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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

es war ja auch mehr nur ein kindischer Trotz. Sie werden sich Vorwürfe über ihn machen und um so mehr den Vater wieder lieben. – Und dann sollen sie hören, der Vater habe ihre Mutter ermordet; er wird als gemeiner Mörder von ihrer Seite gerissen! Dann soll ihm der Criminalproceß gemacht werden. Er wird öffentlich hingerichtet. – Die armen, armen Kinder! Aber soll der Mörder um der Kinder willen seiner Strafe entgehen? Soll der Gerechtigkeit ihr Recht nicht werden, weil die Ehre, der Name, die Gefühle der Angehörigen des Verbrechers dadurch leiden würden? Was wäre dann die Gerechtigkeit auf dieser Erde? – Doch kann er leben, kann er die Kinder wieder ansehen, wenn er ein Mörder, wenn er der Mörder ihrer Mutter ist?“

„Aber ist er denn ihr Mörder?“ rief er dann wieder.

„Und wenn er es dennoch wäre, und wenn er mit jener Frechheit, mit jener kalten Ruhe des verdorbensten, verhärtesten Verbrechers schon gegen mich den Heuchler machen könnte! Und er sollte dennoch ohne Strafe, ein Hohn auf die Gerechtigkeit, umhergehen, frei die mit dem Kainszeichen gebrandmarkte Stirn zeigen?“

Der Greis wurde in seinen beängstigenden Gedanken unterbrochen. Der Bediente des Präsidenten meldete: „Herr Doctor Brand bittet, den Herrn Geheimenrath sprechen zu dürfen; es sei eine wichtige Angelegenheit.“

Dem Geheimenrath war der Name des Angemeldeten unbekannt, da aber von einer wichtigen Angelegenheit die Rede war, glaubte er, den Besuch nicht zurückweisen zu dürfen.

„Ich lasse den Herrn Doctor bitten, einzutreten,“ sagte er.

(Fortsetzung folgt.)



Blätter und Blüthen.

Der Radetzkymarsch. (S. Abbildung auf S. 525.) Die illustrirte Literatur unserer Tage darf nicht davor zurückscheuen, auch die schmerzlichen Züge des Völkerlebens darzustellen, besonders wenn aus ihnen eine ernste Mahnung geschichtlicher Gerechtigkeit aus jüngster Vergangenheit zu uns spricht. Eine solche Illustration ist die nach dem Gemälde von Harold Stanley, der im vorigen Jahre zu München starb, von uns in Holzschnitt heute mitgetheilte, und wir stehen nicht an, sie gleichsam noch im Nachhall des großen Wiener Schützenfestjubels zu veröffentlichen, weil sie das zeitgemäßeste Gegenbild desselben vorführt.

Nie hat das gesammte außeritalienische Oesterreich auf eine seiner Armeen mit allgemeinerem Stolz geblickt, als im Jahre 1849 auf die Armee Radetzky’s in Oberitalien. Trotz aller blutigen Parteikämpfe im Reich – die Nachrichten von den Heldenthaten, zu welchen der alte „Soldatenvater“ seine anfangs so zerstreuten, verlassenen und schwachen Truppen zusammenzuraffen, zu begeistern und zu führen wußte, ward über den Parteihaß Herr, der Siegesjubel ward zum Siegesrausch auch in den Bürgerköpfen. Und in der That enthält die Geschichte dieser Armee so viele einzelne Glanzstücke höchsten Muthes und äußerster Aufopferung, war das Verhältniß zwischen Mannschaft, Führern und dem Feldherrn ein bei der eisernsten Disciplin so wahrhaft treu cameradschaftliches, die Stimmung Aller eine durch die außerordentlichsten gemeinsamen Erlebnisse so gehobene, bis zum letzten Tambour veredelte, daß Radetzky’s Truppen allerdings als eine Musterarmee in Europa dastanden. Und wie diese Soldaten damals mit Recht singen konnten:

