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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)


„Du irrst Dich,“ erwiderte Robert ausweichend. „Ich bin jetzt gänzlich geheilt von meiner Neigung und denke nicht mehr daran.“

„Wenn Du auch Deine Leidenschaft überwunden hast, so sind die Spuren derselben noch nicht aus Deinem Herzen getilgt. Nachdem Du das Bild der Geliebten aus Deiner Brust-entfernt hast, mußt Du natürlich eine traurige Leere empfinden. Die Wunde blutet noch, wenn auch der Pfeil herausgezogen ist. Jetzt scheint mir der Augenblick gekommen, wo Du für immer Genesung suchen mußt. Wir wollen nach der Schweiz, nach Paris reisen, wo Du Dich zerstreuen, vielleicht ein neues Glück an der Hand einer Deiner würdigen Gattin finden wirst.“

„O nein theurer Bruder!“ seufzte der Unglückliche. „Es ist zu spät. O Gott, wenn ich die letzten Jahre zurückkaufen könnte, was würde ich darum geben!“

Um ihn nicht noch mehr aufzuregen, beendete Aurel das schmerzliche Gespräch, indem er sich entfernte, einen nothwendigen Gang vorschützend. Noch einmal rief Robert, als er sich allein fand, den verschwiegenen Gondelier und ließ sich von ihm nach dem Kloster der barmherzigen Schwestern rudern.

„Keine Nachricht von Schwester Teresa?“ fragte er die alte Pförtnerin hastig mit zitternder Stimme.

„Keine!“ lautete die gleiche Antwort, die er schon so oft im Laufe der letzten Tage gehört hatte.

Es war die Bestätigung seines Todesurtheils.

„Auch Teresina hat mich verlassen!“ klagte er bitter. „Die Liebe ist todt, die Treue gestorben. Was soll ich noch auf dieser Erde?“

Man schrieb den 20. März. Gerade an demselben Tage, zur selben Stunde hatte vor zehn Jahren Robert’s Bruder sich selbst getödtet. Daran dachte der Unglückliche, als er nach seinem Atelier zurückwankte, dessen Thür er sorgfältig hinter sich verschloß. Noch einen Blick warf er auf die verwelkten Blumen und vertrockneten Kränze, begleitet von dem schmerzlichen Lächeln der getäuschten Erwartung.

„Wenn ich bis zum 20. März nicht nach Venedig komme, so dürfen wir uns auf Erden nicht wiedersehen. Treu bis in den Tod. Charlotte,“ murmelte er, die verhängnisvollen Zeilen der Prinzessin mit bereits irrendem, wandelndem Geiste wiederholend.

Eine Stunde später fand Aurel die Leiche des geliebten Bruders im Blute schwimmend; an demselben Abend langte Teresa in Venedig an.

Mit klopfendem Herzen eilte sie nach dem Atelier des Künstlers, um ihm sein nahes Glück zu verkünden.

Sie kam zu spät!

Neben der theuren Leiche, auf die jetzt die letzten Strahlen der untergehenden Sonne verklärend fielen, kniete die Nonne, für die Ruhe des geliebten Todten betend.

Drei Tage darauf fuhr der treue Pietro eine schwarze Gondel, welche den Sarg Robert’s trug, nach der kleinen Insel St. Michael de Murano, begleitet von seinem Bruder, seinen Freunden, zahlreichen Künstlern, einheimischen und fremden Verehrern seines großen Talentes.

Ein einfacher Stein an der verfallenen Mauer des Kirchhofs, dem Grabe gegenüber, bezeichnet die letzte Ruhestätte des unsterblichen Künstlers; er trägt die einfache Inschrift:

„Leopold Robert, gewidmet von seinen Freunden und Landsleuten.“

An den Ufern des Arno aber, in dem glänzenden Florenz, erhebt sich in der Kirche San Spirito, nicht fern von dem Palazzo Serristori, den sie einst bewohnt, eine Grabcapelle, worin die Prinzessin Charlotte an der Seite ihres Gatten ruht, nachdem sie Robert bis zu ihrem frühen Tode beweint hatte, der nur drei Jahre später erfolgte. Sie selbst schrieb an Aurel nach Empfang jener Schreckensnachricht: „Ich habe nur noch Thränen, um ihn zu beweinen.“

Schwester Teresa aber betete für Beide und fand den einzigen Trost und Ersatz in der treuen Pflege aller Unglücklichen und Kranken, von denen sie wie eine Heilige verehrt wurde.




Im Riesen zu Miltenberg.
Zur Einweihung des Lutherdenkmals in Worms.
Von Ludwig Storch.

