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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

erstellt und zerstreut, mir hat’s nicht gelingen wollen. Ich weiß, daß Alles nur ein Traum ist, die Liebe und das Glück, weiß es und bin doch noch so jung, und bin doch schon so alt, ein Greis, der auf nichts mehr hofft!“

Und immer noch klagten die Töne unter seinen Fingern, und es rauschte und sang und tobte und jammerte aus den Tasten.

„O, wenn ich Dich nicht hätte, Du meine einzige Trösterin, Musik, Du bist meine Freundin, der ich alles vertrauen kann, die Schwesterseele, die meine Schmerzen ausklagt, wenn sie in mir nur schwelgen und stumm sind.“

Lange saß er und phantasirte, aber dann auf einmal schloß er diese klagenden Phantasien mit einem grellen Accord und sprang auf.

„Ich will die Officiere heute einladen zu einem Nachtessen,“ sagte er hastig vor sich hin, „wir wollen trinken, wir wollen spielen, ich muß mich betäuben. Die Erinnerungen steigen wieder in mir auf, ach, sie machen mich rasend! Leonore, Leonore, Du hast mein Leben vergiftet, ich kann Dich nicht vergessen! Muß immer an Dich denken, mich immer nach Dir sehnen, suche Dich in jeder anderen Frau und finde Dich nimmer, nimmer! Narrheiten!“ rief er dann auf einmal laut, „es ist die Langeweile, die so aus mir klagt und Litaneien wimmert! Ich will es aber nicht! Ich bin jung und lebensfroh und ich will mein Leben genießen in Tollheit und in Lust! Giebt’s keine Lorbeeren zu erobern, so wollen wir uns das Haupt schmücken mit Rosen und Myrthenkränze zerfetzen und Schleier zerreißen und Frauenherzen brechen, da wir nicht in Männerherzen unsere Schwerter bohren können. Ich will ein Fest geben, ein großes Fest, heute, morgen, alle Tage!“

Er nahm die Handklingel, schellte heftig und befahl dem eintretenden Kammerdiener, sofort die sämmtlichen Officiere der Garnison zum Souper heut einzuladen. „Und morgen soll ein Ball arrangirt werden, ein glänzendes Fest, von dem die gute Stadt Magdeburg wieder acht Tage sich erzählen und unterhalten kann!“

Der Kammerdiener ging hinaus, um es dem Haushofmeister des Prinzen zu melden. Nach wenigen Minuten schon kam dieser herein mit verlegenem Gesicht und ängstlicher Miene.

„Königliche Hoheit haben befohlen ein Fest für heute Abend?“ Der Prinz nickte. „Ein schönes Fest, lieber Werner, alle Officiere sollen dazu geladen werden. Der Champagner soll in Strömen fließen und Alles, was es an Leckerbissen in der Stadt Magdeburg nur giebt, soll auf meiner Tafel stehen. Aber zu morgen Abend miethen Sie mir den großen Ressourcensaal. Ich will ein Ballfest geben, alle Damen der Stadt Magdeburg sollen dazu eingeladen werden. Lassen Sie mir den Saal mit Blumen und Guirlanden decoriren und merken Sie sich, mein Lieber, beim letzten Ballfest war die Erleuchtung nicht hell genug. Hundert und aberhundert Wachskerzen müssen Sie anzubringen suchen, es muß Tageshelle sein überall! Sorgen Sie auch für geschmackvolle Geschenke, die man beim Cotillon den Damen vertheilt, aber nicht so mesquin, wie das vorige Mal. Kaufen Sie allerliebste Sachen ein, die den Damen gefallen können und an denen sie Freude haben. Nun, mein Lieber, warum machen Sie denn ein so trauriges Gesicht, warum antworten Sie mir gar nicht?“

„Königliche Hoheit, ich bin in der That verlegen und traurig, denn es thut mir leid, Ihnen widersprechen zu müssen und die schönen Phantasien Ew. königlichen Hoheit nicht ausführen zu können.“

Der Prinz stutzte. „Wie meinen Sie das, Werner?“

„Ich meine, königliche Hoheit, daß leider Ihre Casse nicht erlaubt, solche Wunderfeste aus Tausend und Eine Nacht zu veranstalten.“

„Sind wir schon wieder auf dem Trocknen?“ fragte der Prinz lachend, „sind unsere Quellen schon wieder verstopft?“

„Vollständig, königliche Hoheit, und es sind gar keine Mittel vorhanden, sie wieder flott zu machen!“

„Unsinn, lieber Werner,“ lachte der Prinz, „wozu giebt es denn Wucherer? Wenn wir kein Geld haben, so borgen wir!“

„Damit, königliche Hoheit,“ bemerkte der Haushofmeister, „haben wir uns schon seit langer Zeit beschäftigt, und ich glaube, es ist in Magdeburg kaum noch ein Wucherer vorhanden, bei dem wir nicht schon geborgt hätten.“

