Seite:Die Gartenlaube (1868) 506.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Unterstützungen an. Der Dictator Venedigs, der Nachfolger der Dogen, schlug alle solche Anerbietungen aus. Er zog es vor, sein karges Brod durch seine Arbeit zu verdienen. Er ward Sprachlehrer und ertheilte als solcher Unterricht nicht nur in seiner Wohnung, sondern auch außerhalb derselben in bekannten Privathäusern. Als ihm in einem solchen die Tochter des Hauses zum ersten Male, mit verlegener Scham, die wenigen Goldstücke zu überreichen zauderte, sagte er freundlich (wir haben diesen Zug aus dem eigenen Munde der Dame): „Warum scheuen Sie sich, mir zu reichen, was ich durch Arbeit verdient habe und verdient zu haben stolz bin?“

Als ich im Jahre 1855 bei Gelegenheit der Weltausstellung mehrere Monate in Paris verweilt, ward mir das Glück zu Theil, Daniele Manin persönlich kennen zu lernen. Ich hatte diesen Wunsch gegen eine uns befreundete Dame, die Gräfin Marie d’Agoult – rühmlich bekannt unter dem Schriftstellernamen Daniel Stern – ausgesprochen. Manin besuchte damals kaum noch eine Gesellschaft. Seine Gesundheit war bereits untergraben, Leiden aller Art und hauptsächlich der Kummer über das mitleidwerthe Schicksal seiner siechen Tochter hatte sein Herzübel zu einer gefahrdrohenden Höhe gesteigert. Dennoch folgte er der Einladung der Gräfin, die zu seinen nächsten Befreundeten gehörte, an einem bestimmten Abende ihren Salon zu besuchen, wo ich ihm alsbald vorgestellt wurde. Ich erlaube mir, den Eindruck, den ich von ihm empfing, mit den Worten meines Tagebuches zu schildern. Manin’s äußere Erscheinung hatte auf den ersten Blick nichts Frappirendes. Eine gedrungene, breitbrustige, untersetzte Gestalt von Mittelgröße in einfacher schwarzer Kleidung, in Haltung und Behaben durchaus einfach, schlicht und scheinlos. Nur der Kopf mit der hohen, breiten Denkerstirn, der, von langem, schwarzem Haar umwallt, fest und stolz auf dem starken Halse und den mächtigen Schultern saß, hatte, verbunden mit dem leuchtenden Blitze des Auges, wenn er sprach, etwas löwenartig Majestätisches, was den zum Herrschen geborenen Mann zu verkünden schien. Aber seine Stimme klang sanft; seine Rede floß ruhig und einfach dahin, und der Gesammtausdruck des kräftigen, von einem bereits stark ergrauenden Barte eingefaßten Antlitzes war überwiegend der der Gutmüthigkeit und Biederkeit. Man hätte ihn statt für einen Italiener vielmehr für einen Deutschen, etwa für einen Gelehrten, halten können, so ganz war das Einnehmende seines Wesens auf Schlichtheit und Natürlichkeit gestellt. Er sprach das Französische äußerst fließend und gewandt, wenn auch mit etwas italienischem Accente, Stimmton und Ausdrucksweise waren jedoch von edelster Simplicität und ohne jede Spur von französischem Pathos, ruhig vortragend mit geringer Handbewegung, wie Einer, der leicht und gern docirt. Man mochte ihm gesagt haben, daß ich Italien kenne und liebe und längere Zeit daselbst gelebt habe, denn er begann das Gespräch mit italienischen Dingen.

„Wir sind unterlegen in dem ersten Versuche,“ sagte er, „aber dieser erste wird nicht der letzte sein, wenn ich die Erneuerung auch schwerlich erleben werde.“ Er hielt dabei die rechte Hand unter dem Rocke fest auf das Herz gedrückt, während ein leises Zucken über seine bleichen Züge flog. „Was man auch sagen möge, Eins ist trotz aller Niederlagen erreicht worden. Italien hat der Welt gezeigt, daß es für seine Unabhängigkeit zu kämpfen weiß. Europa hat fortan kein Recht mehr zu sagen, daß Rom und Venedig nichts Besseres werth seien, als das Joch der Fremdherrschaft zu tragen. Italien hat seine Sache mit der Sache aller nach Freiheit und Recht strebenden Nationen Europas verbunden, und diese Verbindung wird ihre Frucht tragen.“

Es war unmöglich, selbst nach kurzem Gespräche den bedeutenden Menschen, den zum Regieren und zum Beherrschen der Geister geschaffenen Volksführer und Staatsmann zu verkennen, der alle diejenigen, welche ihm nahten, gleichsam mit magnetischer Gewalt an sich zog und fesselte. Ich fragte, ob ich mir gestatten dürfe, ihn vor meiner nahen Abreise noch einmal in seiner eigenen Wohnung zu besuchen. Er gab die Erlaubniß auf das Freundlichste und nannte mir nach einigem Ueberlegen Tag und Stunde, wo er sicher zu sein hoffe, meinen Besuch nicht zu verfehlen. „Ganz sicher bin ich freilich nie,“ setzte er Italienisch redend mit einem leisen Seufzer hinzu, „denn meine Tochter ist sehr krank!“

