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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Wie unermeßlich lag jetzt diese Welt von Bergen und Wäldern da! Die Sterne waren noch leuchtender, der Bogen des Himmels noch weiter gespannt als zuerst. Jetzt erst war es die tiefe, volle Nacht, die alle Einzelheit verschlingt und nur die Riesenmassen, die meilenlangen Linien übrig läßt. Darum ist die Nacht so unheimlich großartig, darum ist der Tag so lieblich, weil er uns näher steht, indem er uns am Sonnenlicht das Kleine zeigt. Klar und groß lag hier die Welt und der Zusammenhang des Ganzen vor meiner Seele. In ihm allein ruht die Rettung des Einzellebens, in ihm allein wird das Räthsel des Ich gelöst, Darum sind es Stunden der Weihe, Feierstunden in einem Menschenleben, wo uns die Ahnung dieses Zusammenhangs, wo uns der Glaube an das Ganze erfaßt. Stumm stand ich da und sah die Sterne wandeln, und eine Stille lag rundum, die nimmer das Ohr, sondern nur noch die Seele wahrnimmt. Es war, als hörte ich den Flügelschlag der innersten Gedanken.




Skizzen aus dem Zollparlament.
3. Süddeutsche Charakterköpfe.
Der süddeutsche Leo. – v. Schlör und Dr. Carl Barth. - Dr. Marquard Barth und die bairische Fortschrittspartei, Benzino und Jordan -

Feustel und Crämer-Dos. - Dr. Joseph Völk. - Die Badenser: Roggenbach. - Bluntschli. - Die Schwaben: Tafel - Probst - Oesterlen -

Mohl - Baihinger - Mittnacht.


Das weit größere Interesse, das man in dem Zollparlamente für den anderen nicht minder streitbaren ultramontanen Großdeutschen aus Baiern, den Dr. Johann Nepomuk Sepp hegte, den Professor an der Universität München, den Schüler Schelling’s und Görres’, den Mann, der, so lange er schreibt, gegen die Aufklärung in Worten, Thaten und Werken zu Felde zieht, zuerst, gegen Strauß, jetzt gegen Renan, den Mann, der einst das Staatsverbrechen beging, sich vom Katheder der Geschichte herab gegen die Premierschaft der Lola Montez aufzulehnen, und deshalb in seine heimathlichen Gefilde an der Ober-Isar „verwiesen“ wurde, den Mann, der weite Reisen in den Orient gemacht bis zum heiligen Grabe, in der Paulskirche saß, und reiche Schätze altitalischer und altdeutscher Maler besitzt in seinem gothischen Prachthause in München, kurz für den süddeutschen Leo, dieses Interesse hat er schwer getäuscht. Er hat nur sein interessantes Gesicht leuchten lassen über der Versammlung, nicht aber das Silber seiner Rede.

Von den reichen Talenten, die dem Minister Hohenlohe der Gesinnung und politischen Stellung nach am nächsten, von den v. Luxburg, v. Guttenberg, v. Schlör, Dr. Carl Barth u. A. sei den letzteren Beiden ein verdienter Blick gewidmet, v. Schlör ist in seinem Aeußern, seinen Reden und Abstimmungen ein würdiges Spiegelbild seines reichen braven Lebens. Er hat sich als Beamter, Anwalt, Eisenbahndirector tüchtige praktische Erfahrungen, namentlich in wirtschaftlichen Dingen geholt, ist für das deutsche Einigungswerk in der Paulskirche zu Frankfurt thätig gewesen und gegenwärtig baierischer Minister des Handels und der öffentlichen Arbeiten. Schlör ist von mittlerer Größe, breiten Schultern; fremdartig erscheint auf den ersten Anblick der dunkelbraune Teint, die blauschwarzen Haare, die buschigen Brauen, der volle schwarze Schnurrbart. So von weitem gesehen hat sein Gesicht slavischen Typus; aber das ehrliche feste Auge zeigt das deutsche Gemüth, die deutsche Energie. Schlör hat im Zollparlament wiederholt, namentlich, der Einzige unter den Süddeutschen, für die Tabaksteuer, unter großer Aufmerksamkeit und lebhaftem Beifall des Hauses gesprochen.

Wer das charakteristisch-wulstige Gesicht des Dr. Carl Barth gesehen, wird es nie vergessen. Wer ihm in das herzliche tiefe Auge gesehen, wird aber auch die Bedeutung des Mannes, auch seine dichterische Begabung wohl begreifen, wenn er auch sonst nicht wüßte, daß er daheim in Augsburg ein gesuchter Anwalt, einer der besten Vertheidiger des Landes und als Abgeordneter der bayerischen Kammer durch seine Reden für den Zollverein und das allgemeine Wahlrecht, wie durch seine langjährige Mitgliedschaft des deutschen Abgeordnetentages in den weitesten politischen. Kreisen Deutschlands rühmlichst bekannt ist. Im Zollparlament ist Barth’s Thätigkeit mehr den Berathungen vor dem Plenum, die für die Beschlüsse des Hauses entscheidend sind, als denen im Plenum gewidmet gewesen.

