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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 29.   1868.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Prinz oder Schlossergeselle.
Historische Novellette von Louise Mühlbach.
(Schluß.)


6.0 Die Erklärung.

Gegen Abend kam der fremde Mosje aus seinem Zimmer hervor, und wie er nun vorüberging an dem Wirth, der sich den ganzen Tag, blos um ihn zu sehen, im Hausflur postirt hatte, da sah der Mann mit einem schnellen Blick beobachtend zu ihm auf; nun, jetzt wenigstens war nichts mehr von Thränen in seinen dunklen, blitzenden Augen zu bemerken, und das schöne Antlitz sah ganz entschlossen und energisch aus und gar nicht kummervoll. Er grüßte den Wirth mit einem leichten Kopfnicken, so stolz und so herablassend, als wär’ er ein vornehmer Herr. Und so stolz, gehobenen Hauptes, ging er hinaus auf die Straße und den Weg dahin, nach dem Hause des Schlossermeisters Kleemann. Zuerst trat er in die Schmiede ein, und der Altgeselle empfing ihn murrend und wunderte sich, daß er heute Nachmittag gar nicht gekommen sei, um Nägel zu schmieden. Das Eisen hätte den ganzen Nachmittag geglüht und ihn erwartet, und Meister Kleemann hätte ihn gern noch gesehen vor seiner Abreise.

„Ist er abgereist?“ fragte Ludwig Preuß rasch.

Der Altgeselle nickte. „Ja, er ist abgereist mit der Alten, nach Magdeburg; er hat seinen eigenen Wagen genommen aus Freundschaft für den Bäckermeister und ist hingegangen, um den Hans zurückzuholen, weil der krank im Lazareth liegt.“

„Und Cläre, die Jungfer Cläre, wollt’ ich sagen,“ fragte Ludwig rasch, „ist die auch mitgefahren?“

„Na, das wäre eine schöne Geschichte,“ brummte der Altgeselle, „wenn sie Alle fortgehen wollten, wer sollte denn den Hausstand besorgen und für uns das Mittagbrod kochen? Nein, die Cläre ist hier, sitzt wie immer des Nachmittags in der Laube im Garten und näht an ihrer Aussteuer. Nun kommt, Ludwig Preuß, nun kommt und schmiedet ein paar Nägel, die Eisenstange ist glühend.“

„Nein, heut’ nicht,“ erwiderte Ludwig kopfschüttelnd, „mir sind die Arme ein wenig lahm, mag mich vielleicht erkältet haben. Seid fleißig, Ihr Gesellen, und wenn die Feierstunde da ist, dann geht nur in die Herberge und laßt Euch Bier geben, in meinem Namen; man soll’s auf meine Rechnung schreiben, ich zahle Alles!“ Er nickte ihnen zu und ging in den Garten.

Der Altgeselle brummte wieder vor sich hin. „Ich bleib’ dabei, er ist kein richtiger Schmiedegeselle, und die Cläre mag sich nur in Acht nehmen; wenn er es lange so treibt, so kommt sie mit ihm in’s Gerede, und Hans Werner nimmt sie nicht mehr.“

Die Cläre saß in der Laube und nähte und hob das Köpfchen nicht empor, als Ludwig zu ihr eintrat, neigte sich nur tiefer über die Arbeit und ließ die blanke Nähnadel so flink durch die Leinwand gehen und hob den langen Faden mit der rosigen Hand empor, so emsig, als hätt’ es gar so große Eile mit ihrer Arbeit.

„Cläre,“ sagte Ludwig leise, „Cläre, schau auf zu mir und sieh mich an.“

Sie schauerte in sich zusammen, und die Hand, welche die Nähnadel wieder fassen wollte, zuckte und fiel nieder. Langsam hob sie das Haupt empor, und er sah an ihren großen blauen Augen, daß sie geweint hatte.

„Du begrüßest mich heute so traurig, Cläre; was ist es denn, wovon sind Deine Augen so roth?“

Sofort, wie er das sagte, standen wieder die großen Thränen in ihren Augen, und die untergehende Sonne blitzte darin wie mit einem leisen, erlöschenden Strahl.

„O Cläre, als ich Dich zuerst sah vor wenigen Tagen, da schautest Du so lächelnd und so fröhlich drein; was ist es denn, was so rasch Deine Heiterkeit getrübt hat?“

„Ich weiß es nicht,“ murmelte sie leise, „ich bin eine Thörin, und weiter ist es nichts. Die Eltern sind nach Magdeburg gereist, und das Abschiednehmen thut mir weh. Muß immer weinen, wenn ich Lebewohl sage. Davon kommt’s, ich bin eine Närrin und Ihr sollt über mich lachen, Ludwig Preuß.“

Er aber lachte nicht, nahm ihre Hand und sagte ganz leise und flehend: „Cläre, ich muß Dich sprechen, aber nicht hier in der Laube, es könnte uns Jemand hören, und was ich Dir zu sagen habe, darf Niemand hören, als Du allein.“

Eine tiefe Röthe schoß über ihr Angesicht; vielleicht flüsterte es in ihrem Herzen von Hoffnung und Liebe, vielleicht meinte sie, daß er jetzt das sagen würde, wonach ihr Herz sich sehnte und was bei dem unschuldsvollen Sinn ihr so natürlich schien.

„Cläre, ich muß Dich allein sprechen, darf ich mit Dir hineingehen in’s Haus?“

Sie nickte hastig und stand auf. „Ich werde Euch vorangehen, werde erst hineingehen. Verlaßt den Garten, geht ein paar Straßen auf und ab und kommt dann wieder von der anderen Seite durch die Hauptthür in’s Haus; drunten in der Wohnstube werde ich Euch erwarten.“

Sie nahm hastig ihr Nähzeug zusammen und verließ die Laube, und Ludwig that, wie sie geboten, ging aus dem Garten und wanderte mit mächtigen Schritten weit hinaus vor’s Thor, und eine halbe Stunde wohl war vergangen, ehe er wieder zurückkam

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 449. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_449.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)