Die Stunde, die ich mit ihm in seiner bescheidenen Wohnung in der Rue blanche verlebte, wo er in einem der höchsten Stockwerke einige kleine, sehr niedrige Zimmer bewohnte, wird mir unvergeßlich sein. Sie ward ausgefüllt durch Mittheilungen und Gedanken seinerseits, welche sich mir tief in’s Innerste einprägten. In allen seinen Aeußerungen und Ansichten lag eine Ehrlichkeit und Güte des Herzens, verbunden mit einer antiken Klarheit, Einfachheit und Folgerichtigkeit, die etwas unwiderstehlich Ueberzeugendes hatten. In dieser absoluten Scheinlosigkeit beruhte die Großheit seines Wesens, wie in seiner Selbstlosigkeit das Geheimniß seiner Macht lag. Aus meine Frage: ob er nicht die Geschichte seiner Wirksamkeit schreiben werde? antwortete er: „Ich habe mich nicht dazu vorbereitet. Mögen das Andere thun; ich für meinen Theil habe nie daran gedacht, was man von mir sagen werde. Mögen das Andere thun,“ wiederholte er, „wenn ich nicht mehr bin, und das wird nicht lange mehr sein!“ Seine Resignation war die eines guten Gewissens und des festen Glaubens an die Zukunft seines Vaterlandes und seiner Nation. „Dazu könnt auch Ihr Deutschen, und Ihr vor Allen, etwas thun,“ sagte er, „wenn Ihr die Vorurtheile beseitigen helfet, die sich gegen unser Volk aus trauriger Vergangenheit noch immer forterben. Gerechtigkeit üben gegen eine unterdrückte Nation kann und soll ein Schriftsteller immer.“ Ich wies hin auf unsere traurigen deutschen Preßverhältnisse, – das Manteuffel-Hinckeldey’sche Regiment stand damals noch in voller Sündenblüthe. „Ich will Ihnen etwas sagen,“ versetzte er, „auch unter der schwersten heimischen Reaction, von der Sie klagen, läßt sich immer etwas thun. Es giebt eine Wahrheit, die man auch bei Ihnen ohne Gefahr verfechten kann und die zu wiederholen man nie meiden soll, und diese Wahrheit, in welcher die ganze Zukunft Italiens enthalten ist, lautet für Deutschland: Was Du nicht willst, daß man Dir thue, das thue Du selbst auch keinem Andern. Sie wollen eine unabhängige geeinte Nation werden. Wir wollen das auch! Nationen aber sind Individuen so gut wie wir Einzelmenschen. Das Wohlergehen und die Unabhängigkeit, Bildung und Selbstherrlichkeit der einen können daher nie ein Hinderniß, sondern nur eine Förderung des Wohlergehens, der Bildung und Unabhängigkeit der andern sein. Predigen Sie und Ihre Freunde diese Wahrheit! Sie ist das Fundament der neuen glücklichen Zukunft für alle Völker Europas. Sie ist zugleich die allein wahre Erfüllung der christlichen Religion, die man jetzt heuchlerisch mit den Lippen bekennt, während man sie mit der sogenannten politischen Praxis schändet und verleugnet!“

Seine schönen hellen Augen leuchteten in unbeschreiblichem Glanze, als er mir mit diesen Worten die Hand, welche er in der seinigen hielt, zum Abschiede drückte. Es waren die letzten, welche ich von seinen beredten Lippen vernommen. Ich habe ihn nicht wiedergesehen.

Vor mir liegt sein Bild in einer Zeichnung nach dem Originale von der Meisterhand seines Freundes, des auch schon dahingegangenen berühmten Malers Ary Scheffer, das uns in der verklärten Todesruhe des Sterbelagers den hohen Frieden eines guten Gewissen in den edlen Zügen des entschlafenen Menschheitshelden zeigt. Kaum acht Jahre sind verflossen, seit ich von diesem Bilde die Worte niederschrieb: „Dies Bild wird einst, in nicht allzuferner Zukunft, den Anfang einer neuen Reihe ruhmreicher historischer Portraitbilder des erneuten Venedigs beginnen, wenn die Saat aufgegangen sein wird, die er gesäet hat!“

Fürwahr! „die Todten reiten schnell“ in unserer Zeit.




Drei Begegnungen.

Mit Abbildung.


Durch alle Gebiete der Kunst geht wie ein schwerer Seufzer die Klage, daß dieselbe im Sinken sei, daß das Höhere, Edlere, das Ideale vom Niedrigen, Gemeinen, vom baaren Realen überwuchert werde; daß das Geleistete nicht mehr den hehren Standpunkt früherer Perioden erreiche, weil das nachfragende Publicum, in seinen Forderungen gesunken, sich mit Tand, Schein und leerer Unterhaltung begnüge; daß endlich in unmittelbarer Folge davon der begabten Köpfe und Herzen immer weniger werden, die sich

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_506.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)