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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

der Linken in der Paulskirche vermochte. In der bairischen zweiten Kammer erscheint er seit 1855 als Wortführer in allen Fragen von deutscher und europäischer Bedeutung und als der Parteiredner für die deutsche Frage. Auch er ist langjähriges Mitglied des deutschen Abgeordnetentages. Im Zollparlament steht er mit seinen Freunden zwischen den Nationalliberalen und der preußischen Fortschrittspartei und stimmte gegen den Uebergang zur einfachen Tagesordnung über die Adresse.

Noch lange werden die Badenser in dem Freiherrn Franz von Roggenbach die Erinnerung an die Tage verkörpert sehen, da Baden in den Reactionsjahren nach 1848 zuerst unter den deutschen „Staaten“ sich seines alten Ruhmes entsann: den Deutschen voranzuleuchten als ein Muster constitutioneller Regierung und, was noch höher zu schätzen, als das Land einer rein deutschen, auf Preußens Führung gerichteten Politik. Ueber sein Leben und Wirken bis zum Jahr 1863 verweisen wir unsere Leser auf die Gartenlaube jenes Jahres. Es ist bekannt, daß er zwei Jahre später seinen Ministerposten freiwillig aufgegeben und mit einer öffentlichen Erklärung beim Ausbruch des Krieges die geliebte Heimath verlassen, alle erneuten Anerbietungen aber, in den preußischen Staatsdienst und nach dem Kriege wieder in einen badischen Ministerposten oder die badische Kammer einzutreten, abgelehnt hat. Dagegen hat er die Wahl seiner engsten Heimath, des Wiesenthals, die er mit dem Dichter Hebel gemein hat, zum Zollparlament angenommen. Mit Unrecht wird Roggenbach zu denen gerechnet, die jetzt schon den Eintritt Badens in den Norddeutschen Bund unbedingt verlangen. In seiner Heimath kennt man in ihm den Vertreter einer besonnenen, abwartenden Anschlußpolitik. Der von ihm unterzeichnete Antrag auf Uebergang zur motivirten Tagesordnung über die von den Nationalen eingebrachte Adresse hat diesen Standpunkt Roggenbach’s auch vor Deutschland klar ausgesprochen. Leider sollte es seine einzige Leistung im Zollparlament sein. Eine Depesche rief ihn an das Krankenlager seiner hochbetagten edeln Mutier, das ihr Sterbelager sein sollte. Vom Grabe der Mutter kehrte er noch in den letzten Tagen des Zollparlaments wieder zu seinen Pflichten als Abgeordneter zurück.

Wie ganz anders der Mann, der neben Roggenbach sitzt, der berühmte Professor des deutschen Staats- und Privatrechts in Heidelberg, Geheimrath Bluntschli! Seine Züge, sein bartloses, scharfgeprägtes, von vielen charakteristischen Falten durchzogenes Gesicht, das ruhige prüfende Auge, der feine, geschlossene, häufig lächelnde Mund, der eminent geistvolle und doch zugleich behäbige Ausdruck des Ganzen bekunden, daß der große Gelehrte nicht nur deutscher Professor gewesen ist. Noch mehr erinnert die etwas beleibte Gestalt in ihrer nachlässig vorgebeugten Haltung, die lebhaften, fast derben Handbewegungen, vor Allem der entschieden schweizerische Accent an seine Zürcher Abstammung. Man sieht dem Manne seine sechszig Jahre nicht an. Und in der That folgt er der Entwickelung der deutschen Dinge mit demselben Feuergeiste, mit dem er sich vor achtunddreißig Jahren in die Reformbewegung der Schweiz warf, immer mit dem vergeblichen Streben, eine Mittelpartei zwischen den conservativen und radicalen Extremen zu schaffen.

Nach vielbewegter und bedeutender öffentlicher Wirksamkeit als Staatsmann sehen wir ihn in den gegenwärtigen politischen und volkswirthschaftlichen Parteibestrebungen unter den entschiedensten Gegnern eines süddeutschen Sonderbundes, unter den wärmsten Verfechtern eines sofortigen Anschlusses Badens an den Norddeutschen Bund daheim und im Zollparlament. Er hatte die – übrigens sehr harmlose – Metz’sche Adresse mitunterzeichnet. Er war der nach der Geschäftsordnung einzige Redner, der gegen den Antrag auf einfache Tagesordnung das Wort ergreifen durfte, und in meisterhafter Weise sprach er über die höchsten Fragen deutscher Nation, über die Stimmung der süddeutschen Stämme im Gegensatz zu der der Regierungen, die allerdings theilweise sehr andere Wünsche hegen, als die Verwirklichung der deutschen Staatseinheit.

Wer die Rede gelesen, wird gestehen, daß sie zu den besten Mustern deutscher Beredsamkeit zählt. Wer sie hörte, hatte nicht die volle Empfindung ihres Werthes. Bluntschli spricht so langsam, als ob man nachschreiben müsse; das hat er vom deutschen Professor. Er ist aber auch gewöhnt, bei Unterbrechungen, die ihm der Anstand seiner ultramontanen Feinde aus Baiern, Schwaben und Baden sehr ungenirt zu Theil werden ließ, das zuvor Gesagte zu wiederholen, oder mit dem schweizerisch accentuirten Rufe: „Ja wohl, ja wohl!“ zu bestätigen, woran der Norddeutsche nicht gewöhnt ist. In Baden soll Bluntschli auch in Volksversammlungen beliebter Redner sein; jedenfalls ist er durch den Glanz seines Namens, sein eminent ruhiges klares Urtheil und seine hohe Begabung eine der größten Zierden des Zollparlaments.

