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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

und in’s Haus ging. Seltsam, als er die Hand auf den Drücker zur Thür der Wohnstube legte, da zitterte ihm die Hand und sein Herz klopfte, daß es ihm den Athem versetzte. In mancher Schlacht hat er gestanden, die Kugeln haben um ihn gepfiffen, der Tod ist an seiner Seite gewesen, und nie hat das Herz des Helden gezittert und gebebt, wie es jetzt zitterte und bebte.

Er trat ein in die Wohnstube, wo die Cläre ihn erwartete.

Sie stand auf von dem Stuhl am Fenster und kam ihm entgegen. Und er, ohne ein Wort zu sagen, schlug seine beiden Arme um ihre Gestalt und drückte sie fest an sich.

„Cläre, ich muß Dir’s sagen, muß Dir’s bekennen, ich liebe Dich unaussprechlich! Habe nie etwas Holderes, Lieblicheres und Unschuldigeres gesehen, als Dich, Du einzig liebes Kind! Cläre, ich liebe Dich heiß und glühend, und mir ist, als möcht’ ich Dich jetzt in meinen Armen hinaustragen, hier aus dem Haus, fort, weit fort aus der Stadt, wo ich allein mit Dir wäre, in den dichtesten Wald, wo Niemand uns sieht und kennt, und da möcht’ ich mit Dir bleiben mein Leben lang!“

Er drückte sie fester an sich, und sie wehrte es ihm nicht, wie jetzt seine glühenden Lippen die ihren suchten, und er fühlte, wie sie den Kuß erwiderte, den er auf diese Lippen drückte.

„Cläre, nun sag’s, liebst Du auch mich? Ist Dir’s auch so wie mir, daß Dir die ganze Welt hingeben und opfern möchtest aus Liebe zu mir? Willst Du mit mir ziehen in die Welt hinaus? Willst Du mein Liebchen sein?“

Da hob sie die Arme und schlang sie um seine Gestalt, barg das erröthende Antlitz an seiner Brust und jauchzte selig laut: „Will Dein Liebchen sein und Dein Weib! Wenn Du die Eltern fragst, sag’ ich nicht Nein, und wärst Du arm wie ein Bettler, ich zöge mit Dir hinaus in die Welt und bettelte und dächt’, ich wäre reich wie eine Königin! Ja, Ludwig Preuß, ich will Dein Liebchen sein und Dein Weib!“

Er ließ die Arme sinken, welche eben so fest sie umschlungen hielten, der Ausdruck des Entzückens erstarb auf seiner Miene und sie wurde traurig. „Ich hab’s geschworen, sie soll mir heilig sein, und ich will nicht ihr süßes Herz brechen!“ Das sagte er leise zu sich selber, nahm dann Cläre’s Hand und führte sie zu dem Sitz am Fenster hin, drückte sie auf den Sessel nieder und vor ihr auf die Kniee niedersinkend, umfaßte er mit beiden Armen ihre schlanke Gestalt und blickte zu ihr auf.

„O, stehe auf, Ludwig, wie kannst Du knieen vor, mir!“ flüsterte sie lächelnd, und doch strahlte ihr Angesicht in Lust, wie sie ihn da sah, den stolzen, schönen Mann, zu ihren Füßen, sein Antlitz ihr so nahe, die Augen glühend auf sie geheftet. Nie hatte so ein Mann vor ihr gelegen, und von keinem Anderen würde sie’s gelitten haben, sie hätte gemeint, ’s wär’ unanständig und schickte sich nicht, aber da er’s war, beseligte sie’s.

„Cläre,“ sagte er, „ich habe mit Dir zu reden, und recht aus meines Herzens Grunde will ich mit Dir reden; hätt’ ich Dich weniger lieb, hätt’ ich vielleicht geschwiegen und würd’ das gute Glück genießen, aber Du bist hold und rein, und ich möcht’ auch in der Ferne an Dich denken können mit heiterem Herzen und mit einem ruhigen Gewissen, und darum, Cläre, siehst Du, lieg’ ich jetzt zu Deinen Füßen und will Dir meine Schuld bekennen, meine Schuld und meine Liebe.“

Sie zuckte zusammen und legte ihre Hand auf ihr Herz, es war, als stände es eben still und als wollte sie sterben. „Eure Schuld?“ fragte sie ganz leise, „Ihr habt also Schlimmes gethan? Seid vielleicht gar ein Flüchtling, der irgendwo aus einem Gefängniß entsprungen ist und sich hierher gerettet hat? Ich habe erzählen hören, daß so etwas zuweilen geschieht.“

„Und wenn es so wäre, wenn ich ein Flüchtling wäre, der sich zu Dir gerettet hätte, würdest Du mich verstoßen, würdest Du mich verrathen?“

„Nein, nimmermehr! Ich würd’ Euch verbergen vor der ganzen Welt! Würde mit Euch fliehen, wohin Ihr wolltet!“

Wie prächtig sie aussah, als sie das sagte! Wie ihr Auge glühte und ihr Antlitz aufstrahlte in aller Energie und Liebe!

Es rührte ihn in tiefster Seele, er erfaßte ihre Hand und drückte sie an seine Lippen.

