Seite:Die Gartenlaube (1868) 530.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

ich dann? was wäre sie dann noch werth? Es soll noch schöner werden, als es war, Karl, glaube mir das. Alle Welt soll uns um unsere Dreieinigkeit beneiden. Sie sollen uns noch für ein Muster-Kleeblatt ausposaunen. Weißt Du, ich glaube, Annette ist auch mehr chronisch als acut, da wirst Du um so besser mit ihr auskommen. Ich weiß ja auch, daß Du sie lieb hast. Wenn sie eine erwachsene Schwester hätte – – Aber die zweite, Friederike, ist noch ein kleines Ding. Sie wird wohl auch einmal hübsch werden; doch allerdings, darauf kannst Du nicht warten!“ Er stand noch immer vor Karl, hielt seine linke Hand und sah ihm mit strahlender Heiterkeit in die Augen. Auf einmal ergriff er ihn an einem seiner Rockknöpfe, und indem er daran zu drehen anfing, fragte er: „Uebrigens sollst Du ja einmal in der Stadt gewesen sein; Mensch, wie verhält sich das?“

„Wer hat Dir das gesagt?“ fragte Karl zurück und sah an ihm vorbei in die Luft hinaus.

„Man will Dich zu Pferde gesehen haben, – irgendwo auf der Straße!“

„Das ist ein Irrthum,“ erwiderte Karl mit plötzlichem Erröthen und wandte sich ab, wie wenn er ein auf der Erde liegendes Blatt aufheben wollte. „Wann wollen die Leute mich gesehen haben? Ich müßte im Traum nach der Stadt geritten sein. Ich habe das Gut nicht verlassen.“

„Das dachte ich gleich, daß es ein lächerliches Mißverständniß sein mußte! Du wärst doch gewiß nicht wieder davongeritten, ohne mich zu sehen, – was die Leute nur reden! Aber jetzt, lieber Karl, jetzt mußt Du mit, jetzt rettet Dich nichts mehr. Ich habe Dich alle diese Tage stündlich erwartet, wie wenn sich das eben ganz von selbst verstünde –“

„Lieber, ich konnte nicht.“

„Nun ja, es mag wohl sein, ich will auch nicht mit Dir zanken. Aber wie ich auf Dich gewartet habe! Darum hab’ ich Dir auch gar noch nicht geschrieben, daß schon morgen die Hochzeit ist –“

Karl fühlte sich bei diesen Worten von seiner Selbstbeherrschung verlassen, er fuhr zusammen, wie durch einen Krach erschreckt, und um den Aufruhr in seinem Gesicht zu verbergen, stürzte er von Wilhelm hinweg auf das Fenster zu. Er hatte nur noch Besinnung genug, an das Verwunderliche dieses Benehmens zu denken und schnell, mit einer gewissen Hast, auf die Scheiben zu trommeln, als hätte ihn nur eine äußerliche Unruhe angewandelt. Wilhelm kam ihm nach. „Ist es Dir nicht recht, Karl,“ sagte er herzlich, „daß ich so eilig heirathe? Ich weiß, Du hast schon damals, bei der Tante Merling, dagegen gepredigt. Du fandest es unrecht, daß unser Vater das von uns verlangte. Aber laß es gut sein, Karl, ich thu’s ja freiwillig. Bei Gott, ich bin sehr froh, daß ich mich gegen ihre Eltern auf dieses Testament berufen kann! Ich denke in diesem Punkte ganz wie unser Vater, – nicht nur in der Praxis, Karl, auch in der Theorie! Es hat seine großen Vorzüge, frischweg zu Hochzeiten, – wie unser alter Doctor sagte – weißt Du noch? – daß der Brautstand nichts sei, als ein nothwendiges Uebel. Aber jetzt komm, liebster Menschlich lasse Dir nun keine Ruhe mehr, Du mußt nun alle die häßlichen Arbeiten da stehen und liegen lassen und sogleich in den Wagen! Unser Zweisitziger, mit dem großen Familienschirm, hält vor der Thür, neue Pferde sind vorgespannt, Deinem Inspector hab’ ich’s schon angekündigt, und es giebt keine Ausrede.“

„Weißt Du,“ sagte Karl und versuchte in all’ seinen Qualen wieder zu lächeln, „ist es nicht genug, wenn ich morgen zur Hochzeit komme?“

„Ich traue Dir nicht mehr,“ erwiderte Wilhelm und sah dem Bruder mit einem arglos scheltenden Blick in die glühenden Augen. „Mit Deinen Arbeiten hat’s auch keine Eile, Du willst vor der Zeit ein Pedant werden, pfui! Deine Hochzeitskleider sind in der Stadt; also kannst Du so mitfahren, wie Du dastehst. Was soll unsere neue Familie denken, wenn Dir das Wetter zu schlecht ist, um sie auch nur einen Tag vor der Hochzeit zu begrüßen! Ein Wort an Deinen Inspector, und Alles ist abgemacht. Wir hüllen Dich tüchtig ein, mit einer Flasche Wein heizen wir nach, die Pferde lassen wir laufen, was sie können – und es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn ich Dich nicht gesünder, als Du bist, in dem kleinen Haus an der Marienkirche ablieferte.“

