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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Einige Monate darauf befand ich mich zu Devecser im Abaújvárer Comitate, im Hause des Herrn von Fáy, als der Graf L… ebenfalls hierher kam. Wir saßen Alle auf dem Balcone, als seine Equipage in den Hof fuhr. Das Stubenmädchen, welches soeben, von der Hausfrau citirt, zu uns herantrat, rief, als sie den Grafen erblickte, entsetzt aus: „Jesus Maria, das ist ja der Sóbri!“ Sie wurde dabei todtenbleich. Ihre Herrin nahm sie in’s Verhör; sie war aus der Gegend von Veszprim gebürtig und hatte Gelegenheit gehabt, den Räuber öfters zu sehen, und diesen erkannte sie in dem soeben angekommenen Gast.

Nimmt man alle diese sprechenden Umstände zusammen, so bilden sie ein nur zu starkes Conglomerat von Beweisen, daß der Graf Josef L… in seiner Jugend ein Räuberleben geführt habe. Wem fiel es aber jemals ein, als Kläger gegen den Grafen aufzutreten? Sein Vater war einer der reichsten und angesehensten Magnaten Ungarns, er würde seinen Sohn nicht haben stecken lassen. Die ganze Sóbri’sche Geschichte gerieth in Vergessenheit. Zu jener Zeit konnte so etwas noch angehen, heutzutage würde es schwerer fallen, eine ähnliche Sache zu vertuschen. Damals war der Adelige ziemlich straffrei; man mußte ihn bei einer That erwischen, um ihn vor Gericht ziehen zu können, ja es ereigneten sich sogar Fälle, wo der Adelige auf frischer That ertappt wurde und dennoch mit heiler Haut davonkam. –

Nicht minder berüchtigt als Sóbri war der Betyár Rósza Sándor, der sich zu einer historischen Celebrität emporschwang. Nicht als ob er kühnere Thaten verübt hätte, als irgend einer der von mir zu Anfang dieser Bilder angeführten Räuber, sondern weil er das Räuberleben mit dem eines Guerillaführers vertauscht hatte. Im Sommer des Jahres 1848, als der Krieg gegen die Raizen in der Bácska ausgebrochen war, hielt Rósza Sándor um eine Amnestie bei der ungarischen Regierung an, welcher er sich und seine berittene, achtzig Mann starke Betyárenbande als Freiwillige zur Verfügung stellte; er erlangte sie auch und hielt seinen Einzug zu Szegedin, woraus er in’s ungarische Lager gesendet wurde. Diese Bande that sich in offenen Feldschlachten niemals stark hervor, sie war nur gut bei kleinen Scharmützeln, bei Ueberfällen, zum Fouragiren; doch sie hielt ziemlich streng auf Mannszucht und man hatte keine Ursache, sich über sie zu beschweren. Sie machte den Krieg in der Bácska mit und kam später unter Dembinski’s Commando, endlich aber unter dasjenige Görgey’s.

Nach der Waffenstreckung des Letzteren bei Világos am 13. August 1849, hatte sich die Bande Rósza Sándor aufgelöst.

Von Görgey bethört und in dem Wahne, Rußland werde sich mit den Ungarn gegen Oesterreich verbünden, hatten sich die Allermeisten der Görgey’schen Armee den Russen ergeben. Dennoch fanden sich Einzelne, die heller sahen, als die Uebrigen, und es vorzogen, sich entweder bis nach Komorn durchzuschlagen, oder wie dies nach Beendigung der meisten Feldzüge, zumal nach Revolutionen, zu geschehen pflegt – Freibeuterbanden zu bilden und den Krieg auf eigene Faust fortzusetzen. Zu den Ersteren, zu jenen, die nach Komorn zu kommen trachteten, um hier den Ausgang der Revolution abzuwarten, gehörte ich und auch andere meiner Freunde. Wir konnten es jedoch nicht wagen, in Karawanen zu reisen; Jeder that es für sich, so gut er es konnte, denn es war keine Kleinigkeit, eine Strecke von fünfundsechszig Meilen, wo man sich überall durch die Lager der Russen und Oesterreicher durchschleichen mußte, zu durchwandern. Ich kannte jedoch alle Straßen im Lande sehr genau und machte mich auf den Weg.

Zwischen Berettyó-Szent-Márton und Berettyó-Ujfalu begegnete ich einem reisenden Bauer. Ich hatte nur zu Keresztes-Püspöki einen Wagen genommen und lud den Mann ein, mit mir zu reisen, denn er schien mir sehr ermüdet. Als er aufblickte, erkannte ich in ihm sofort den ehemaligen Betyár und zuletzt Guerillamajor Rósza Sándor. Er nahm mein Anerbieten an und setzte sich an meine Seite. Obschon er mit mir gleich im Range war, erkannte er doch den Abstand, den Geburt und Erziehung zwischen uns gezogen hatten: er wollte mich nicht „Du“ nennen, wie dies in der ganzen österreichischen Armee bei allen Officieren von gleichem Range Brauch ist, ich mußte ihn dazu nötigen.

„Was gedenkst Du zu unternehmen?“ fragte ich ihn.

„Ich werde meine Leute wieder finden, wir fangen den Krieg von Neuem an!“ entgegnete er.