In der Hauptstraße der kleinen Stadt Miltenberg am Main liegt ein stattliches Eckhaus, das heute noch in seiner äußeren ehrwürdigen Gestalt und inneren Einrichtung möglichst treu den baulichen und wirtschaftlichen Charakter des sechzehnten Jahrhunderts erhalten hat. Der Bau selbst stammt schon aus dem vierzehnten Jahrhundert. Aber was das an sich schon so interessante Gebäude noch merkwürdiger macht, ist der Umstand, daß es seit seiner Erbauung bis auf den heutigen Tag ein vielbesuchtes Gasthaus war und wohl bleiben wird. Es ist der Gasthof „zum Riesen“, kein Hotel im heutigen Sinne, aber eine ungemein gemüthliche traute Herberge im Sinne unserer wackern Vorfahren vor drei und vier Jahrhunderten, eine echt deutsche Kneipe, in welcher einem der gesellige Geist des deutschen Mittelalters aus jedem Winkel, jeder Holzverzierung, jedem Steinsitz entgegenspringt. Man fühlt sich so heimisch, so wohl in diesen lieben Räumen, obgleich sie nicht vom brillanten Comfort der Jetztzeit erfüllt sind, und Gott weiß, daß der deutschen Zunge das kühle Gewächs der Mainberge hier besser mundet, als in einem luxuriösen Speisesaal.

Im Mittelalter war der Riesen die vornehmste und starkbesuchteste Herberge am ganzen Mittelmaine: denn damals lief die Hauptstraße vom Nordosten nach dem Südwesten Deutschlands noch über Miltenberg, indem sie den als unsicher verrufenen Spessart umging. Insbesondere nahmen alle Fürsten, Grafen und Herren, die die Straße zogen, Einkehr in dem berühmten Gasthause. Wenn diese Wände erzählen könnten, wir würden manche unterhaltende Geschichte von ihnen erfahren, die sich in den von ihnen umschlossenen Mauern zugetragen.

Eine davon – und gewiß keine der unwichtigsten – haben uns die Zeitbücher der Stadt Miltenberg aufbewahrt, und da sie keineswegs so bekannt ist, wie sie es verdient, so erachten wir den Frühling 1868 für einen sehr günstigen Zeitpunkt, die anziehende Begebenheit durch die Gartenlaube zu verbreiten, „so weit die deutsche Zunge klingt.“

Zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts wohnte auf seiner stattlichen Burg, zu Erbach im benachbarten Odenwalde, ein sehr ehrenwerther und wackerer Ritter, der Schenk Eberhard von Erbach. Das ehrwürdige Schloß steht ebenfalls heute noch und nimmt sich als Dynastensitz eben so wohnlich aus, wie der Riesen als Gasthaus, und was dem Schlosse noch einen besonderen Reiz verleiht, ist der Umstand, daß die Grafen von Erbach heute noch darin hausen, ein berühmtes und hochgeachtetes Geschlecht. Ritter Eberhard von Erbach war ein Herr von hohen Tugenden und ausgezeichneten Eigenschaften, ein Held ohne Furcht und Tadel, einfach, sittenstreng, bieder, wahr und treu. Am meisten aber zeichnete er sich durch eine hohe, fast schwärmerische Frömmigkeit und strenge Rechtgläubigkeit aus, und er hatte nichts dawider, wenn er der treueste Sohn der Kirche genannt wurde. Seinem Herrn und Heiland mit Gut und Blut zu dienen, erschien ihm als die schönste Lebensaufgabe, und er hatte sein gutes Schwert in der nahen Abtei zu Amorbach dem Dienste der heiligen Jungfrau weihen lassen.

Es war im Frühling des Jahres 1518, schon zu ziemlich später Stunde, als der fromme Schenk von Erbach mit einem Häuflein reisiger Knechte vor dem Gasthause zum Riesen in Miltenberg hielt, und dem herbeigeeilten Gastwirth sein Verlangen zu erkennen gab, bei ihm zu übernachten. Doch hielt er nicht mit seinen sämmtlichen Knechten Eintritt in das Haus, sondern schickte sie mit kurzen gemessenen Befehlen bis auf einen, den er bei sich behielt, weiter. Während der Schenk einkehrte, ritten die Knechte durch die Stadt und auf der Straße nach Wertheim weiter. Aus dieser ungewöhnlichen Anordnung und aus dem ernsten fast finstern Wesen des würdigen Schenken ließ sich schließen, daß er etwas


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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_372.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)