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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Verse werden die Hexen erwähnt, in manchen Gegenden wurde sogar eine Strohpuppe im Oster- oder im Sonnwendfeuer verbrannt. Das Beifußkraut, ein Zaubermittel, welches gegen alle Krankheiten helfen sollte, ward ebenfalls in’s St. Johannisfeuer geworfen und es trieben diesen Aberglauben „nicht allein die alten weiber, sondern auch vil hoher leut, die doch sich vor sehr weis und verständig halten“. So sagt ein altes Kräuterbuch aus dem Jahre 1687 und eine Menge von Geheimmitteln hängt in dieser Weise mit dem Johannisfeuer zusammen.

Sehr gebräuchlich war es, daß jeder der Anwesenden ein angebranntes Scheit mit forttrug, das auf dem Heerd des Hauses aufbewahrt oder noch in derselben Nacht auf den Flachsacker gesteckt wurde. Auch dem Sprung über das Feuer war eine besondere Bedeutung gegeben. So hoch einer springt, so hoch wächst sein Flachs in diesem Jahre.

Aus dem Flug der Scheibe aber wollte man wahrsagen.

Wie allenthalben, so hat sich insbesondere im baierischen Hochgebirge diese Bedeutung des Johannisfeuers abgestreift; die alte Uebung selber ging indessen nicht verloren. Obschon ihre eigentliche Heimath in dem Theile ist, den das Karwendelgebirg beherrscht, in Grün und Mittelwald, so glänzen doch auch im Osten vom Watzmann bis zur Benedictenwand am 24. Juni die Sonnwendfeuer. Unten im Thale ist es ein herrlicher Anblick und bis in weite Ferne sieht man die lange Reihe der lichten Punkte.

Nicht Jedermann faßt dieselben so auf wie eine nordische Dame, die einst am Starnberger See alles Ernstes zu mir sprach: „I, sehen Sie ’mal, da muß wohl im Gebirge ein Fackelzug für einen gestorbenen Studenten sein.“

Die Burschen im Gebirge, welche die Feuer anzünden, sehen es in der Regel mit Mißvergnügen, wenn Städter sich bei denselben einfinden. Sie wollen bei solchen volkstümlichen Gelegenheiten „unter sich“ sein, es sind da alle möglichen Rendezvous ausgemacht, wo man unliebsam stören könnte, und die Wirthsleute warnen nicht selten geradezu die Fremden vor einer Bergpartie an diesem Tage.

Ich selber habe die Sonnwendfeuer vor Jahren auf dem Wendelstein gesehen, der wenige Stunden vom Schliersee liegt und als „der Hort des baierischen Almensangs“ berühmt ist.

Eine große Gesellschaft von geistreichen Herren und fremden Damen kletterte gleichfalls empor und vielleicht ist auch der gütige Leser geneigt uns zur Sunnwend zu begleiten.

Das ist ein kühler wonniger Augenblick, wenn man nach Sonnenuntergang aus dem dichten Walde auf die Alpenmatte heraustritt, die schon thaufeucht vom Abend ist, wo das Vieh mit Glockengeläute zur Hütte heimkommt.

Nicht weit von der Alm, auf einem Felsenvorsprung, war der Holzstoß aufgerichtet; so ein rechtes Luginsland muß er haben. Ringsum herrscht rühriges Leben, denn das ist keine kleine Arbeit, solch einen Thurm zusammenzutragen. Das Holz, das in der Nähe der Hütten liegt, ward im Laufe der Jahre längst verbraucht, und so muß man tief in, den Wald hinein, um die morschen trockenen Aeste herauszuholen. Sieh nur, wie die Bursche schleppen; der Eine zieht einen halben Tannenbaum hinter sich, der Andere hat einen halben Centnerblock an den Bergstock gespießt; der Dritte hängt mit dem Beile über dem Abhange und fällt noch Aeste von den Latschen oder Krummholzkiefern, deren Harz so trefflich brennt und duftet.

Die Zeit der Dämmerung ist kurz auf den Bergen; durch das niedrige Alpengras strich der Nachtwind und kaum hörbar tönte das Gebetläuten vom Kirchlein am Birkenstein empor. Da begannen die Flammen zu knistern und zu leuchten, anfangs sacht, verstohlen, dann in wilder jubelnder Lohe! Weithin sprühten die Funken durch die klare Sternennacht, und auf allen Gipfeln tauchten die Feuer, die Sonnwendfeuer empor! Wie breit, wie dunkelschwarz die Massen der Berge waren! Jetzt erhob sich einer der Männer, eine kühne Gestalt mit offener Brust und hoher Stirne, der schwang den Federhut und trat bis an den Rand des Felsens. Und als sein erstes Jauchzen ertönte, da war’s, als hätte er der Welt da drunten ein Manifest verkündet, ein Manifest der Freiheit für ewige Zeiten. Hüben und drüben klangen die Grüße herüber, als sollten’s die flimmernden Sterne am Himmel hören.

