte sie. „Man kennt Euch schon an Eurem starken Läuten.“

„Ist Schwester Teresina zurückgekehrt?“ fragte er hastig, ohne sie beenden zu lassen.

„Noch nicht. Wir haben sie jeden Tag erwartet, aber die Gräfin in Florenz scheint wieder kränker geworden zu sein und hält sie noch zurück, obgleich ihre Gegenwart hier nöthig ist.“

„Und hat sie nicht geschrieben, ist kein Brief für mich von ihr eingegangen?“

„Da muß ich wohl die Frau Oberin fragen, durch deren Hände alle Briefe gehen, obgleich Schwester Teresina eine Ausnahme macht, thun und lassen darf, was sie will.“

Es dünkte Robert eine Ewigkeit, bis die Alte von der Oberin zurückkehrte mit dem so sehnlichst erwarteten Briefe in der Hand.

Ohne ihre Gegenwart zu beachten, erbrach er hastig das wohlbekannte Siegel, durchflog er mit seinen Blicken Teresina’s Zeilen.

Je länger er las, desto heller glänzten seine Augen, desto mehr rötheten sich seine Wangen, selbst ein schon lange nicht gekanntes Lächeln umschwebte seine Lippen.

Wie ein Sterbender, dem ein Wundertrank des Arztes neues Leben in das stockende Herz gießt, so belebten sich sichtlich seine Züge. Plötzlich aber stieß er einen leisen Schrei, aus, als er angeschlossen an den Brief der Nonne einige mit Bleistift flüchtig geschriebene Worte von der ihm nur zu gut bekannten Hand der Prinzessin bemerkte:

„Muth, Muth, theurer Freund!“ schrieb sie ihm. „Ich weiß Alles. Bald werden unsere Leiden enden. Groß sind die Hindernisse, die uns noch trennen, aber unsere Liebe wird sie besiegen. Erwarten Sie mich sicher in Venedig bis zum 20. März.

Wenn ich nicht komme, so ist unser Schicksal für immer entschieden und wir dürfen uns auf Erden nicht wiedersehen. Treu bis in den Tod. Charlotte.“

„Sie liebt mich, hat mich stets geliebt!“ jubelte Robert, indem er die Zeilen der Prinzessin mit seinen Küssen bedeckte, von neuen Hoffnungen belebt.

(Schluß folgt.)




Land und Leute.
Nr. 27. Bilder aus dem Schwarzwald. Von Ludwig Steub.
II. Das Hotzenland


Zwischen Constanz und Basel laufen vom Feldberg herunter zwei rauschende Gewässer in den Rhein und heißt das eine, die Schwarzach, das andere die Werra. Unten am Rhein sind ihre Rinnsale ungefähr sechs Wegstunden auseinander, weiter oben rücken sie etwas näher zusammen. Zwischen diesen beiden Bergströmen, gegen Norden an das Gebiet der Abtei Sanct Blasien anstoßend, lag ehemals die Grafschaft Hauenstein, ein jetzt noch oft genanntes Ländchen, doch, wie es scheint, mehr von Malern als sonstigen Touristen gesucht. Den Namen hatte es von einem alten Felsennest am Rheine, zu dessen Füßen ein verwittertes Städtchen liegt, das ebenso heißt. Diese Landschaft soll etwa acht Geviertmeilen umfassen und einhundert und fünfzig Dorfschaften mit dreißigtausend Menschen zählen, welch letztere unzweifelhaft alemannischer Abkunft und katholischen Glaubens sind.

Die Grafschaft Hauenstein oder „der Wald“ hat in den letzten Jahrhunderten eine Geschichte erlebt, so voll und mannigfaltig wie manches Königreich. Man glaubt aber daraus namentlich zu lernen, wie viel davon abhängt, wohin die Menschen oder die Völkerschaften, wenn sie geboren werden, zu liegen kommen. Die Hauensteiner sind offenbar verlegt worden. Wäre ihre Wiege in der Vorzeit am Vierwaldstädter See gestanden, so würden sie sich bei ihrem Temperament und ihren Neigungen ohne Zweifel zu einem sehr achtbaren Urcanton herausgebildet haben und vielleicht noch in diesem Jahre die Prügelstrafe anwenden. So aber, in ungünstige Lage und ungünstige Nachbarschaft versetzt, oft von schlimmen Bauernkönigen geleitet und geführt, von vielen Hunden gehetzt und gebissen, ist ihr Wesen fast zur Caricatur geworden und erregt jetzt mehr Mitleid als Bewunderung.

