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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

daß keiner unserer vielen Dorfgeschichten-Schreiber dies Paar sehen konnte, um es würdig zu placiren, namentlich, als auch noch neben dem schönen Mädchen her eine weiße Ziege sprang, die einer Dinorah an Niedlichkeit und Zierlichkeit ebenbürtig gewesen wäre.

Und waren die Frühlingszüge zur Nieder-Alm schon hübsch in dieser Welt der Blüthen und des jungen Grün, wie originell sind erst jene Feste der Landleute, welche nur der Mai aufweist, der sogenannte „Maitanz“! Wir sahen ihn in Tegernsee an einem Sonntage. Ueber die ganze weite Fläche des Sees flogen von der Mittagsstunde ab die Tanzlustigen in ihren Booten herbei, auf allen Bergwegen und auf der Chaussee waren Leute in Festputz zu erblicken, und zeigte dieses Kommen schon manches schöne Bild, wurde es lebensvoll und heiter durch all’ die jubelnde Lust, ja, habe ich den Tegernsee fast nie malerischer gefunden, als mit der ewig wechselnden Gruppirung an Schiffchen, wie originell war erst dieser Maitanz selbst, wie hübsch und charakteristisch das ganze Fest!

Volksfeste, ich wohnte solchen öfter bei, Volkstänze, ich sah so verschiedene, ein eigenthümlicheres und fröhlicheres Fest aber, als den bairischen Maitanz, dies „Schuhplatteln“[1] sah ich doch nie! Es ist eine Art Ländler, in den die urwüchsige Kraft der Gebirgsbewohner ihre belebenden Funken geworfen hat. Drei bis vier Mal drehen sich alle Paare so langsam, so gesetzt im Kreise nach der eintönigsten Musik herum, daß man nach diesem melancholischen und höchst ehrbar stillen Beginn am wenigsten die schnell eintretende Variation vermuthet, die aus allen Phasen und Fugen anderer Tänze weicht. Die Paare trennen sich – und wie! Während alle Mädchen sich im selben Rhythmus fortbewegen, einen weiten, sich unablässig langsam windenden Kreis bilden, da springen die Burschen urplötzlich mit einem solchen Saltomortale in die Mitte, daß dieser Sprung jedem Vorturner zur höchsten Ehre gereichen könnte. Sie bleiben danach in ununterbrochener lauter, ja lärmender Bewegung, mit Händen und Füßen, mit dem ganzen Körper; sie schlagen bald Rad nach rechts und links, schlagen den Tact bald an’s Bein, dann an die Fußsohlen und sind wahrlich eben so viel in der Luft, wie am Boden. Unbegreiflich, daß sie sich in diesem tollen Wirbel nie in die Quere kommen und namentlich beim Radschlagen nicht berühren. Die Geschicklichkeit ist bei diesen equilibristischen Kunststücken um so staunenswerther, als die sich drehende Kette der Tänzerinnen am Ende doch immer den Raum beschränkt und sie sich also mit dem Platze sehr zu behelfen haben.

Aus diesem anscheinend so wirren, aber doch sehr geordneten Centrum des Kreises klingt fort und fort ein fröhlich Jodeln, nicht selten aber auch ein Quieken, das hinsichtlich der Schärfe des Tons mit Nutzen Studien an der Locomotive gemacht zu haben scheint.

Wie schrill aber immer der Laut, hier stört er nicht die Harmonie, und wir meinen sogar, es dürfe gar nicht anders sein, er sei vielmehr die durchaus nöthige Zugabe zu all’ der Lust und Beweglichkeit des Maitanzes.

Hat dies bunte Treiben der Burschen etwa zehn Minuten gedauert, so finden sich die Paare abermals zusammen und mit einem letzten kühnen Radschlag steht der Bursch wie hingeweht vor seiner Dame, um sich nun mit ihr von Neuem in jener langsamen Weise zu drehen. Wie contrastirt die Ruhe und Würde der Bewegung mit all’ den froh erregten Gesichtern, aus denen der hellste Jubel, der ganze Uebermuth der Jugend lacht!

Wen beim Schuhplatteln Durst ergreift, eilt nicht zur Quelle, sondern Rad schlagend nähert er sich den Bierseideln, die auf den Tischen stehen, an welchen das Alter, mitunter auch ein Theil der ermüdeten Jugend sitzt. Steht der Bierkrug fern – Darreichen des Glases scheint eben so wenig Mode zu sein, wie Platzmachen – so springt der Durstende auf den Tisch, geht geschickt durch die Batterie der Seidel und das Heer der aufgestützten Arme, oft von Bank zu Tisch und wiederum von Tisch zu Tisch, bis er den seinigen erreicht hat, um etliche Secunden später, einem Federballe gleich, zurück in den Kreis der Tanzenden zu fliegen. Nicht Alle waren gleich geschickt bei dieser genialen Art den Durst zu stillen, ungeschickt aber Keiner, und wer diese derben breitschultrigen Gestalten blos sieht, würde ihnen schwerlich die balletartige Leichtigkeit und Gewandtheit zutrauen, die sie bei ihren Maifesten entwickeln.

