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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Unsinn ist, wohl berechnet, einerseits Eitle, Schwache, Thörichte und Abergläubische zu täuschen, andererseits die Pläne geldgieriger Abenteurer zu fördern; schließlich, daß ohne allen Zweifel Recht und gesunder Menschenverstand gebieten, zu verhindern, daß Jemand im Besitze von Erwerbungen bleibe, die so wie diese durch ein Medium mit oder ohne besondere Begabung gemacht sind. Und daß dem so ist, entspricht dem öffentlichen Interesse und ist von allgemeinem Nutzen.“

Ein so trauriges Ende nahm der Versuch, die Geisterwelt ihre Herrschaft auf das Gebiet irdischer Vermögensverhältnisse ausdehnen zu lassen. Danken wir dem Vice-Kanzler Giffard dafür, im Namen des Rechts und des gesunden Menschenverstandes!




Blätter und Blüthen.

Sonderbare Gewerbe in Paris. In Paris erwachen jeden Morgen Tausende und aber Tausende, ohne zu wissen, woher sie die Mittel zu einem magern Frühstück oder zu einem dürftigen Mittagsessen hernehmen werden. Und doch müssen die Mittel herbeigeschafft werden, denn der Magen ist ein Despot; er will, daß man seinen ungestümen Anforderungen genüge, und läßt sich nicht lange mit leeren Hoffnungen abspeisen. Der arme Teufel also, der zu ehrlich ist, um zu stehlen, und zu stolz, um zu betteln, muß allen möglichen Erwerbsquellen emsig nachspüren, oder neue erfinden, wenn er sich durchbringen will. Man findet daher in der Hauptstadt unzählige kleine Gewerbe, von denen man, außer in London, in anderen Städten keine Ahnung hat. Diese Gewerbe sorgen dafür, daß in Paris nichts unbenutzt verloren geht. Keine Citronenschale, kein Cigarrenstumpf, kein abgenagter Knochen, keine Austerschale wird auf die Straße geworfen, ohne von emsigen Händen aufgerafft und verwendet zu werden. So giebt es Individuen, deren Specialität es ist, aus dem Kehricht die Staniolplättchen aufzulesen, die als Umhüllung von Lyoner Würsten, Bretagner Kuchen und Chocoladetafeln oder als Kappen zu Champagnerflaschen gedient. Sobald eine beträchtliche Masse dieser Plättchen aufgetrieben ist, wird sie an einen Fabrikanten verkauft, der sie umschmelzen und walzen läßt und wieder zu den eben genannten Zwecken an den Mann bringt.

Der Flaschenstöpselfang bildet ebenfalls einen nicht unbeträchtlichen Erwerbszweig. Die Flaschenstöpselfänger gehen nach dem eine Stunde unterhalb der Seine gelegenen Asnières, wo die große Cloake der Weltstadt mündet. Ein Netz vor der Mündung dieser Cloake fängt die Stöpsel auf, die vierzehn Sous das Hundert, oder sieben Franken das Tausend verkauft werden. Da diese Pfropfen mehr oder minder abgenutzt sind, oder in Folge der Schwimmpartie, die sie gemacht, just nicht durch Reinheit glänzen, werden sie wieder frisch zugestutzt und häufigen Waschungen ausgesetzt.

Wie die Stöpsel, so erleben auch die Wasch-Schwämme in Paris ihre Metamorphosen. Wer einen Gang durch Paris macht, wird in allen Stadttheilen junge Mädchen sehen, die unter den Hofthüren in geflochtenen Körben Schwämme feil bieten und zwar zu einem spottwohlfeilen Preise. Woher kommt es nun, daß diese jungen Krämerinnen so wohlfeil die Waare verkaufen können, die sehr hübsch aussieht und so stark nach Chlor riecht, als wäre sie eben aus dem Meeresgrunde geholt worden? Es kommt ganz einfach davon her, daß diese Schwämme zuweilen schier dreißig Jahre alt sind und manchen Sturm erlebt haben, daß sie, nachdem sie im Dienste der Reinlichkeit sich abgenutzt, zerschnitten, sorgfältig gesäubert und geputzt worden und durch einen im Kern verborgenen feinen Bindfaden wieder die Becherform erhalten haben. Der unerfahrene Käufer wird durch den billigen Preis angelockt; kaum hat er sich aber einige Male des Schwammes bedient, so reißt der Faden und der Schwamm fällt auseinander.

