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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

des kleinen Tisches, schon sich niedergelassen. Recht ängstlich ward der Cläre einen Augenblick zu Muth und ihr Herz klopfte so närrisch, wie es nie zuvor geklopft hatte. Aber das war eine Dummheit, und man muß sich zusammennehmen.

Sie hob rasch den Kopf empor und blickte auf, und dann zuckte sie zusammen, denn die großen braunen Augen ruhten auf ihr mit einem so leuchtenden Glanz, und das Lächeln, mit dem er sie ansah, war gar so keck und doch so angenehm!

„Jungfer Cläre,“ fragte er sie mit freundlicher, sanfter Stimme, „Jungfrau Cläre, ist’s noch immer so und bleibt’s dabei, will Sie dem Hans noch immer nicht Pardon geben und ihm wieder gut sein?“

„Pardon geben, davon ist gar nicht die Rede, Monsieur,“ sagte sie lebhaft, „er hat nichts verbrochen, er ist ein guter Mensch, der Hans!“

„Nun, und warum liebt Sie ihn nicht mehr?“

„Was geht’s Ihn an? Er ist nicht mein Beichtvater, Monsieur!“

„Ich wollt’, ich wär’s, Cläre! Was für süße und unschuldige Geheimnisse würden das wohl sein, die von diesen Rosenlippen tönten!“

Wie er das sagte, faßte er ihre Hand und drückte sie in der seinen, und es fuhr ihr wie ein Schauer durch den ganzen Körper. Sie wollte die Hand zurückziehen und konnte es doch nicht, obwohl er sie gar nicht so fest hielt und nur ganz leise, ganz sanft sie drückte.

„O Cläre, laß mich wissen von Deinen süßen, holden Geheimnissen, und sag’ mir, liebst Du den Hans nicht, liebst Du einen Andern?“

Ihr liebliches Gesicht war auf einmal wie mit Purpur übergossen. „Was das für närrische Fragen sind, Monsieur!“

„Sag’ mir’s, Cläre, möcht’s gar so gerne wissen, möcht’ aus tiefstem Seelengrund Dich bitten – liebst Du einen Andern, Cläre?“

Das war doch zu frech und zu stark, dabei mußte man doch bös werden und den kühnen Monsieur auszanken, daß er so etwas ein ehrsames Mädchen zu fragen wagte!

Sie zog die leicht geschwungenen Augenbrauen zusammen und schaute zu ihm herüber und sah, wie seine Blicke glühend und flehend zu ihr hingewandt waren, und es ging wieder ein Schauer über ihren ganzen Körper.

„O Cläre, holdselig Kind, so sag’ mir’s doch, liebst Du einen andern Mann?

„Nein,“ sagte sie ganz leise und beinahe wider ihren Willen, „nein, ich liebe keinen auf der Welt!“

„Und hast noch nie geliebt, schönes Clärchen?“

„O, sicherlich! Ich liebe den Vater und die Mutter und meine zwei kleinen Brüder auch; was soll’s noch weiter?“

„Das ist nicht Liebe, Cläre; das ist nur Gutsein! Hast das nie gehört, Du süßes Kind? Weißt Du nicht, daß Liebe ganz etwas Anderes ist, als wie man Vater und Mutter und Geschwister liebt?“

„Nein, wirklich,“ flüsterte sie beklommen und halb sich von der Bank erhebend, „das hab’ ich nie gehört und will’s auch nicht hören!“ fuhr sie dann mit kecker Stimme hastig fort, indem sie aufsprang, „und Ihr sollt mir’s auch nicht sagen, sonst geh’ ich hin und sag’s dem Vater, daß Ihr ein gar übermüthiger Herr seid!“

„Still, Cläre, still; will’s nicht mehr sagen, wenn Du nichts hören willst. Aber denk’ mir, Cläre, der arme Hans hat mich hergeschickt und hat mich gebeten, ich soll für ihn flehen; er ist ein gar so guter, armer Bursche, er grämt sich so.“

„Ich bitt’ Euch, sagt nichts davon dem Vater, denn sonst schilt er mich und wird sehr böse!“

„Um Alles in der Welt nicht, Cläre, möcht’ ich, daß der Vater auf Dich böse wird! Werde ihm nichts sagen. Aber Dir muß ich’s sagen, er hat bitterlich geweint über Deinen Brief!“

„Ihr wißt von meinem Brief?“ fragte sie erschrocken.

„Ich weiß davon, Cläre; er kann ja nicht lesen, der arme Bursch, ich mußt’ ihm den Brief vorlesen!“

„Es ist wahr,“ sagte sie schnippisch, „er kann nicht lesen, er ist ein gar so gutmüthiger dummer Mensch! Und jetzt begreift Ihr wohl, warum ich den Haus nicht heirathen will; er kann nicht lesen und nicht schreiben!“ Und mit neu gewonnenem Muth lachte sie laut auf und sprang aus der Laube heraus in den Garten.