Den beiden Genannten gegenüber werden wir auch die übrigen deutsch- und römischgesinnten Abgeordneten aus Baden in einem nachträglichen Artikel zur Darstellung bringen, um uns hier sogleich den Vertretern des Schwabenlandes zuzuwenden. Denn einen bedeutenderen Eindruck, als die badischen, machen die „Großdeutschen“ oder, wie sie sich nennen, „großdeutschen Demokraten“, die Würtemberg zum Zollparlament gesandt hat: Oesterlen, Probst, Tafel, Erath, Freisleben, Ammermüller und die der Richtung nahestehenden Schäffle und Bayhinger. Im Gegensatz zu den badischen Großdeutschen mit ihrem Bündniß zwischen Radicalismus und Ultramontanismus ist nämlich bei den Würtembergern die warme Ueberzeugung von der Wahrheit und Richtigkeit ihres politischen Glaubensbekenntnisses nicht zu verkennen. Sie hatten das Unglück, aus einem Wahlkampf hervorgegangen zu sein, der an wilder Leidenschaft, an gegenseitigen Anschuldigungen, an häßlichen Mitteln der Wahlbeeinflussuug, an den gröbsten, lästerlichsten Schimpfreden gegen Norddeutschland und Preußen kaum noch in dem Wahlkampf zwischen Bamberger und Dumont in Mainz seines Gleichen sah. Daher wurden sie bei ihrem Eintritt in’s Zollparlament von mindestens zwei Dritttheilen der Mitglieder als die geschworenen Feinde des Norddeutschen Bundes, des deutschen Gesammtstaats überhaupt, angesehen. Bewiesen nun auch ihre verschiedenen Abstimmungen, daß man sie im Ganzen durchaus nicht unrichtig beurtheilte, wenn man sie für unversöhnliche Gegner der durch das Jahr 1866 geschaffenen Zustände und jeder Erweiterung der Zollvereinsverträge hielt: so errangen sich dagegen ihre Personen die Achtung aller Parteien des Hauses. Daß sie ihren Standpunkt mit Geschick, aus innerer Ueberzeugung und nur aus dieser vertraten, daß sie nach ihrer Weise deutsch dachten, daß ihre Ehrenhaftigkeit und Bravheit über jedem Zweifel erhaben sei, das war die Allen gemeinsame Empfindung bei der persönlichen Bekanntschaft mit diesen Männern.

Hier das ehrwürdige weiße Haupt des ältesten Süddeutschen, des Rechtsanwalts Tafel aus Stuttgart, des ewigen Jünglings, wie seine Freunde ihn nennen, der mit seinen siebenundsechszig Jahren in vierzehn Tagen sechsundzwanzig Wahlreden gehalten hat. Im Zollparlament hat er dafür stets geschwiegen, wie der Feldherr der Seinen von seinem Platze aus die Taktik seiner Truppen ordnend. Diese Taktik war allerdings nicht immer eine sehr glückliche. Namentlich verdarb sie der Abgeordnete Probst am 18. Mai durch die Heftigkeit, mit der er die gerade von den „Schwaben“ gern vermiedene Debatte über die deutsche Frage hervorrief. Das Verhalten der Würtemberger an diesem Tage führte zu ihrer dauernden Isolirung. Probst ist über Mittelgröße, schlank, einundfünfzig Jahre alt, mit graublondem Kinnbart und einem Gesicht, in dem sich viel Welterfahrung und feine Beobachtung, stets aber, wenn er von der Tribüne redet, die unangenehme Empfindung ausspricht, daß er an eine große Majorität gegnerischer Anschauungen sich wendet. Dieses Gefühl schien seine Rede sehr häufig zu beherrschen; er sprach dann unsicher, fast verlegen, er hielt ein advocatorisches Plaidoyer für den und jenen Paragraphen des Zollvereinsvertrags, schützte die Einrede der Inkompetenz vor, ließ manchmal auch eine Replik und Duplik einfließen, kurz behandelte die deutsche Frage nach der Schablone eines gemeinen Civilprocesses.

Es ist schade, daß Oesterlen, der von seinen Landsleuten wohl als der begabteste Redner mit Recht genannt wird, nur einer Berliner Volksversammlung, niemals aber dem Zollparlament die Ehre seines Auftretens in einer wichtigen, und namentlich in der deutschen Frage vergönnt hat. Er ist neunundvierzig Jahre alt, wie Probst Advocat in Stuttgart. Nur aus der Ferne vermochten wir uns seinen markigen Kopf zu betrachten.

Wie Erinnerungen aus längst vergangenen Tagen gemahnte es uns, wenn die würtembergischen Schutzzöllner Mohl und Vayhinger das Wort ergriffen. Es schien dann, als ob alles das, was seit den Zeiten List’s in Deutschland gegen die schutzzöllnerischen Theorieen List’s geschrieben und geschehen, als ob die herrliche Entwickelung unseres Handels, unserer Industrie, die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_383.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)