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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Lebens gebraucht wird. Mit diesen Nasen riecht man Vieles, was andere Leute mit den Augen und dem Gehör nur deshalb wahrnehmen, um ihre Nase davon abzuwenden. Sie wittern und erschnüffeln eine ganze Menge geheimnißvolle Dinge, die besser im Sumpfe und in den Müllhaufen des Lebens stecken bleiben, und auf welche diese Art von Nasenbesitzern mit ihrer klatschigen Neugier gerade stolz sind. Aber auch der zu sehr in umgekehrter Form ausgebildete Gesichtsvorsprung, wie der in Figur 12, kann anderen Leuten unbequem werden, da dieses Zeichen zu großer Energie in unseren bürgerlichen Verhältnissen leicht dazu führt, anderen Menschen zu viel Gehorsam und Abhängigkeit von diesem Haken zuzumuthen. Personen mit dieser Nase treten gar zu entschieden in der Gesellschaft auf, und wenn letztere zugleich noch ziemlich kurz ist, lassen sie andere Leute kaum zum Worte kommen. Solche Helden passen deshalb mir gut vor die stummgehorchende Compagnie oder auf das Schlachtfeld. Da wir aber Alle auf dauernden Frieden hoffen, wollen wir diesen Herren oder Damen für ihren Thätigkeitstrieb einen möglichst großen Wirkungskreis wünschen, in welchem die Leute ihrer Herrschaft schon an der Nase ansehen können, daß es nicht gerathen sei, faul oder unredlich zu sein.

„Nase: gewöhnlich,“ heißt es oft auf Passen, in Dienstbotenbüchern und sogar Steckbriefen. Personen, welche ihrer Nase ein ähnliches Zeugniß geben müssen, brauchen sich darum nicht zu grämen, denn sie können viele Vorzüge und Tugenden besitzen, welche zu gut sind, als daß sie sich auf die Nase binden ließen. Nach dem Ausspruche eines Bildhauers darf fast Niemand seiner Nase nachgehen, um einen geraden Weg einzuschlagen, denn die meisten stehen etwas schief, d. h. nach links oder rechts im Gesicht. Ob dies etwas Besonderes zu bedeuten habe und vielleicht mit politischen Richtungen in Verbindung stehe, wollen wir mit größerer Naseweisheit begabten Gelehrten zur Entscheidung überlassen.




Die Sonnwendfeuer.

Den Inbegriff der Natur legt der Volksmund in die Elemente. Aus der schöpferischen Kraft, die in der Flamme und in der Welle waltet, fand er den Schöpfer wieder, und so wurden die Elemente ein Mittelpunkt des Cultus und der Sage. An ihnen hat sich der Drang zu gestalten, der in den Menschen und in den Völkern wohnt, am frühesten bewährt. Bei den Griechen ward die schaffende Kraft zum Gotte selber gemacht, zum Neptun und Vulcan; in der deutschen Sage, wo neben dem epischen der romantische Zug so mächtig ist, sind die Erd- und Feuergeister entstanden.

Es ist klar, daß mit dem Christenthum ein Wendepunkt für diese Gestaltung kam, die der Kindheit der Völker angehört. Aber der Wendepunkt betraf doch nur die Bedeutung, nicht den Bestand der meisten Bräuche. Mit einem weltgeschichtlichen Tactgefühl haben die ersten Sendboten der Cultur die alte Sitte geachtet. Nicht mit dem Schwerte wurden die langgesponnenen Fäden der Gewohnheit durchschnitten, sondern unvermerkt ward die Basis verrückt und der alten Form ein neuer Sinn gegeben. Dieselben Stätten, dieselbe Art der Verehrung ward belassen, wo es nur irgend ging, nur die Adresse veränderte sich, an die Stelle der Heidengötter traten die Heiligen.

Diesem Vorgang verdanken wir es, daß in unserm jetzigen Culturleben noch so mancherlei Anklänge an die Urzeit erhalten sind, und zu diesen gehören auch die Sonnwendfeuer. Tiefer als jedes andere Element greift das Feuer in’s Dasein des Menschen ein und keines ward vom Leben tausendfältiger gestaltet. Welche Kette von Beziehungen liegt zwischen dem heiligen Funken, der am Heerde der Alten glimmte, bis zu den unzähligen Flammen unseres Kronleuchters; welche Unwiderstehlichkeit liegt darin, wenn der Ruf „Feuer!“ durch die Städte schallt, wenn im Treffen das Commando tönt: „Feuer!“

