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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

krank ist, und da der Hans Werner keine Mutter und keine Schwester hat, so ist es natürlich, daß wir uns um ihn bekümmern müssen!“

„Gewiß ist es natürlich!“ bestätigte der Vater. „Wir wollen nach Magdeburg und ihn hierher abholen.“

„Ich nicht, Vater!“ rief Cläre, den Kopf stolz zurückwerfend. „Ich will nicht nach Magdeburg zum Hans Werner hin! – Es schickt sich nicht!“

Der Alte zuckte die Achseln. „Dummheit! Er ist Dein Bräutigam und wird bald Dein Mann sein.“

„Nein!“ rief sie heftig, „er ist weder mein Bräutigam, noch wird er jemals mein Mann werden! Er wird’s nimmermehr – ich liebe ihn nicht!“

Meister Kleemann lachte laut auf. „Hat man solche Dummheiten schon gehört? Liebst ihn nicht! – Wollt’s mir auch schön verbitten, daß Du ihn liebst. Das schickt sich auch gar nicht, daß ein anständiges Bürgermädchen den Mann liebt, den sie heirathen soll; das muß nachher kommen! Dazu ist’s noch lange Zeit, wenn Ihr verheirathet seid!“

„Nein, Meister, nein!“ sagte Ludwig Preuß in die Laube tretend, in welcher die beiden Alten neben Cläre Platz genommen hatten. „Seht, das versteht Ihr nicht und da seid Ihr in einem rechten Irrthum. – Die Liebe muß nicht nachher kommen, wenn man verheirathet ist, sie muß vorher da sein. Und sie muß so stark und so groß und so mächtig sein, daß sie alle Bedenken überwindet und daß sie die Herzen aneinander zwingt zum ewigen Bunde. Ihr würdet der Cläre ein großes Unrecht thun, wenn Ihr sie verheirathen wolltet mit dem Hans Werner, da sie Euch gesagt hat, daß sie ihn nicht liebt.“

„Ach, sie weiß gar nicht, was Liebe ist!“ rief Meister Kleemann unwirsch.

„Sagt lieber, Ihr wißt’s nicht!“ erwiderte Ludwig Preuß und ein Lächeln ging über sein Angesicht hin. „Euer Herz ist todt und kalt in der Brust, Meister Kleemann. Ihr habt die schönen Tage längst vergessen, da Ihr um Eure liebe Alte warbt. Vielleicht hattet Ihr immer ein stilles und sanftes Herz, und vielleicht hat Euch das Schicksal nicht die höchste und heiligste Offenbarung des Daseins vergönnt: vielleicht habt Ihr niemals geliebt! – Aber die Cläre, die hat ein großes, glühendes Menschenherz in ihrer keuschen, reinen Brust, und ein solches Herz versteht und weiß, was Liebe ist, wenn es auch nicht mit Worten davon sprechen kann. Sie weiß, daß Liebe so viel heißt, als: Ich will mein ganzes Leben hingeben für Den, welchen ich liebe. Ich will an nichts hangen und nach nichts bangen, als nach ihm allein! – Ich will zufrieden sein mit Armuth und mit Noth, wenn er’s mit mir theilen will. – Ich bin reich wie eine Königin, wenn er mich liebt! – Fragt einmal Jungfer Cläre: ob sie es nicht so in ihrer Brust empfindet und ob sie es nicht weiß, daß das Liebe ist?“

Die beiden Alten sahen ganz verwundert auf den Sprecher hin, und die Cläre hatte das Haupt zu ihm erhoben und schaute ihn an, als sähe sie eine Offenbarung Gottes, – so glänzend und so prächtig wie ein Engel erschien er ihr, und sie hätte ewig so unbeweglich dasitzen und seinen Worten lauschen mögen.

Eine Pause trat ein, und es war recht ein Glück für Alle, daß eben ein Mann rasch durch den Garten daher kam nach der Laube hin. Der Bäckermeister Werner war’s; er kam, um von seinem Sohn zu sprechen, und war so erfüllt von dem Gedanken, daß sein einziger Sohn daniederliege im Lazareth zu Magdeburg, daß er den fremden Gesellen, der neben der Laube stand, gar nicht gewahrte und, ohne ihn zu beachten und zu begrüßen, gleich das Gespräch mit dem Alten anfing über den kranken Sohn und wie ihm geholfen werden könne.

Ludwig Preuß benutzte die Gelegenheit und ging fort. Mit den Augen nur nahm er Abschied von der Cläre, die zu ihm hinblickte, während die Alten sprachen, mit den Augen grüßte er sie, wandte sich dann ab und verließ den kleinen Garten. Aber nicht nach der Schmiede begab er sich, sondern ging rasch durch die Straßen nach dem Wirthshaus, in welchem er eingekehrt war. Da ging er hinauf, ohne den freundschaftlichen Gruß des Wirthes, der vor der Thür stand und bei Seite trat, um ihn vorüberzulassen, weiter zu beachten, ging auf sein Zimmer und schloß sich ein.