Noch bekannter ist sein älterer Bruder Dr. Marquard Barth, unter den Vorkämpfern für deutsche Einheit und Freiheit mit Recht genannt. Er gehörte mit zu jener denkwürdigen Deputation, die dem Könige von Preußen die deutsche Kaiserkrone anbot. Einer der Männer von Gotha, sah er doch nicht wie seine politischen Freunde der Fortbildung Deutschlands vom Standpunkte eines überlebten Doctrinarismus aus mit verschränkten Armen zu. Vielmehr stellte er sich, sobald er 1855 in die bairische Volkskammer gewählt wurde, an die Spitze der Opposition und zog ein tüchtiges Geschlecht bairischer Kämpfer für Volksfreiheit, die bairische Fortschrittspartei, heran. Seine gediegene juristische Bildung machte ihn fortan zum stereotypen Referenten über alle neuen Gesetzentwürfe, an denen Baiern in dem letzten Jahrzehent so reich ist. Augenblicklich arbeitet er an einer neuen Civilproceßordnung für Baiern. Wie sein Bruder ist er Mitbegründer und bis 1866 Mitglied der deutschen Abgeordnetentage gewesen.

Es ist keine Frage, daß die bairische Fortschrittspartei dem Zollparlament aus Baiern die größte Fülle von Talenten, die bedeutendsten Redner zugeführt hat. Hierher zählen die Pfälzer Benzino und Jordan, „der Riese von Deidesheim“, wie er im Vorparlament genannt ward seiner enormen Größe halber, damals schon ausgezeichnet durch seine maßvolle Haltung, seither als Mitglied der bairischen Kammer, namentlich aber als Bürgermeister seiner Heimath, als langjähriger Präsident der pfälzischen Handelskammer und Mitglied des Ausschusses des deutschen Handelstages, von großem Verdienst. Hierhin gehören der reichgebildete, feurige Rechtsanwalt Erhard aus Nürnberg, der tüchtige Rechtslehrer und Professor von Erlangen Marquardten, der liebenswürdige Schriftführer Schenk von Stauffenberg, die Industriellen Jansen und Pfretzschner, der alte Burschenschafter, der seit dem Frankfurter Attentat mit kurzen Unterbrechungen bis 1839 in Untersuchungshaft verbrachte und durch die groben Maßregelungen, die seiner gelehrten Ausbildung in den Weg gestellt wurden, zur Begründung seiner industriellen Carrière gezwungen ward; dann die beiden Parvenus im edelsten Sinne des Wortes, Feustel und Crämer-Doos, die sich durch ihre Begabung und ihren redlichen Fleiß aus armen Knaben mit einfacher Volksschulbildung, gestählt durch die Schule des Lebens und in ihrem Wissen bereichert durch harte Erfahrung und den edeln Wissensdurst, der den müden Körper noch zum Lernen zwingt, heraufgearbeitet haben, Jener zum Chef eines Bankhauses in Bayreuth, Dieser zum Besitzer der großen Fabrik in Doos, in die er einst als gewöhnlicher Arbeiter eingetreten. Feustel ist in der bairischen Kammer stehender Referent über Handelsverträge, Crämer-Doos über Eisenbahnverhältnisse; so sehr erkennt die Versammlung ihr sicheres Urtheil, ihr reiches Wissen an. Auch im Zollparlament sind Beide wiederholt mit Beifall gehört worden; namentlich zählt die Rede Feustel’s über die Gefahren, die der österreichisch-deutsche Handelsvertrag der deutschen Leinengarnzwirnerei bereite, zu dem Besten, was dort über Wirthschaftliche Fragen gesprochen worden ist.

Alle seine Landsleute aber überragt an Gewalt, Feuer und Feinheit der Rednergabe der Augsburger Rechtsanwalt Dr. Joseph Völk. Er ist eine jener Gestalten titanenhafter ungebrochener Urkraft mit seinem kurzen Nacken, seiner breiten Brust, seinem gedrungenen aber elastischen Körper, seinem mächtigen Haupt- und Barthaar, seiner übergewaltigen Bruststimme, wie sie nur das Jahr 1848 in größerer Anzahl im Frankfurter Parlament zu vereinigen vermochte. Im Zollparlament hat Völk kaum seines Gleichen. Aeltere Männer sagen, er habe in seiner Gestalt, seiner Stimmfülle und Redegabe und der zugleich staatsmännisch-maßvollen und gefühlswarmen Art seines Vortrags viel Aehnlichkeit mit Robert Blum. Die Gunst der Zeiten vergönnt ihm, seine Ideale bestimmter und mit mehr Aussicht auf Erfolg den Herzen seiner Hörer nahe zu führen, als es vor zwanzig Jahren der Führer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_382.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)