„Dann setzen wir das Geschäft fort!“ rief der Prinz lachend, „haben wir bis jetzt zwanzig Procent gegeben, so bieten wir den Wucherern fünfzig Procent. Und wenn’s in Magdeburg nicht mehr geht, so wenden wir uns nach Burg oder wo’s sonst ist. Schacherer und Wucherer giebt’s in der ganzen Welt und darum verzagen Sie nicht, mein lieber Haushofmeister Werner, arrangiren Sie immerhin die beiden Feste und nehmen Sie das Geld, woher Sie es bekommen können.“

Der Haushofmeister seufzte und wagte doch nicht, zu widersprechen. Es war immer das alte Lied, immer dieselbe Noch. Wer konnte ihr steuern? Wo war der Hercules, der es vermocht hätte, Ordnung in diese Dinge zu bringen?

Wie oft hatte der Prinz Ferdinand schon versucht, den verschwenderischen Sohn mit Zürnen und Schelten, mit Drohungen und Vorwürfen zur Sparsamkeit zu bekehren!

Wie oft nicht schon hatte Prinzessin Ferdinand, die zärtliche Mutter des schönen und geliebten Sohnes, mit Thränen und Bitten ihn zu rühren gesucht, daß er ein wenig Ordnung in seine Verhältnisse bringe, mit etwas mehr Sparsamkeit schalte und walte! Es war Alles vergeblich gewesen.

Der freigebige und großherzige Sinn des Prinzen ließ sich nicht beschränken und in Fesseln einengen. Das Leben war da, um genossen zu werden, und wie sollte man rechnen und zählen, wenn es galt, sich oder Anderen irgend einen Genuß zu verschaffen?

Gab’s denn eine Zukunft? Sollte man mit ängstlichem Blick das Auge auf sie hinwenden und darüber der Gegenwart vergessen und des Momentes, in welchem man lebt und glücklich sein könnte? –

Es war ein glänzendes, üppiges Fest, das an diesem Abend der General Prinz Louis Ferdinand den Officieren seiner Garnison gab. Man trank und jubelte und sang und lachte die ganze Nacht hindurch.

Aber am andern Tag war’s doch wieder dieselbe Langeweile, derselbe elende Trödel des Paradedienstes und das öde, unausgefüllte Dasein.

Dann kam jedoch wieder der Abend und das Ballfest, welches der Prinz im großen Redoutensaale veranstaltet hatte. Die ganze schöne Welt von Magdeburg hatte sich zu demselben eingefunden.

In ihren glänzendsten Toiletten waren die Damen gekommen und ihre schönen Augen blitzten ihn an, und ihre purpurnen Lippen lächelten ihm, dem schönen, angebeteten Prinzen.

Der Ballsaal glänzte von hundert und aber hundert Wachskerzen wie in Tageshelle, Blumenguirlanden schmückten die Wände, reich geziert waren alle Räume, die köstlichsten Erfrischungen belebten die Tänzer und Tänzerinnen, die reizendsten und auserlesensten Geschenke winden den Damen im Cotillon überreicht, und ihre Wangen glühten höher auf, und ihre Lippen lächelten verheißungsvoller dem freigebigen Wirthe dieses köstlichen Festes. Und er schien glücklich, sein Auge strahlte, und die Damen flüsterten einander zu, daß er schön sei wie Achill, stolz und herrlich wie Apoll!

Aber am andern Morgen war’s doch wieder dieselbe Langeweile, und der Prinz saß einsam in seinem Zimmer und dachte der vergangenen Nächte nach, und ein unendlicher Ueberdruß und eine tiefe, schmerzliche Erschöpfung waren in ihm.

„Ach, wär’ ich nur ein Handwerksbursch, der mit dem Ränzel auf dem Rücken dahergeht! Muß es immer wieder denken! Möchte jetzt frei sein, nur ein paar Wochen frei von all’ diesem Trödel der Prinzenherrlichkeit und der Generalsepauletten und des Gamaschendienstes! Sie haben meine Seele todtgeschlagen, glaube ich, damals mit dem Tractat von Basel, und wie ich damals den Degen in die Scheide steckte, da habe ich auch mein besseres Ich hineingesteckt, und nun bin ich nichts als ein Gamaschenheld und ein Prinzlein, das nicht weiß, wohin mit seiner Kraft und Lebenslust! Ach, wär’ ich doch ein Handswerksbursch! Und warum, bin ich’s nicht?“ fragte der Prinz auf einmal ganz laut, „warum füge ich mich in diese öde Langeweile und halte aus in dieser Erbärmlichkeit? Warum? Weil ich muß!“ unterbrach er sich dann selber, warf sich auf den Divan und nahm das Buch, das aufgeschlagen auf dem Tisch daneben lag. Dann, wie er las, ward es still in seiner Seele und die Wolken wichen von seiner Stirn und seine edle Miene erhellte sich.

Egmont, Goethe’s Egmont war’s, was er las, sein Lieblingsgedicht! Seine eigenen Schmerzen, sein eigenes Denken und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_386.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)