Es wogte und stürmte in ihm von gar wundersamen Gedanken, und die leuchteten und blitzten und zürnten vor seinem Angesicht, wie er nun mit hastigen Schritten im stillen Gemach auf- und niederging.

Er horchte auf die Stimmen, die in seinem Innern sprachen. Trübe war sein Angesicht und trübe sah es in ihm selber aus.

„Ich that Unrecht!“ sagte er zu sich selber, „ach, was sind wir Menschen doch für Egoisten! Denken immer nur an uns selber allein. Und wenn wir die Last von unseren Schultern schütteln wollen, so fragen wir nicht danach, ob sie einem Andern auf den Kopf fällt und ihn zerschmettert. Die Langeweile wollte ich mir abschütteln, die bittere, schwere Last, und sollte nun ein Stein daraus werden, der das arme Herz der kleinen Cläre zertritt! Es wäre unrecht!“ rief er ganz laut, „freilich sehr unrecht, das Herz einer Königin ist nicht mehr werth, als das einer Bettlerin! Und das Herz der Cläre ist so unschuldig und rein, ist wie der Spiegel eines klaren Bächleins, in welchem der Himmel zurückstrahlt. O Du liebe, holdselige Cläre, ich wollt’, ich könnte Dein Egmont sein! Ich wollt’, Du könntest Dich entschließen, mein Liebchen zu sein und den Matten, Gequälten Abends in der Dämmerung zu erwarten, ihm die weichen Arme zu öffnen und ihn ausruhen zu lassen von aller Lebensnoth! O Cläre, liebe Cläre, ich wollt’, ich könnte Dein Egmont sein!“

„Und warum kann ich’s nicht?“ fragte er nach einer langen Pause, in welcher er mit großen Schritten im Zimmer auf und ab gegangen war, „warum kann ich’s nicht sein? Ich liebe sie wirklich von ganzer Seele, dies holde, liebreizende Geschöpf! Wäre sie eine Fürstentochter, ich würde glücklich sein, sie zu meinem Weibe machen zu können. Wäre sie eine Gräfin, eine Baronin, ich würde zu ihr hintreten und ihr meine Hand anbieten und wär’s auch nur die linke, wenn die ehrsame Etiquette und das preußische Wappen mit den wilden Männern im Schilde es mir nicht erlauben würden, eine andere als eine sogenannte ,wilde Ehe’ einzugehen. Und wäre sie eine Gräfin oder Baronin, so würde sie vielleicht die linke Hand des preußischen Prinzen annehmen! Sie sind in unseren Zeiten nicht so schwierig. Aber sie ist eines ehrsamen Bürgers Tochter, und ich kann ihr nichts bieten, nichts, als mein Herz und ihre Schande! Denn für die braven Leute würde es eine Schande sein, wenn ihr einzig Kind die Liebste eines Mannes würde, der sie nicht heirathen kann, und wär’ er auch ein Prinz!“

„Aber Cläre liebt mich,“ fuhr er dann nach einer Pause fort, „ihr ganzes Wesen sehnt sich mir entgegen. Ich hab’s ! gesehen, wie sie erröthet, wie ihr Athem stockt, wenn sie mich nur von fern gewahrt; sie liebt mich, und vielleicht ist ihre Liebe groß genug, daß sie Alles verachtet, Alles hingiebt für mich!

Ich will sie fragen, ja ich will sie darum fragen! Sie allem soll entscheiden, sie soll sagen und bestimmen, ob ich gehen soll oder bleiben. Ja, ich will ihr Alles bekennen, und die Cläre soll entscheiden! Heute Abend gehe ich hin, und dann wollen wir sehen, was das Schicksal und die Liebe über mich beschlossen haben! Aber das schwöre ich mir selber,“ rief er dann mit lauter Stimme und hob die Rechte wie zum Schwur empor, „das schwöre ich mir, ich will nicht leichtsinnig spielen mit Menschenherzen und ich sag’s und ich wiederhole es: das Herz einer Königin ist nicht mehr werth, als das einer Bettlerin! Und nun, Ludwig, werde ruhig in dir selber, ruhig und besonnen und überlege, was du thun wirst!“

Er blieb in seinem Zimmer den ganzen Nachmittag, und allgemach ward’s still in ihm und sanft, und es klang in ihm wie holde fromme Melodien. Und wäre ein Clavier dagewesen, er würde seine Schmerzen und seinen Kampf ausgetobt und ausgeklungen haben in seinen Phantasien und das Instrument würde gesagt und geklagt haben, was tief in seiner Seele rang und weinte.

Der Wirth stand unten vor der Thür; er hörte auf einmal droben eine Männerstimme singen, so sanft und so traurig, und ein recht herzbrechend Lied schien es zu sein, denn er hörte zuweilen, als ob eine Menschenstimme in Thränen schluchzte: „Lebe wohl, ich seh’ Dich nimmermehr!“ Und so sehnsuchtsvoll und so schwermüthig klang es, daß es dem Wirth Thränen in die Augen trieb, und er dachte bei sich, der fremde Mosje hätte sicherlich in der Ferne irgendwo ein Liebchen, um das er weinte und klagte und nach dem er sich sehnte.




(Schluß folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 436. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_436.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)