„Cläre, Cläre, warum bist Du kein Fürstenkind!“

Da lachte sie laut auf, es kam ihr gar so drollig vor, daß irgend Jemand so etwas wünschen konnte. „Ich ein Fürstenkind? Würde nicht schön dazu passen, eine Krone zu tragen!“

„Du trägst eine Krone, Cläre, eine Krone der Liebe und Unschuld! Nun höre mich an! Sieh’ mir fest in’s Auge und glaube, daß ich ein redlicher Mensch bin, der’s gut meint mit Dir, Cläre! Ich habe Dir was zu beichten; ich bin nicht der, welcher ich scheine, und wenn ich kam und sagte, ich wollt’ bei Deinem Vater sein Handwerk lernen, so war das nur ein Vorwand – ich kam, um Dich zu sehen!“

„Um mich zu sehen?“ fragte sie lächelnd, „wußtest denn Du von mir?“

„Ach ja, Hans Werner hatte mir von Dir erzählt, er hat mir geklagt, daß Du ihn nicht liebst und nichts von ihm wissen wolltest, und das reizte mich und ich kam, Cläre, kam wie ein leichtsinniger, übermüthiger Mensch, wie’s ein vornehmer Herr thut, dem die Zeit lang wird und der nicht weiß, was er mit der Zeit anfangen soll. Ich langweilte mich in der öden Festung Magdeburg, und da kam’s mir gerade recht, wie mir der Hans Werner seine Noth klagte mit dem grausamen Liebchen, und ich dachte, ich wollt’ einmal zusehen, wie die Cläre ist, und wollt’ ein wenig Zerstreuung und Lust von der Bekanntschaft haben. Ich wußte nicht, daß Du ein so reizend Mädchen bist, so reizend, daß Du mein Herz im Sturm gewannst, im Sturm Dir meine Liebe erobertest! Das allein ist meine Entschuldigung, Cläre. Ich kam, um mir einen heiteren Scherz zu machen, und nun ist aus dem Scherz Ernst geworden, und ich liebe Dich von ganzer Seele!“

„Warum sagst Du das so traurig?“ fragte sie zitternd, „warum siehst mich so ängstlich an? Wenn Du mich liebst, dann ist ja Alles gut, ich liebe Dich ja auch, und der Vater wird sicherlich nicht Nein sagen, denn er hat mich lieb, und wenn ich ihm sage, ich kann den Hans nicht heirathen, weil ich Dich liebe, und weil Du mich heirathen willst –“

„Ach, Cläre,“ unterbrach er sie, „das ist’s ja eben, ich kann’s ja dem Vater nicht sagen, daß ich Dich liebe, und ich kann Dich nicht heirathen!“

Sie schrie laut auf und sprang von ihrem Sitz empor, als wollte sie vor ihm fliehen; er aber erfaßte sie und drückte sie wieder nieder in den Sessel.

„Hör’ mich an, hör’ mich bis zu Ende an, schilt und zürne nachher mit mir, aber gehe nicht, bis Du mich zu Ende gehört hast!“

„Ihr könnt mich nicht heirathen? Seid Ihr schon verheirathet, habt Ihr ein anderes Weib?“

Sie fragte es athemlos, es klang wie ein Schrei, und sie stierte ihn an mit geöffneten Lippen, mit glühenden Augen und harrte athemlos auf seine Antwort.

Er schüttelte das Haupt.

„Ich habe kein anderes Weib, bin unvermählt, aber kann Dich doch nicht heirathen!“

„Warum denn nicht, Ludwig? Warum denn nicht, wenn Du mich doch liebst?“

„Weil sie es nicht erlauben werden, weil die Welt sich zwischen uns drängt und die albernen Vorurtheile der Menschen! O Cläre, hör’ mich an, ich will Dir eine Geschichte erzählen, hörst Du mich?“

„Gewiß, ich höre Euch!“ sagte sie mit den Händen über ihre Augen hinfahrend und die blonden Haare von der Stirn streichend, „sprecht nur, sprecht!“

„Ich will Dir erzählen von einem Prinzen, das heißt von einem armen Menschen, den das Schicksal dazu verdammt hat, ein vornehmer Mann zu sein und nicht wie andere Menschenkinder thun zu dürfen, was ihm sein Herz sagt und was ein einfacher Mensch mit freiem Willen thun darf. Die Menschen denken wohl, ein Prinz sei ein bevorzugtes Wesen, und wissen nicht, wie viel er leidet und wie viel er zu entbehren hat! Der arme, kleine Prinz, von dem ich rede, hat mancherlei gelitten und viel Schmerzen sind durch sein Gemüth gezogen, und dem Höchsten und Schönsten hat er entsagen müssen, der Liebe und dem Glück. Einst ist ein schwerer Kummer durch seine Seele gezogen, und die Liebe hat sein Herz so schwer verwundet, daß die Wunden nimmer heilen wollen und das Herz noch immer blutet. Er aber wollte sich selbst betäuben und sagte zu sich selbst: ,die Liebe soll mich heilen, ich will hingehen, ein anderes Lieb zu suchen, und in Zerstreuung und Lust die alle Trauer vergessen!’ Hörst Du mich, Cläre, hörst und verstehst Du mich?“

Sie nickte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_450.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)