„Trachtet nach Komorn zu kommen!“

„Zu Klapka – ah, der wird’s auch nicht besser machen, als der Verräther Görgey; er ist im Stande, mich und meine Leute den Oesterreichern auszuliefern.“

„Dies ist aber das ungünstigste Terrain für einen Guerillakrieg, die offene Haide, man sieht Euch ja auf tausend Schritte.“

„Im Gegentheil, für Leute wie ich und die Meinigen ist es das beste; denn erstens ist mir das Landvolk hier überall zugethan, ich kann mich verpflegen, die Leute haben Getreide in großer Menge; ferner sind die Ortschaften von einander sehr entlegen, die Feinde können uns niemals erwischen, denn wir besuchen niemals größere Ortschaften, und geschieht es ja, so wissen wir, ob sie von unseren Feinden und wie stark sie besetzt sind; wir können sie leicht überfallen. Werden wir hingegen stark gedrängt, so finden wir in den sumpfigen Gegenden bessere Rückzugspunkte und Schlupfwinkel, als in Wäldern und Gebirgen, wo wir am Ende doch ausgehungert werden können.“

Rósza Sándor stieg vor der Stadt Debreczin vom Wagen herab.

Seine späteren Räubereien tragen zumeist ein politisches Gepräge; niemals beraubte er Jemand, von dem er wußte oder auch nur ahnte, daß er der Sache Ungarns zugethan und ein Revolutionsmann gewesen sei; es ist sogar gewiß, daß er mehreren im Lande sich verbergenden Patrioten Mittel an die Hand gab, aus Ungarn in’s Ausland zu entkommen, und daß er auch den nach Ungarn gesendeten Emissären Kossuth’s seine Dienste anbot.

Er verband sich gleich nach seinem Entkommen aus Világos mit Joseph Geszten, einem der energischsten und stärksten Betyáren. Dieser Joseph Geszten war einer der schönsten Männer, die ich jemals gesehen. Er gerieth noch vor der Revolution in Gefangenschaft; man ließ ihn im Februar frei und er erhielt den Auftrag, Moritz von Szentkirályi, Havas, Máthus, und selbst den Fürsten Windischgrätz, wenn er ihnen beikommen könnte, niederzustechen; man versprach ihm dafür einen Hut voll Ducaten. Im ersten Augenblick ging Geszten auf den ihm gemachten Vorschlag ein; sowohl das Wiedererlangen seiner Freiheit, als das Gold reizte ihn; doch später reute es ihn. Er kam zu mir nach Erlau, wo ich Regierungscommissär war.

„Das ist keine Aufgabe für mich,“ sagte er; „Jemand aus dem Hinterhalt zu erstechen, das mag gut sein für Walachen, aber nicht für einen Ungar. Ich habe es den Herren in Debreczin zugesagt, kann es aber nicht halten. Sie sind hier Regierungscommissär, schicken Sie mich gebunden zurück, denn ich mag kein Meuchelmörder werden!“

Ich übergab ihn einem Courier, den ich nach Debreczin entsendete; Geszten benutzte die Gelegenheit nicht, um zu entwischen, denn er hatte mir darauf sein Wort gegeben; deshalb ließ ich ihm keine Fesseln anlegen. Als er jedoch nach Debreczin kam, wurde er auf Kossuth’s Befehl, dem ich zu Gunsten Geszten’s eiligst geschrieben hatte, frei gelassen. Uebrigens hatte Geszten viel von seiner ehemaligen Energie und Kraft eingebüßt; er war durch einen Schuß im Halse schwer verwundet, so daß ihn Rósza Sándor nicht viel benützen konnte.

Alle die damals im Lande zerstreuten Banden erkannten auch später niemals einen Andern denn Kossuth als Staatsoberhaupt an und empfingen durch seine Emissäre die gemessensten Verhaltungsbefehle; diese waren jedoch mehr verbietend als gebietend, es wurde ihnen niemals geheißen, Diesen oder Jenen zu berauben, sondern verboten, sich an dem Eigenthums wahrer Patrioten zu vergreifen.

Zur Zeit, als man in Komorn mit den Oesterreichern über die Uebergabe dieser Festung unterhandelte, war der Regierungscommissär Kaspar von Noszlopy, aus einer der urältesten adeligen Familien Ungarns, noch aus Arpád’s Zeiten (im zehnten Jahrhundert n. Chr.), in Veszprim geblieben, um hier für die Besatzung von Komorn Recruten zu werben. Er fand keine Gelegenheit, sich wieder in die Festung einzuschleichen, und blieb draußen. Auch er gehörte unter die Proscribirten Haynau’s. Aus den angeworbenen Recruten bildete er eine Guerillabande und hielt sich mehrere Jahre im Bakonyer Walde mit bestem Erfolge. Von ihm hatte Rósza Sándor ebenfalls Befehle erhalten, sie fanden sogar einmal Gelegenheit, ihre Banden zu verbinden, und da war es, als sie mit den kaiserlichen Jägern und Gensd’armen zusammengeriethen; es kam zu einem äußerst mörderischen Gefechte zwischen Abony, Nagy-Körös und Kecskeméth; die Guerillas hatten den Vortheil des Bodens, den sie genau kannten, für sich,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_399.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)