„Krowatisch, deutsch, wellisch,
Ungarisch durchanand,
Und doch red’n mar an’ Sprach’,
Gilt’s Oesterreicherland!“

so fühlten sie sich auch wirklich als die Elite, als die wahre Repräsentation der Völker des Kaiserstaates und riefen es laut hinaus: „Wo wir sind, da ist Oesterreich!“

Aber der Geist, der diese Sieger führte, war der der Unterdrückung – und selten ist es der Kunst gelungen, dies so klar und tiefergreifend in einem Bilde auszusprechen, wie es vorliegend geschieht. Die Vorhalle einer lombardischen Villa ist zur Soldatenschenke umgewandelt, und ein junges italienisches Weib, in welchem jedes Auge sofort die trauernde Wittwe erkennt, wird vom fröhlichen Uebermuth der Soldaten gezwungen, den Radetzkymarsch zu spielen, die Triumphmusik über ihr unglückliches Vaterland, für das ihr Gatte den Tod erlitt. Trotzdem können wir der Kriegertruppe deshalb nicht feind sein. Sie treibt keinen Hohn. Der Husar wichst den Schnurrbart, der Kaiserjäger jauchzt auf bei den Klängen, und der gutmüthige Kroate hätte so gern den schüchternen Knaben auf dem Schooß. Wenn wir eine bittere Satire im Bilde erkennen wollen, so ist’s die auf die ewig im Dienste der Gewalt geschmeidige, hier in dem Mönch personificirte Pfaffenschaft. Wie aber erscheint uns heute diese Wittwe? Steht sie nicht vor uns wie die trauernde „Italia“ in ihrer tiefsten Erniedrigung? Und hinter ihr lauscht, voll Angst und Wuth, das geknechtete Volk!

Das ist das treue Geschichtsbild von Oesterreich und Italien im Jahre 1849. Zehn Jahre später kam die Rache von Solferino, die Musterarmee unseres Bildes war verschwunden; aber noch ein Bluttag mußte über Oesterreich kommen, um das neueste Zeitbild zu vollenden, das beim Schützenfest der Kaiserstadt sich so klar und groß dargestellt hat, wie hier sein Gegenstück.

„Wo wir sind, da ist Oesterreich!“ So rufen heute die Volksabgeordneten des geeinigten und freien Reichs aus. Hinausgestoßen ist aus diesem Bilde das dienstwonnig herrschende Pfaffenthum. In Wien, von der Tribüne des Schützenfestes, donnert das Wort eines Ungarn: „Fort mit dem Nationalitätenschwindel! Sind wir erst freie, constitutionelle, intelligente Menschen, dann haben wir erreicht, was unser Beruf ist, wir haben geöffnet die Pforten des Tempels der menschlichen Würde! Dann wird es sehr leicht sein, uns unter uns Brüdern abzufinden. Du sprichst Slovakisch, Du Deutsch, Du Ungarisch, aber wir Alle sind Brüder!“ – Und wenn heute der Radetzkymarsch erschallt, so bedeutet sein stolzes Rauschen den Sieg eines treuen Volks und den Gruß zur Ehre freier Männer.

Fr. Hfm.