Wir haben eben gesagt, daß in Paris keine Citronenschale verloren geht. Eine Frau ist es, die zuerst die auf die Gassen geworfenen Citronen- und Orangenschalen zu verwerthen wußte und dadurch ein bedeutendes Vermögen erwarb. Ihr Gatte war Destillateur und arbeitete für Conditoren und Parfümisten. Seine junge Gattin sah ihn oft an der Retorte, und da sie viel Intelligenz besitzt, eignete sie sich schnell manche Kunstgriffe an und lernte auch auf die praktischste Weise die Elemente der Chemie, so daß sie zuweilen ihren Gatten am Destillirkolben ersetzen konnte. Da starb ihr Mann plötzlich und ließ die kaum zwanzigjährige Wittwe in bedrängter Lage zurück. Indem nun die junge Frau darüber nachdachte, auf welche Art sie ein Stück Brod redlich verdienen könnte, fiel ihr ein, daß ihr Gatte einst, als er sie an einem Sonntag in einer Restauration mit Austern regalirte und dieselben mit dem Safte der Citrone würzte, gesagt hatte: „Ein intelligenter Mensch könnte mit den Citronenschalen, die täglich auf den Mist geworfen werden, sich ein Vermögen erwerben.“ Ihr Entschluß war schnell gefaßt. Sie nahm einen Korb und ging nach der Rue Montorgueil, einer Straße, wo die meisten Austern verspeist und folglich die meisten Citronen consumirt werden. Die Kellner der Restaurationen und Kaffeehäuser, welche jeden Morgen die junge hübsche Frau im Kehricht wühlen sahen, versprachen ihr, als sie die Ursache ihrer Morgenbesuche erfuhren, den Vorrath der Schalen sorgfältig aufzubewahren. Das gleiche Versprechen gaben ihr die Theaterkehrer in Bezug auf die Orangenschalen, und nach kurzer Zeit war die tägliche Ernte so reich, daß die Wittwe mehrere Sammler und Sammlerinnen von Citronen- und Orangenschalen in Dienst nehmen mußte. Kurz, ehe drei Jahre vergingen, hatte sie ein großes Atelier, wo über zwanzig Mädchen mit dem Zubereiten, Trocknen, Verpacken und Versenden der Schalen beschäftigt waren. Die Wittwe hat sich längst schon von den Geschäften zurückgezogen und lebt von ihren Renten.

Ein viel sonderbareres Gewerbe ist das Errathen der Rebusse und das Lösen der Räthsel. Die Pariser Philister, die bei ihrer Tasse Kaffee oder bei ihrem Gläschen Cognac im Estaminet sitzen, verspüren im Allgemeinen keine große Lust, die Räthsel und Rebusse in den illustrirten Blättern zu errathen. Allein es kam doch oft vor, daß sie sich vergebens den Kopf zerbrachen und im Eifer sich fast bei den Köpfen kriegten. Jeder von ihnen bewies seinem Nachbar, daß er die Auflösung gefunden, während sein Nachbar ihm das Gegentheil bewies. Da kam ein armer Teufel, der eine große Uebung im Auflösen von Räthseln besaß und diesen Streitigkeiten seit Jahren beigewohnt hatte, auf den Gedanken, aus seinem Talent einen Erwerbszweig zu machen. An den Tagen, an welchen Blätter mit Rebussen, Räthseln und Charaden erscheinen, begiebt er sich sehr früh in die Estaminets gewisser Stadtviertel, händigt dem Wirthe die betreffenden Auflösungen ein und erhält fünf Sous für jede Auflösung. Wenn sich nun die Philistergemüther bei der Auflösung erhitzen und nicht einig werden können, beruft man sich am Ende auf den Wirth, der die officielle Lösung vorzeigt. Dem Oedipus bringt jedes Rebus mehr als dreißig Franken ein, und da deren mehrere wöchentlich erscheinen, so ist sein Gewinnst sehr beträchtlich.




Sprachliche Mißverständnisse. Eine äußerst merkwürdige Erscheinung in der Sprache ist die, daß sich so oft Wörter fortpflanzen, verbreiten und Boden gewinnen, welche, an und für sich der „reine Unsinn“, daraus hervorgegangen sind, daß irgend ein Ignorant das ursprüngliche Mutterwort nicht verstand und nun lustig verdrehte. Aus den vielen Beispielen wählen wir nur zwei. Es giebt im Plattdeutschen ein ziemlich bekanntes Sprüchwort, welches heißt: „De Kiärl höllt viel d’t Mul oapen,“ und vorzugsweise von solchen Leuten, die es lieben, mit offenem Munde müßig zu gaffen, wenn Andere arbeiten, gebraucht wird. Gott weiß, welcher Berliner oder Tiroler dies Sprüchwort hörte und nicht verstand, genug, es hörte es Einer und übersetzte dasselbe: „De Kiärl = der Kerl, höllt = hält, viel = feil, Mul = Maul, oapen = Affen,“ also: „Der Kerl hält Maulaffen feil!“ Seit der Zeit ist unsere Zoologie mit einer Species bereichert, von der sogar Brehm in seinem „Thierleben“ nichts weiß. Ein anderes Beispiel, auch aus dem Plattdeutschen, ist folgendes. Ein allgemein bekannter, in Deutschland häufiger Vogel heißt in diesem Dialekt: „Hiägenmöhner“, Heckentödter, weil er gefangene Insecten, bevor er sie verspeist, an den Dornen der Hecken aufzuspießen, zu tödten pflegt. Der Vater des hochdeutschen Namens unseres Vogels hörte dieses Wort und übersetzte es, „Hiägen“ mit dem in dem breiten, mundfaulen Dialekt gleichklingenden „Niägen“ (Neun) verwechselnd: Neuntödter. Der Vogel muß sich von jetzt an Neuntödter nennen und die Sage gefallen lassen, er spieße mit tödtlicher Sicherheit jedesmal neun Insecten auf. Ebenso mißverstanden, wie der Name des Dorndrehers, ist gewöhnlich auch der des Eisvogels (Alcedo). Eis heißt Gleiß, und das Thier mithin Glanzvogel.