Die Burschen tanzen unbedeckten Hauptes, die Mädchen aber haben Tirolerhütchen auf, die mit goldenen Schnüren umwunden sind, oder sie tragen ein Tuch malerisch um den Kopf geschlungen. Das Tuch ist entschieden hübscher, der umwundene Hut aber – besser, denn je mehr der Schnüre, desto reicher des reichen Bauern Tochter.

Diese Maifesterscheinungen verkörpern in hübscher Weise die Gestalten, die uns Herman Schmid in seinen oberbairischen Novellen so reizend gezeichnet hat. Obwohl mir alle Tänzer und Tänzerinnen persönlich fremd waren bei jenem Tegernseer Maitanz, so kamen sie mir dadurch bekannt vor, wie alte liebe Freunde. Das bairische Oberland hat in Herman Schmid einen treuen Naturmaler gefunden, der so glücklich ist, sich fern zu halten von der Klippe der Dorfgeschichte – dem Pathos und der idealen unleidlichen Schwärmerei – es besitzt in ihm einen Schatz, welchen erst Der recht zu würdigen weiß, der einen Blick in jene Welt geworfen hat, die das Hauptfeld seiner Dichtungen ist, und aus eigener Anschauung die ganze Poesie und Schönheit des Bodens kennen lernte, welche er so vortrefflich zu schildern weiß und aus der seine Gestalten sich nicht nur lebensvoll, sondern auch lebenswahr abheben.




Curir-Schwindeleien.
Bruchschäden.


Wehe Dem, der an einem Bruchschaden leidet und in die Hände eines unwissenden Heilkünstlers oder eines gewissenlosen Charlatans fällt! Sein Leben steht dann mehr auf dem Spiele als in einer Schlacht. Es giebt aber auch kein Leiden, welches mehr als ein Bruchschaden eine um- und vorsichtige Behandlung, und zwar vorzugsweise eine rein örtliche, von Seiten eines Sachverständigen verlangt. Ganz entsetzlich ist es deshalb, daß nicht nur die Frechheit von Geheimmittelschwindlern soweit gehen kann, bei einem solchen Leiden nichtsnutzige Pflaster und Balsame zu empfehlen, sondern daß auch die Bornirtheit vieler Laien so groß ist, jenes Zeug zu kaufen und sogar sympathetische Curen, sowie innere homöopathische Mittel dagegen anzuwenden.

Nur mit wenig Worten wollen wir den Leser auf die Wichtigkeit aufmerksam machen, die ein Bruch hat. Im Allgemeinen wird in der Wissenschaft unter Bruch (Eingeweidebruch) das widernatürliche Hervortreten eines Eingeweides aus irgend einer der geschlossenen Höhlen unseres Körpers verstanden. Hierbei tritt das Eingeweide durch eine von der äußeren Haut überdeckte, entweder neu gebildete oder schon vorhandene und erweiterte Oeffnung hervor. Stets wird also das aus seiner Höhle herausgetretene Eingeweide noch von der äußeren Haut überkleidet und bildet in der Regel eine weiche Geschwulst. Im gewöhnlichen Leben bezeichnet man als Brüche das Hervortreten von Unterleibseingeweiden aus der Bauchhöhle und nennt sie deshalb auch Unterleibsbrüche. Von diesen werden die am häufigsten vorkommenden, nach der Stelle des Unterleibes, wo sie sich befinden, Leisten-, Schenkel- und Nabelbrüche benannt. In den allermeisten Fällen liegen in diesen Bruchgeschwülsten Därme oder Netz.

Ein Unterleibsbruch bildet eine fühlbare oder auch sichtbare Geschwulst (meist in der Nähe der Schenkelbeuge), welche von gesunder Haut überkleidet ist. Beim Drucke, oder wenn sich der Kranke auf den Rücken legt, verschwindet sie gewöhnlich, weil das ausgetretene Eingeweide in die Bauchhöhle zurücktritt. Beim Husten und Pressen drängt sich sodann das Eingeweide wieder hervor und die Geschwulst kommt nun von Neuem zum Vorschein, wobei der aufgelegte Finger eine Erschütterung verspürt.

Die Beschwerden, welche ein solcher Bruch veranlassen

  1. In den nächsten Wochen wird die Gartenlaube eine sehr lebensvolle Abbildung dieses originellen Schuhplatteltanzes bringen, die wir noch dem Griffel des kürzlich der Kunst und den Seinigen so früh entrissenen talentvollen Münchner Malers Oswald Rostosky verdanken. D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_455.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)