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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)


ihnen hineingeblickt und es zuckte plötzlich heftig in ihm, dann wandte er sich zu seiner Begleiterin.

„Hören Sie einmal, Frau Schulze, wenn Ihr Vater Ihre Mutter ermordet hätte, möchten Sie es lieber wissen oder nicht wissen?“

„Um Gotteswillen, Herr Doctor!“ rief die Frau.

„Antworten Sie mir, liebe Frau Schulze.“

„Aber wie kommen Sie zu solch’ einer Frage?“

„Hm, sie lag mir nahe. Ihre Antwort?“

Die Frau sann lange nach. „Es wäre schrecklich!“ sprach sie für sich, dann war sie mit sich klar geworden. „Ich möchte es um Alles in der Welt nicht wissen.“

„Ja, ja, ich kann es mir denken,“ sagte der Advocat, „aber – Hören Sie weiter, Frau Schulze, ein Mord muß bestraft werden, nach göttlichen, wie nach weltlichen Gesetzen.“

„In der Bibel,“ bemerkte die Frau, „steht: ,wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll wieder vergossen werden!’“

„Hm, hm, Frau Schulze, Christus hat das wohl nicht gesagt, indeß lassen wir hier die Bibel. Wenn also der Mord, also der Mörder bestraft werden muß, so muß das die Welt erfahren und mithin auch die Kinder des Mörders, und Recht muß sein, Frau Schulze.“

„Der liebe Gott wird es am besten wissen, Herr Doctor.“

„Sie meinen, der Zufall!“ sagte der Advocat und schüttelte bei den Worten fast zornig den Kopf.

Die Frau verstand seine Worte und sein Kopfschütteln nicht. Sie gingen schweigend weiter.

In dem Wagen, in den der Advocat geblickt hatte, saßen der Präsident von Römer und sein Schwiegervater, der Geheimrath von Wangen. Sie saßen schweigend nebeneinander, doch dem Blick des Advocaten war der des Präsidenten begegnet, und Herr von Römer war plötzlich erblaßt. Der Geheimrath bemerkte es, sagte zwar nichts, aber er schien darüber nachzugrübeln. Nach einer Weile sprach er zu seinem Nachbar: „Herr Sohn, Sie schrieben mir in Ihrem ersten Schmerze sehr eilig. Sie konnten mir daher nur mit wenigen Worten den schnellen Tod Franziska’s melden. Meine Geschäfte erlaubten mir nur erst vor wenigen Stunden hier einzutreffen, und so weiß ich noch nichts über die näheren Umstände des schmerzlichen Ereignis. Dürfte ich Sie um deren Mittheilung bitten?“

„Es wird mein Herz zerreißen, dessen Wunden noch so heftig bluten,“ erwiderte der Präsident.

„Ich denke es mir. Aber würde es später weniger so sein?“

Der Präsident mußte erzählen:

„Ein unglücklicher Fall von einem Felsenstücke raubte ihr das Leben.“

„Das schrieben Sie mir. Aber die Umstände?“

„Am vorigen Dienstag machte sie einen Spaziergang. Ich hatte sie gebeten, nicht auszugehen, denn da ich zu arbeiten hatte, konnte ich sie nicht begleiten. Sie war jedoch in einer sonderbaren Aufregung, wie sie schon seit mehreren Tagen unruhig gewesen, ohne daß sie mir den Grund mittheilte, ohne daß ich ihn errathen konnte. Da trat sie am Dienstag gegen Abend in mein Zimmer, angekleidet zum Ausgehen, und sagte mir kurz, sie werde eine Promenade machen; wenn sie spät wiederkomme, so möge ich mich nicht ängstigen. Ich fragte sie, ob sie allein gehen werde, oder mit wem.

,Allein,‘ antwortete sie.

,Und wohin?’ fragte ich.

,Das wisse sie noch nicht.‘

Ich bat sie, nicht zu gehen, sie sei ja fast gar nicht bekannt in der Stadt, in der wir erst seit wenigen Wochen waren; der Abend werde dunkel, die Kinder und wir Alle würden uns ängstigen, wenn sie lange ausbleibe. Sie erwiderte mir nur, sie müsse gehen, es dulde sie im Hause nicht mehr. Es war wohl so. Ich entschloß mich deshalb, sie zu begleiten, und sagte es ihr. Darauf entgegnete sie mir, dann gehe sie nicht; sie müsse allein sein. Sie kennen, Herr Vater, das bestimmte Wesen, das sie hatte; ihren einmal gefaßten Entschluß brach nichts. Ich gab ihr nach, zumal da ich eine sehr dringende und wichtige Arbeit vor mir hatte.“

Der Geheimrath unterbrach seinen Schwiegersohn.

„Haben Sie Streit mit ihr gehabt, Herr Sohn?“

„Kein böses Wort war zwischen uns gefallen.“

„Und Sie haben keine Ahnung, was sie beunruhigte, aufregte?“

Der Präsident entfärbte sich ein wenig.

„Nein – Indeß, kommen wir nachher darauf zurück.“

Der Geheimerath schwieg.

(Fortsetzung folgt.)




