Seite:Die Gartenlaube (1868) 378.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Die Nasen an antiken Kunstwerken sind fast immer breit, besonders der Rücken, der nicht selten eine förmliche Fläche bildet, während moderne Nasen, die sich in höheres Culturleben stecken müssen, mehr oder weniger zugespitzt erscheinen. Ein Hercules würde mit seiner starken, breiten Nase sich weder als Tänzer im Cotillon noch als Mitarbeiter der Gartenlaube auszeichnen.

Aber auch die Tiefe der Nase, d. h. die Ausdehnung von der Wangenfläche bis zur vorderen Profil-Linie (also e–d in Figur 4) hat etwas zu bedeuten. Sie bildet als solche das wahre Vorgebirge der Energie und Muskelthätigkeit und besonders auch der Stimmbildung, worüber wir in der berühmten Gesangschule des unlängst in Berlin verstorbenen größten Meisters der Gesangsbildung, des Directors und Professors C. G. Nehrlich, überraschende Aufschlüsse finden.[1] Die Nase tritt im Durchschnitt bei allen Geschöpfen desto mehr aus der allgemeinen Masse des Oberkiefers,

Figur 5.

also der Wange, hervor, je vollkommner ihre sonstige Organisation sich gestaltet und der menschlichen sich nähert. Bei den Thieren erstreckt sich der Oberkiefer mit unausgebildeter Nase mehr oder weniger nach vorn, so daß die Profillinie der letzteren nicht, wie beim Menschen, beinahe senkrecht, sondern ziemlich horizontal gerichtet erscheint. Ohne uns hier auf noch unsichere Einzelnheiten einzulassen, wollen wir nur bemerken, daß die Nase desto mehr hervortritt, je ausgebildeter die Triebe zur Bewegung, zur Handlung und Leidenschaft sich geltend machen, und umgekehrt. So können wir menschlichen Wesen gegenüber immer ziemlich sicher darauf rechnen, daß wir einer stark hervortretenden Nasenspitze und Oberlippe nicht ungestraft etwas Aergerliches oder nur Verdrießliches zeigen oder sagen dürfen (Fig. 5). Der unverständige und anmaßende Mensch besitzt immer eine stark vorspringende Nase und Oberlippe und spricht sich gewöhnlich ohne nähere Prüfung über Alles aus, mag dazu noch so viel Kenntniß und Wissenschaft gehören. Es ist so recht eigentlich der naseweise Mensch. Vorsichtige Prüfung, auf Erkenntniß gegründete Bescheidenheit und überhaupt geistige Durchbildung trägt in der Regel eine mehr senkrecht verlaufende Nase (Fig. 4). Auch die stärkere Ueberwölbung

Figur 4.

des oberen Nasentheiles durch das Gehirn und dessen Umhüllung bildet als physiognomische Eigenthümlichkeit in ihrer verschiedenen Gestaltung einen bedeutenden Theil für Beurtheilung der mehr oder weniger gebildeten Willens- oder Geisteskräfte. Diese Wölbung ist nach Vogt die eigentliche Sprachhalle. Personen ohne diese Wölbung sprechen schlecht und ernstliche Verletzung dieses Theils kann sogar alle Fähigkeit zu sprechen vernichten. Die Einzelnheiten darüber gehören theils in das Gebiet der Phrenologie, an welche viele Menschen überhaupt nicht mehr glauben wollen, theils in das Bereich der eigentlichen Physiognomik, worüber neuerdings Dr. Piderit ein glänzend ausgestattetes und verständigeres Buch geschrieben hat, als vor hundert Jahren Lavater. Jedenfalls gewinnt bei dieser Wissenschaft auch die Nase sehr viel, so daß ein guter Physiognomiker diesem Gesichtsvorsprunge viel mehr ansehen kann, als wir uns hier zutrauen. Wir begnügen uns in Bezug auf die Tiefe oder Höhe der Nase mit der Bemerkung, daß sie durch ihre Art des Hervortretend aus dem Grunde, d. h. der Wange, und durch die Gestaltung der Profillinie die verschiedenen Grade freier Beweglichkeit und Energie im Auftreten und Benehmen in sehr feinen Unterschieden bekundet und menschliche und verständige Bildung in desto höherem Grade vermuthet werden kann, je mehr die Wange zurücktritt und die Nase sich ohne Verstärkung nach vorn durch anständiges Hervortreten physiognomisch geltend zu machen weiß. Das Hervortreten unten als knorpelige Knuppe oder fleischiger Fletsch läßt mindestens immer auf einen ungebildeten, von Vorurtheilen, Sinnlichkeit und Leidenschaft beherrschten Geist schließen, letzteres besonders wenn die Nüstern sich ungewöhnlich ausdehnen und blähen.