Um das Feuer bildeten sich bald ganz reizende Gruppen und ich müßte den Pinsel statt der Feder führen, wenn ich sie wiedergeben wollte. Aus den zerstreuten Hütten waren die Sennerinnen heraufgestiegen und schäkerten mit den Burschen vor dein Feuer. Sie mochten wohl wissen, daß dasselbe nicht allein dem Heiligen da droben gelte und daß gar manchen von Jenen noch ein anderes Feuer, als das des St. Johannes, heraufgeführt. Mit spitzem Hut und losen Haaren standen sie da und wenn sie nicht die Hand in die Hüfte stemmten, dann lag dieselbe muthwillig auf den Schultern ihres Verehrers. Der aber zog bisweilen ein Scheit aus dem brennenden Holzstoß und wollte sie damit kosen, daß sie lachend das Weite suchten.

In kleiner Entfernung war die Gesellschaft von Herren und Damen gelagert, die auch das Sonnwendfeuer sehen wollten. Bunte Gestalten in bunter Tracht! Einige der Herren (welche einen Rheumatismus wünschten) gaukelten im Grase, andere lehnten an den langen Gebirgsstöcken, oder saßen neben den Mädchen auf den niedrigen Felsblöcken, die in der Halde zerstreut und von Alpenrosen überwuchert waren. „Hier möchte ich Hütten bauen,“ seufzte eine der älteren Damen, der man den Blaustrumpf selbst im Dunkeln ansah und die vor Entzücken ganz schlotterte, „mir eine und dem Moses eine – und die dritte müßte ich natürlich aufbewahren, wenn ich mich später etwa verheirathe.“

Suum cuique – aber merkwürdig bleibt es trotzdem, wie verschiedene Gedanken derselbe Gegenstand hervorruft, und der Satz ist unumstößlich wahr, daß der Mensch durch nichts sich so sehr zu erkennen giebt, wie durch die Art des Beschauens.

Es war mehr eine Art von Beschaulichkeit, in welche eines der jungen Mädchen versunken schien, das dort allein auf einem Felsstück lehnte. Um den Saum des Kleides rankte sich die grüne Kiefer empor; sie hatte die Hände im Schooß, und vielleicht bekümmerte Gedanken im Herzen. Ueber die aschblonden Haare fiel ein breiter Strohhut herunter mit einer dunkelrothen Blume. – Das war ein Bild, ein vollendetes Bild (wie Riedl in Rom es malt), wo Sonne und Nacht, wo Licht und Dunkelheit in einem Antlitz wohnen. Die Hälfte ihres Madonnengesichts war tief beschattet, nur die weichen Linien des Ovals glänzten im rothen Lichte. Manchmal bog sie das Haupt zurück, wie von geheimer Sehnsucht gezogen, dann leuchteten die Züge im vollem Wiederschein, und alle Pracht des Feuers strahlte zurück aus diesem Zauberspiegel eines Angesichts..

Wenn sie sich nur nicht regt, dacht’ ich in stiller Bewunderung – da kreischt ihr richtig schon die englische Gouvernante einen guten Rath entgegen. „Jenny, Miss Jenny, take care!“ rief sie entsetzt, denn es waren Funken auf das feine graue Kleid gestoben. Jenny fuhr zusammen – und fort war das schöne Bild. Beinahe hätte ich die Gouvernante gepackt und in’s Feuer geworfen, daß sie lebendig gebraten würde! Und es schien als hätte sie mir etwas von diesen guten Absichten angemerkt, denn durch ihre blaue Brille traf mich ein fataler Basiliskenblick.

Ein alter Doctor der Philosophie trieb zum Aufbruch und auch die ländliche Gruppe zerstreute sich allmählich, um von der Felsspitze die Alpenhütten zu erreichen. Auf dem kurzen Weg dorthin mischten sich auch die munteren Burschen unter die Gesellschaft, die sie durch ihre derben Witze und gegenseitige Mißverständnisse erheiterten. Die blaue Brillenschlange hütete ängstlich ihren schönen Pflegling und nannte jeden Bauern einen Gentleman, weil sie dachte: Noblesse oblige.

Nichtsdestoweniger ergriff einer der dreisten Gesellen plötzlich das schöne „Bild“ um die Taille und suchte ihr damit seine Verehrung begreiflich zu machen. Jenny lächelte liebenswürdig, als er sie mit einer Alpenrose auf die Hand schlug, und Jener sprach, nachdem er sichtlich mit dem Ausdruck gerungen: „Du bist das schönste Weibsbild auf Erden.“ Dann aber wandte er sich zu seinem Dirndl, das hinter den Beiden trollte, und sprach: „Gelt, Dirndl, da schaugst, so ein saubers G’frißei bringst halt Du doch nit z’wegen. Neben der da kommst Du schon raus wie a Gaiß neben an Gamserl!“

„Für an Bock is a Gais gut g’nug,“ erwiderte lachend das Dirndl. Die Gouvernante aber, die unter den Nachzüglern geblieben war, rief drohend vor: „Jenny, take care!

Die bunte Gesellschaft ward auf dem Heu in den Alpenhütten untergebracht, und bald war selbst die Brillenschlage im Segen des Herrn entschlafen.

Es mochte zwei Uhr sein, da schlich ich mich heimlich weg und ging hinaus an’s Sonnwendfeuer.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_380.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)