Ein neuer Alpenführer. Viel später als die Schweiz ist das Schwesteralpenland Tirol durch und für die Touristen entdeckt worden, ja wir können sagen, noch bis zum heutigen Tage ist diese Entdeckung nur sehr teilweise geschehen. Noch lange ist Tirol nicht durchlaufen und abgetreten bis in seine hintersten Bergschluchten und die höchsten Schneegipfel hinauf, wie die Schweiz, noch bietet es vielmehr für alle Die, welche nicht die breite Heerstraße der Reisezüge wandern wollen, denen es nicht zum nothwendigen Reiseerforderniß gehört, Natur in Glacehandschuhen, in Crinolinen und seidenen Kleidern zu kneipen und bis in die entlegensten Winkel hinein und auf die Eisspitzen hinauf großartige Hotels mit prachtvollen Speisesälen und luxuriösen Tables d’hôte zu finden, nach Land und Leuten so recht ein Feld zu erhabenem Naturgenuß und zu neuen Entdeckungen und Beobachtungen. Deshalb sollten wir eigentlich wider Alles opponiren, was dazu beiträgt, dem schönen Berglande diesen Reiz verhältnißmäßiger Ursprünglichkeit und Jungfräulichkeit zu rauben, vor Allem aber gegen die rothen Reisebücher ankämpfen, die danach trachten, auch Tirol zu einem fashionabeln Reiseziel blasirter Weltmenschen umzumodeln – allein wir sind nicht Egoisten genug, Andern zu mißgönnen, was uns selbst so manche schöne Sommerwoche hindurch zu einem Quell des reinsten, unvergeßlichsten Genusses geworden ist. Und so erachten wir es vielmehr für unsere Pflicht, jetzt, wo mit dem nahenden Hochsommer die eigentliche Saison der Alpen und der Alpenfahrer beginnt und während vielleicht so Mancher, in der Qual der Wahl, noch nicht zum Entschlusse gelangen kann, wo er in der diesjährigen Ferien- und Urlaubzeit den Actenstaub aus der Brust spülen und die am Bureau steif gesessenen Glieder recken und strecken soll, auf ein Buch empfehlend hinzuweisen, das, soeben dem Preßbengel entronnen, in der schönen Absicht geschrieben ist, die Touristeneroberung des Landes Tirol vollenden zu helfen.

Wir meinen den „Tirolerführer. Reisehandbuch für Deutschland und Wälschtirol unter Berücksichtigung der angrenzenden Gebietstheile etc. Bearbeitet von Dr. Ed. Amthor. Mit zehn Specialkarten in Lithochromie etc. (Gera).“ Wie der Verfasser, der sich durch mancherlei literarische Bestrebungen einen Namen gemacht hat, dies auf dem Titel und in der Vorrede ausspricht, ist das Werk die Frucht einer fast dreißigjährigen Reiseerfahrung, denn so lange hat er jedes Jahr Monate lang die Alpen Tirols durchstreift. Dies erweckt gewiß von vornherein ein günstiges Vorurtheil für das Buch, und in der That können wir, die wir uns rühmen dürfen, nicht das kleinste Stück des schönen Landes gesehen zu haben, mit gutem Gewissen bestätigen, daß die Absicht des Autors, dem Reisepublicum einen praktischen Führer an die Hand zu geben, soweit erreicht worden ist, wie sich dies auf den ersten Anlauf und bei der Schwierigkeit eines solchen Werkes, in dem natürlich nicht Alles auf eigene Beobachtungen basirt werden kann, sondern zum Theil aus einem von den verschiedensten Seiten und oft nur mit der größten Mühe zu sammelnden Materiale zusammengestellt werden muß, überhaupt erreichen läßt. Wer Tirol zum Ziele seines nächsten Ausflugs machen will – und unter den Hunderttausenden von Gartenlaubenlesern wird sicher so mancher sein Auge auf die Berge an Inn und Etsch, an Eisack und Passer richten – der kann keinen bessern und zuverlässigern Begleiter mitnehmen, als Amthor’s fleißiges und zugleich auch äußerlich elegantes Werk. Denn auch die Ausstattung desselben Seiten der Druckerei und des Verlags verdient volles Lob, namentlich zeichnen sich die Specialkarten durch klare und saubere Ausführung aus. Als überflüssig möchten wir dagegen die beigegebenen Eisenbahnfahrpläne betrachten, da sich dieselben ja mit jedem Halbjahr zu ändern pflegen und trotz der Vorzüglichkeit des Buches wohl nicht schon im nächsten Jahr auf eine neue Auflage zu rechnen ist, obgleich wir dem Verfasser, der zugleich der Verleger des Werkes ist, solche von ganzem Herzen wünschen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_528.jpg&oldid=- (Version vom 16.9.2022)