Sofort war Ludwig Preuß an ihrer Seite.

„Eines noch hab’ ich vergessen, holdseligste Jungfer Cläre!“

„Was denn? ich bitt’ Euch, verschont mich mit dem Monsieur Hans, und wenn er Euch etwas aufgetragen hat, so behaltet’s für Euch, ich mag nichts von ihm hören! Hab’s schon lange gewußt, daß ich ihn nicht mag zum Heirathen, aber ich konnt’s ihm doch nicht in’s Gesicht sagen!“

„Wie gut Ihr seid, Cläre, Ihr mögt Niemand in’s Gesicht sagen, was ihn schmerzen könnte! Das lob’ ich, Jungfer Cläre!“

„Seht einmal!“ rief sie mit einem stolzen Blick zu ihm aufschauend, „der Mousieur lobt mich! Wer giebt Ihm denn ein Recht dazu? Wer hat’s Ihm erlaubt, daß …“ Sie verstummte, denn es war ihr Blick dem seinen begegnet und er schlug wie ein Blitz in ihr Herz ein; sie senkte die Augen nieder.

„Wer’s mir erlaubt hat, Jungfer Cläre? Mein Herz hat mir’s erlaubt!“ Das hatte er ganz leise gesagt, und nun fuhr er lauter fort: „Eines noch hab’ ich vergessen, Jungfer Cläre, wollte nur die Ehre geben, Euch und die Frau Mutter zu einem kleinen Ballfest einzuladen, das wir übermorgen in der Herberge anstellen wollen, und ich bitt’ Euch, mir auch die Ehre zu geben, an diesem Abend meine Tänzerin zu sein.“

Sie erröthete vor Vergnügen und machte einen leichten, kleinen Knix. „Dank’ Euch, Monsieur; wenn der Vater nichts dawider hat, nehm’ ich’s an.“

„Ich kam zu Euch mit Bewilligung des Meisters, Eures Vaters, und wenn’s Euch recht ist, führt mich jetzt zur Meisterin, daß ich auch ihr mein Compliment mache.“

Die Cläre knixte wieder und sagte, sie wolle ihn zur Mutter führen. Und er, mit einer leichten, zierlichen Verbeugung, bot ihr den Arm.

„Um Gottes willen, Monsieur, was fangt Ihr an? Es ist nimmer erhört, daß eine ehrsame Bürgerstochter Arm in Arm mit einem Mannsbild gehe!“

„Dann bitt’ ich um Vergebung, ich wußte das nicht!“

Er machte eine Verbeugung vor ihr und ging nun neben ihr dahin, die lächelnd und niedergeschlagenen Auges an seiner Seite trippelte. Er sah gar stolz und prächtig aus, sein jugendliches, edles Antlitz strahlte vor Freude und aus seinen Augen flammte die ganze Lust, der ganze Uebermuth der Jugend!

Die Frau Meisterin schien sehr geschmeichelt von der Einladung des fremden jungen Mannes und knixte und lächelte und nahm sie dankend an. Und dann mit einer Verbeugung, die so zierlich und so ehrerbietig war, daß die Frau Meisterin beinah’ davor erschrak, entfernte sich der junge Mann.

„Cläre,“ sagte die Meisterin, „ist das der junge Mann, von dem Du mir erzählt hast, daß er ’s Schmiedehandwerk lernen will?“

Die Cläre nickte und sagte nichts; es war ihr so beklommen, als ob ihr das Herz zugeschnürt wär’.

„Weißt Du, Cläre,“ fuhr die Frau Meisterin fort und schaute starr nach der Thür hin, hinter welcher er verschwunden war, „weißt Du, ich hab’ mein Lebtag nicht einen so hübschen Mann gesehen; aber ’s kommt mir gar nicht vor, als ob das ein richtiger Schmied werden könnte!“

„Und warum nicht?“ fragte Cläre beklommen.

„Ich hab’ mal wo gelesen,“ sagte die Meisterin, „ein Märchen vom verzauberten Engel Gabriel, den der liebe Gott auf die Erde geschickt hatte, damit er lernen solle, wie die Menschen es treiben. Er war in ein ganz gewöhnlich Menschenkind verzaubert und doch merkte ’s ihm Jeder gleich an, daß es was ganz Apartes mit ihm sein müßte, und Jeder witterte den Engel hinter dem Menschenkind. Und just so kommt mir der fremde Mousieur vor, Cläre!“

Die Cläre lachte laut auf, aber es klang nicht so natürlich und nicht so froh, wie sie sonst zu lachen pflegte. „Mutter, Märchen passiren nicht mehr in der Welt und sind nicht Wirklichkeit! Die Hauptsache ist, der junge Mann hat uns zum Ball eingeladen auf übermorgen, und nun sag’ mir, Mutter, was für ein Kleid zieh’ ich an dazu?“

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_404.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)