Er hatte den rechten Arm um Karl’s Schulter geschlungen und zog ihn mit sanftem, liebkosendem Druck der Finger zur Thür hinaus; es war kein Widerstand möglich. Mit Gefühlen, die sich nicht beschreiben lassen, ergab sich der Unglückliche in sein Schicksal, und während er in seinem zerrissenen Innern beschloß, sogleich nach der Hochzeitsfeier das Land zu verlassen und nach Frankreich zu gehen, ertheilte er im Haus mit gewohnheitsmäßiger Ruhe die letzten Befehle, ließ den Auftrag zurück, in seinem Zimmer völlig aufzuräumen, stahl sich noch einmal hinweg, um aus seinem Geldschrank Alles zu sich zu stecken, was er vorräthig hatte, und trieb dann selber zur Abfahrt. Der graue, triefende Himmel, der sie draußen empfing, die kühle, nasse Luft that seinen Empfindungen wohl. Die schmutzige, oft abgrundtiefe Landstraße, nachdem sie den Gutshof verlassen hatten, das zitternde Laub der vom Wind geschüttelten Pappeln über ihm, die sich am Wege hinzogen, die endlose Oede der verregneten Welt gaben ihm den Eindruck einer trübseligen Harmonie, an die er sich festsog. Aller Vogelgesang nah und fern war verstummt, nur die schwarzen Krähen bewegten sich mit schwerem Flügelschlag durch die graue Luft, und einzelne Goldammern flatterten unlustig über die Schmutzlachen der Straße. Auf den Feldern rechts und links war kein Arbeiter, kein Gespann zu sehen, die Kirchthürme der nächsten Dörfer verschwammen im Regendunst; eine einzige Sonntagsglocke hallte melancholisch über den Waldstreifen, an dem sie dahinfuhren, herüber. Karl mußte jenes Maiabends gedenken, an dem er sich im glühenden Sonnenschein berauscht, sich in Liebeshoffnungen gewiegt hatte, und der unaussprechliche Gegensatz erstickte ihm fast die Brust. Er war unfähig, ein Wort der Liebe zu seinem Bruder zu sprechen, der in den Regen hinein fröhliche Lieder sang und seine Glücksgefühle in ahnungsloser Beredsamkeit ausströmte. Verzweiflung an Allem legte sich ihm dumpfer und dumpfer auf’s Gehirn; alles Blut drängte sich um sein Herz, er fragte sich, ob er nicht zum Wagen hinausstürzen, ob er nicht Wilhelm’s Hand ergreifen solle und ihm mit der Stimme der Verzweiflung zurufen, daß er Annetten liebe. Aber dann leuchteten ihn wieder die Augen des Bruders an, und er sagte sich unter unerträglichen Empfindungen: sie liebt ihn! sie liebt ihn! und dieser eine Gedanke machte ihn wieder stumm. Regungslos ließ er den Bruder weiter schwärmen. Er faßte nicht den Muth, ihm zu sagen, daß er fort, daß er ihn verlassen wolle. Das Geheimniß umschnürte ihn wie ein Netz, sein Stolz, seine Treue, seine Bitterkeit verschlossen ihm die Lippen, er gelobte sich, diesen Kelch zu leeren, ohne sich zu verrathen.

So kamen sie, in der Zeit der Dämmerung, nach der Stadt zurück, und wie im Traum stieg Karl der hohen Marienkirche gegenüber aus, um in dasselbe Haus zu treten, aus dem er vor einer Woche so stürmisch geflohen war. Die Kinder empfingen das Brüderpaar schon auf dem Flur, im Zimmer kamen ihnen sogleich die Eltern entgegen. Sie nahmen Karl in zutraulichster Freude bei der Hand, sprachen ihm ihr Entzücken aus, in dem Bruder ihres zukünftigen Schwiegersohns zugleich den Lebensretter ihrer Tochter zu begrüßen. Karl blickte sie an, ohne sie zu sehen, nickte zu ihren halbverstandenen Reden, und starrte zu Annetten hinüber, die mit mehreren Freundinnen um den Tisch saß, an dem er damals sein Schicksal erfahren hatte, und ihren Hochzeitsschmuck mit ihnen zurüsten half. Sie war ihm entgegengetreten ihn zu begrüßen, hatte dem Bruder ihre Hand zum Kuß gereicht, und kehrte dann hastig zu den Freundinnen zurück. Ihre blassen Wangen fingen an sich zu röthen, sie bewegte sich lebhafter, gerieth in eine fieberhafte, unruhige Heiterkeit, von Zeit zu Zeit hörte man ihr gewaltsames Auflachen. Sie setzte den noch unfertigen Kranz, der für sie bestimmt war, einem der Mädchen auf’s Haupt, führte es vor den Spiegel, beleuchtete es, neckte es ausgelassen, während sie es mit hastigen Bewegungen vermied, den Blicken Karl’s zu begegnen. Ihre weiche Stimme wurde lauter und heller, ihre Augen glänzten und flackerten umher. Endlich nahm sie wahr, daß Wilhelm, der neben der Mutter stand, sie verwundert betrachtete, sie gerieth darüber in Verwirrung, wandte sich ab, flüsterte einer der Freundinnen etwas in’s Ohr und zog sie eilig hinaus.

Karl sah ihr mit Gefühlen nach, die sich aus Erleichterung und Erschütterung mischten. Er fühlte einen neuen Krampf in seiner Brust; es schien ihm unmöglich, ihre Rückkehr zu erwarten und diese unsichtbare Folter noch Stunden lang zu ertragen. Indem er seine wachsende Blässe fühlte und im Spiegel gegenüber sah, nahm er sie zum Vorwand, sich zu entfernen, faßte Wilhelm’s

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 530. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_530.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)