Der erste Erfinder der Nähmaschine. Nicht von einem Amerikaner, sondern von einem Deutschen ist die Nähmaschine erfunden worden, und zwar schon im Jahre 1815.

„Ein Schneidermeister in Wien, Namens Madesperger,“ so lautet der Bericht von Wien aus jener Zeit, „hat eine Maschine erfunden, durch deren Hülfe alle Arten von Näharbeit mit einer Schnelligkeit, Genauigkeit und Festigkeit zu Stande gebracht werden, die durch Menschenhände nicht leicht zu erreichen sind. Eine solche Maschine hat übrigens alle Eigenschaften einer wohlunterrichteten und geübten Menschenhand; die Nadel bleibt still stehen, sobald der Faden zu Ende oder die Naht fertig und verheftet ist; schreitet dann auch gleich selbst zur weitern Arbeit fort, die weder durch die erforderliche Verschiedenheit der Nähte, noch durch die Verschiedenheit der Formen gehemmt wird. Sie ist zur Verfertigung von Stickereien, Strohhüten, Hemden und tuchenen Kleidungsstücken gleich anwendbar. Nachdem der Erfinder diese Maschine den Behörden zur Prüfung vorgelegt, und diese sie durchaus bewährt gefunden haben, so ist dem Erfinder auf diese Maschine für sämmtliche österreichisch-deutsche Erbstaaten ein ausschließliches Privilegium ertheilt worden.“

Die kriegerischen Ereignisse des Jahres 1815 mögen ebensowohl die Verbreitung dieser Maschine verhindert haben, als damals der Mangel öffentlicher weit und insbesondere im Gewerbfache verbreiteter Zeitungen eine jede Reclame, fast selbst nur eine geeignete Verbreitung der Nachricht unmöglich machte. Vielleicht war nicht einmal, wie dies sehr häufig der Fall ist, der Erfinder der geeignete Mann seiner Maschine Eingang zu verschaffen. Aber der erste Erfinder der Nähmaschine bleibt doch der Deutsch-Oesterreicher Madesperger in Wien.

Georg Holzhey.




„Urahne, Großmutter. Mutter und Kind“. Ein sehr eigenthümliches Zusammentreffen ist es, daß wenige Tage vor der Veröffentlichung des interessanten Artikels „Wie ein schönes Gedicht entstand“ (in Nr. 26 unseres Blattes) das Haus in Tuttlingen den Flammen zum Opfer fiel, in welchem vor Jahren „Urahne, Großmutter, Mutter und Kind“, deren gemeinsames Schicksal Schwab in seinem trefflichen Gedicht so ergreifend schildert, vom Blitze erschlagen wurden – ein eigenthümliches Zusammentreffen, sagen wir, denn, wie alle anderen Beiträge, war der betreffende Aufsatz schon mehr als drei Wochen vorher – welche Zeit die Herstellung jeder einzelnen Nummer unseres Blattes erfordert – in Satz gegeben worden!

D. Red.




Inhalt: Prinz oder Schlossergeselle. Historische Novellette von Louise Mühlbach. (Fortsetzung.) – Ohne Arme! Von J. C. Lobe. Mit Portrait. – Aus meiner Vogelstube. 2. Von Karl Ruß. – Meister Hans. Blätter aus einem zugeklappten Buche. Von Mariam Tenger. – Die Romantik auf der Pleiße. Von Friedrich Hofmann. Mit Abbildung. – Geister vor Gericht. – Blätter und Blüthen: Sonderbare Gewerbe in Paris. – Sprachliche Mißverständnisse. – Der erste Erfinder der Nähmaschine. – „Urahne, Großmutter, Mutter und Kind“.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 448. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_448.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)