Ueber die Geschichte der Hauensteiner theilen wir der Kürze halber nur das Wissenswertheste mit, wie wir es aus anderen Büchern, die darüber an’s Licht gekommen sind, zusammengetragen haben. Wir ersehen daraus, daß die Hauensteiner schon unter Kaiser Albrecht († 1308) in die Steuerregister der Grafen von Habsburg eingetragen waren. Sie dagegen datirten ihre staatsrechtliche Existenz, vielmehr ihre Freiheiten, von jeher auf einen fabelhaften Grafen Hans von Hauenstein zurück, der sie einst auf seinem Todbette alle für frei erklärt, sie dem Reiche vermacht und ihnen allerlei Rechte und Privilegien hinterlassen haben soll. Die betreffende Urkunde hat man zwar nie gefunden, aber die Hauensteiner glaubten immer daran, daß sie wohl noch einzusehen wäre, wenn nicht heimtückische Hände sie in Freiburg oder in Wien oder in irgend einem alten Burgverließ oder gar in einem abtrünnigen, treulosen Bauernhaus „im Walde“ verborgen und vergraben hätten.

Allmählich treten aus der Nacht der Vergangenheit die acht „Einungen“ der Hauensteiner hervor, Verbrüderungen der Bauerschaft untereinander, wie in Hohenrhätien und in der Schweiz, „einander zu helfen gegen männiglich, so sich wider uns setzt oder uns angreift, alles jedoch ohne Abbruch der Rechte des Hauses Oesterreich oder der Abtei Sct. Blasien“.

Mit dem Gotteshaus gab es jedoch allerlei Späne. Die Leute im Hauenstein waren theils freie, theils Zinsbauern, theils Leibeigene der Abtei; diese aber suchte den Hirtenstab immer wuchtiger zu schwingen und wollte sie allmählich alle in ihre Hörigkeit bringen. Darüber viele Verschwörung und Aufruhr im Walde, und als der Bauernkrieg ausgebrochen und etliche Wiedertäufer dazu getreten waren, zogen die Leute von den Höhen hinunter nach St. Blasien, gingen auf die Urkunden los, aus denen ihnen die Jünger St. Benedict’s jeweils soviel widerwärtige Auskunft herausgelesen hatten, und brachten eine solche Verheerung in das Archiv, daß man damals bis an die Kniee in lauter zerrissenen Documenten waten konnte.

Nach einigen kleineren Wirren, die sich aber um österreichische Ansprüche drehten, erzählt uns die Geschichte von dem großen, maßgebenden und noch immer unvergessenen Aufstand der „Salpeterer“, dessen Anfang in’s Jahr 1719 fällt. Damals wollte der Abt seine angeblichen Rechte wieder neuerdings nach eigenen Heften aufrichten und herstellen, auch die Leibeigenschaft wieder festigen, allein die Wälder nahmen den Handschuh auf und gingen muthig in den Kampf für die Freiheit. Es entstand ihnen auch ein Timoleon, welcher Johann Fridolin Albiez hieß und mit Salpeter handelte, weswegen seine Waffenbrüder die Salpeterer genannt wurden. Was früher nur verschwommene Tradition gewesen, das erhob der Salpeterhannes zum allgemein geglaubten Rechtssatz, nämlich, daß der Hauenstein durch des Grafen Hansen Testament an’s Reich gefallen und weder Oesterreich noch St. Blasien unterthänig sei. In nächtlichen Versammlungen wurde auch nach alter Wiedertäufer Weise getagt und gepredigt, das Reich Gottes sei nahe, die Herren und Soldaten müßten erschlagen und die Güter der Bösen unter die Gerechten vertheilt werden. So war der Salpeterhannes ungefähr acht Jahre lang der Meister im Walde – die Hauensteiner scheinen keine Zinsen und Zehnten mehr entrichtet und sich ganz unabhängig benommen zu haben – bis die Herren von der vorderösterreichischen Regierung zu Freiburg, welche zu St. Blasien hielt, den Volkshelden einfangen und in enge Haft setzen ließen, wo er bald starb. Der Märtyrer fand jedoch einen Nachfolger in dem Müller von Haselbach, Martin Thoma, aber in der Schlacht bei Doggern, wo die Oesterreicher

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_356.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)