Außerdem kommt viel auf die Schärfe oder Stumpfheit der Nase an. Wie nämlich das Heraustreten unseres Ichs aus seiner Innerlichkeit vor unserem Mitmenschen in seiner Art und Weise das Benehmen ausmacht, so kündigt sich dies am hervortretendsten durch den Gesichtsvorsprung, die Nase, an. Man fragt: wie benimmt sich Jemand? Mit welchem Grade von Anstand, Sicherheit und Bestimmtheit tritt er in Gesellschaft auf? Die offenste und ehrlichste Antwort darauf giebt immer die Nase. Das Thier hat im Vergleich zu uns so gut wie gar keine oder nur eine stumpfe Andeutung. Es hat deshalb auch keine Gemessenheit, keine Bildung in seinem Benehmen; es fragt nichts danach, wie es seine Triebe befriedigt, und frißt und säuft namentlich ziemlich unästhetisch. Nicht viel besser machen es die Neger, die stumpfnasigen Bauern und kleine, ungezogene Kinder, welche sich sämmtlich durch ungeschliffene stumpfe Nasen auszeichnen. Auch haben Stadtbewohner, die mehr geistig leben, fast immer bestimmtere Nasen, als Landleute und kleinstädtische Ackerbürger, und die Aristokraten,

Figur 11.

besonders höhere Officiere, welche vom Cadettenhaufe an sehr streng gehalten wurden und sich durch ein gemessenes Benehmen auszeichnen, werden durch diese Schule in der Regel eine gebildete, mehr oder weniger scharf geschnittene Nase bekommen haben. Die Südländer, Italiener, Spanier und Franzosen, zeichnen sich durchweg oft bis in die niedrigsten Stände durch feines Benehmen und äußeren Anstand vor den meisten anderen Völkern aus und haben deshalb meist viel feiner gebildete Nasen, als die plumpen Niederländer und die meisten Völker germanischen Stammes, die, Gott sei Dank, durch inneren Werth und Gemüthlichkeit ersetzen, was ihnen an feinen Linien der Nasenumrisse und des Benehmens fehlt. Wir können übrigens Allen, welche mit ihrer Nase nicht zufrieden sind, zum Troste mittheilen, daß sie selbst zu deren feinerer Ausbildung wesentlich beitragen können. Gute Erziehung, Selbstbeherrschung, Geistesthätigkeit, Achtung und Anstand gegen unsere Nebenmenschen ziert und ehrt nicht nur den Menschen überhaupt, sondern verschönert auch die Nase, und zwar so sicher und bestimmt, daß einige Rhinologen schon behaupten wollen, man könne die verschiedenen Geistesthätigkeiten schon an der Gestaltung

Figur 12.

der Nase erkennen. So sprechen sie von theologischen, Philosophen- und Künstlernasen. Stumpfnasige Bauerjungen sollen fast immer mit einem schärfer ausgebildeten Gesichtsvorsprunge aus ihrer militärischen Dienstzeit zurückkehren. Wer diese Zwangsexercitien für gemesseneres Benehmen mit sich selbst vornimmt, kann also ebenfalls zur Veredelung seiner Nase viel beitragen. Schon die Uebung im klaren Denken und deutlicher, klarer Aussprache wirkt vortheilhaft auf die Umrisse, Linien und Kanten dieses Gesichtstheiles! Deshalb haben auch gutbenaste Menschen immer eine bessere Aussprache, Stimmbildung und Accentuation, als Kinder und kindische Menschen mit ihren stumpfen Stülpen oder Knuppen. Doch wollen wir damit durchaus nicht die Stumpfnasen verurtheilen. Wenn sie nicht zugleich gar zu entstellt und klumpig zwischen den beiden Backen liegen, geben sie nicht selten den Ausdruck der Gutmüthigkeit, die sich denn auch dahinter mitten in einem mehr oder weniger großen Reichthum von Gefühl und Gemüthlichkeit geltend macht. Deshalb findet man auch unter den Deutschen die meisten und besten Stumpfnasen. Freilich wird dieses Gefühl oft zur Schwäche und unmännlichen Weichheit, welche von der habichts- und spitznasigen, schnöden Welt gar zu oft mißbraucht wird. Deshalb thun diese Nasenbesitzer gut, wenn sie sich möglichst zu männlicher Thatkraft zwingen und durch heroische Entschlüsse ihren Witz spitzen und schleifen, wodurch mit der Zeit auch ihre Nasen etwas Schliff bekommen. Doch hüte man sich bei dieser Schleiferarbeit, die Nase concav auszuhöhlen und nach vorn zuzuspitzen, denn das giebt eine Gestalt, wie wir sie in dem Profil Fig. 11 sehen, die küchenschnüffelnde, topfguckerische Spionirnase, welche wie die Schnabel mancher Sumpfvögel nicht blos zum Riechen, sondern auch zum Eindringen und Aufschaufeln aller möglichen müllhaften und sumpfigen Abflüsse und Abfälle des

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_378.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
  1. Nehrlich war auch Stimmbildungslehrer des Kronprinzen von Preußen, dessen wohllautende Sprache berühmt geworden ist, und Lehrer des einst großen Sängers Pischel, der in seiner Selbstbiographie offen bekennt, daß er seine Stimme nur ihm verdanke. Seine „Gesangschule“ war vergriffen. Noch vorgefundene Exemplare sind von der Hanke’schen Antiqurienhandlung in Berlin angekauft worden.