So hat sich schon in den frühesten Zeiten ein Cultus der Flamme gebildet, und wenn auch der christliche Ritus sich desselben allmählich bemächtigt hat, so müssen wir doch in ihm die Quelle der noch bestehenden Gebräuche suchen. Im Harz und am Rhein, sowie in Westphalen werden die Judasfeuer angezündet, in Süddeutschland und ganz besonders in Oberbaiern finden wir die Oster- und die Johannisfeuer. Die ersteren brennen in der Nacht am Charsamstag, wenn die Auferstehung vorüber ist, und sind besonders im westlichen Winkel des Gebirges, aber auch auf dem platten Lande und in Schwaben zu Hause. Am 23. Juni, vor dem Johannistage, zündet man die Sonnwendfeuer auf den Bergen an. Von Gipfel zu Gipfel glänzen sie hinüber, von Alpe zu Alpe schallen die Jodler.

Der ganze Aberglaube und die meisten Gebräuche, die mit dem Sonnwendfeuer zusammenhingen, sind jetzt erloschen; nur der wichtigste Brauch, das sogenannte Scheibenschlagen, ist zum Theil noch in Uebung.

Der Durchschnitt einer Brunnenröhre, oder auch ein altes Wagenrad wird nämlich mit Pech bestrichen und auf einer hohen Stange aufgesteckt. Manchmal nahm man auch einen pechgetränkten Pfeil, und wenn dann die Johannisfeuer angezündet werden, wird die brennende Scheibe im Kreise herumgedreht und dann von der Höhe herab in einem leuchtenden Bogen durch die Luft geschleudert.

Während sie also saust, spricht der „Scheibentreiber“ einen Vers, welcher gleichsam die Widmung enthält, wem die Scheibe gelten soll. Eine große Menge solcher Verse ist noch erhalten und wir finden in denselben ein buntes Gemisch der beehrten Personen. Zur Zeit, wo der religiöse Charakter noch vorwog, wo sogar der Priester das Feuer segnete, ist die heilige Dreifaltigkeit genannt. Aber auch dem Teufel ward einst zu Nauders in Tirol eine Scheibe getrieben, und der Bogen, den dieselbe schlug, soll „unabsehbar“ gewesen sein.

Nach und nach gewann das menschliche Interesse (in des Wortes verwegenster Bedeutung) die Oberhand und die Burschen riefen nun gewöhnlich die Namen ihrer Geliebten in die Luft:

„O du mei liebe Scheib’n,
Wohin soll ich dich treib’n?
Zu die Mittenwalder G’moa (Gemeinde)
Der Lisei ganz alloa“ (allein).

Man sieht, wie exclusiv die Schlingel wurden, um einen modernen Ausdruck anzuwenden. Manche sprachen auch diplomatisch, d. h. zurückhaltend und gaben ihrer Scheibe nur folgende Directive mit:

„In d’ Bairisch Zell’er G’moa,
Du weißt schon, wen ich moa“ (meine).

Wie gar manche Sitte, so bot auch diese bisweilen ein Mittel öffentlicher Rüge dar. Man trieb die Scheiben gefallenen Mädchen zum Spotte (ähnlich wie das Haberfeld) oder machte damit Jene lächerlich, welche eine Ungeschicklichkeit begangen hatten. So ist uns ein Vers erhalten, worin die Scheibe demjenigen gewidmet wird, welcher jüngst

„einen Gänserich am Strick zur Tränke geführt hat“.

In früherer Zeit wurden auch feierliche Vorbereitungen zum Sonnwendfeuer gemacht. Vier Knaben gingen von Haus zu Haus und „sangen“, um das Holz dafür zu sammeln. Niemand durfte diesen Beitrag verweigern, an alle Heiligen ward appellirt.

„Heiliger Sanct Veit,
Schick uns ein Scheit;
Heiliger Hans,
Ein recht ein lang’s;
Heiliger Sixt,
Ein recht ein dick’s;
Heiliger Florian,
Zünd’ unser Haus nit an“

In einem anderen Vers, der mit einem frommen Wunsche schließt, heißt es:

„Wir kommen vom Sanct Veit,
Gebt’s uns auch a Scheit,
Gebt’s uns auch a Steuer
An unserm Sunnwendfeuer;
Wer uns keine Steuer will geben,
Soll das nächste Jahr nimmer erleben.“

Diese Art des Sammelns, die in Oberbaiern landläufig war und bis nach Schwaben und Franken reichte, ist jetzt ebenso in Vergessenheit gekommen, wie die mannigfachen Zwecke und Beziehungen, welche früher dem Johannisfeuer zu Grunde lagen.

Die ältesten Spuren desselben weisen auf einen Zusammenhang mit der Hexenverbrennung hin, in manchem der erhaltenen


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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_379.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)