Drei Geburtsstätten und zwei Grabmäler.

Tausende von frohen Menschen ziehen alljährlich vorüber nach den Höhen und Felsenthälern der sächsischen Schweiz, ohne die bescheidenen, aber poesieumrankten Erinnerungsstätten, die der Raum einer kleinen Stunde zwischen Berg, Wald und Weinreben, am freundlichen Elbufer umschließt, einer Beachtung für werth zu halten, da ihnen der andeutende Fingerzeig mangelt.

Wenn wir auf stattlichem Dampfer Dresden stromauf fahren, an sommergrünen Ufern, Rebenhügeln mit stolzen Schlössern und freundlichen Villen vorüber, so währt es nicht lange, je näher wir dem freundlich gelegenen wein- und baumreichen Loschwitz kommen, daß von dem Weingebirg zur Linken, in grünen Waldhintergrund gebettet, ein kleines Häuschen herabschaut, so verschwindend inmitten benachbarter Villen, daß es unser Blick leicht übersehen dürfte, falls er nicht besonders darauf aufmerksam gemacht wird. Es ist kein Wohnhaus und nur ein jedes Schmuckes entbehrendes Gartenhaus. Eine Flaggenstange erhebt sich daneben, auf welcher bei festlichen Gelegenheiten die schwarz-roth-goldenen Farben wehen.

Bescheidenes Gartenhaus dort auf der Höhe, wenn all’ die Bewohner der umliegenden prächtigen Schlösser und Villen zu Staub und Asche geworden sind, ihr Andenken längst verschollen ist, wird die dankbare Nachwelt noch deines einsamen Bewohners, bescheidenes Gartenhaus, gedenken, der vor nun bald hundert Jahren von deiner Höhe sein strahlendes Jünglings- und Dichterauge über das blühende Thal schweifen ließ und welcher die Worte seines großen dichterischen Zeitgenossen und Freundes abermals zur Wahrheit machte:

„Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,
Ist eingeweiht; nach hundert Jahren klingt
Sein Wort und seine That dem Enkel wieder.“

Friedrich Schiller war es, der drei Jahre lang, während der Frühlings- und Sommermonate, hier wohnte und in freier Bergluft, inmitten grünender Weinranken, in holder Einsamkeit, seinem deutschen Volke einen der schönsten Kränze seines unsterblichen Dichtergeistes niederlegte.

Dieses schmucklose Gartenhaus, dermalen zu der schönen Besitzung des Kaufmanns Prölß in Dresden gehörig und dem Besucher stets offen stehend, ist noch ganz in dem Zustande erhalten, in welchem es der Dichter einst bewohnte. Da ist freilich von keinem parketirten Fußboden, wie wir ihn in den benachbarten Schlössern und Villen antreffen, ja nicht einmal von einer einfachen Diele die Rede; kalte Sandsteinplatten bilden den Fußboden. Doch konnte die kleine Stube an naßkalten Sommertagen, die im hiesigen Elbthale nicht zu den Seltenheiten gehören, durch einen kleinen Kamin erwärmt werden. In der einen Ecke gewahrt man noch im Fußboden eine durch einen Deckel verschlossene Vertiefung, welche Schiller als Papierkorb benutzte. Mit Ausnahme eines hölzernen Tisches, auf dem das unvermeidliche Fremdenbuch und ein Schilleralbum liegen, entbehrt das Gemach jedes Meubels. Von der Wand im Hintergrunde schaut die Büste Schillers herab, während die eine Seitenwand mit einer Illustration des Liedes von der Glocke und die andere mit Schiller’s Portrait in Kupferstich geschmückt ist. Unter letzterem liest man als Facsimile die Worte des Dichters:

„Wie der Quell aus verborgenen Tiefen,
So des Sängers Lied aus dem Innern schallt,
Und weckt der dunklen Gefühle Gewalt,
Die im Herzen wunderbar schliefen.“

Die Aussicht vom Schillerhause ist eine der reizendsten. In der Ferne zur Rechten die Thürme Dresdens über dem Spiegel der Elbe, deren blaues Band man stundenweit verfolgen kann. Jenseit des Flusses die große fruchtbare und von Wald durchgrünte Thalebene bis zu den in Duft verlorenen böhmischen Gebirgen. Der nächste Vordergrund bietet ein lachendes Landschafts- und Weinbergsbild, wo auch der Trockenplatz nicht fehlt, auf welchem die einstige Körner’sche Waschdeputation den Dichter in seinem Ebolirausche so prosaisch störte.

Auf der einen Seite des Schillerhauses, nach der Berggasse hinaus, auf welche aus dem benachbarten Park die Statue Schiller’s herüber blickt, liest man die Worte:

Hier schrieb

Schiller bei seinem Freunde Körner

am

Don Carlos

1785.   1786.   1787.

Errichtet      im Mai 1853.

Dieses Schillerhäuschen wäre also die erste Geburtsstätte, die Geburtsstätte eines Gedichtes, das, in goldener Form nach weltbürgerlicher, kirchlicher und politischer Freiheit ringend, fort und fort unsere Jugend in


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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_511.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)