Seite:Die Gartenlaube (1868) 537.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Schwebe und verzögerte den definitiven Abschluß. Graf Dietrichstein wollte die Theatercasse nicht belasten, und ebenso verweigerte das Hofzahlamt die Uebernahme des Postens. Während man noch darüber stritt, trat die Mairevolution ein, und in den politischen Wirren ging die Theaterfrage unter. Laube verließ Wien, ohne Director geworden zu sein, aber er hinterließ den Eindruck, daß er der richtige Director sei und daß man werde auf ihn in ruhigerer Zeit zurückkommen müssen.

Laube war dann als Abgeordneter eines deutsch-böhmischen Wahlbezirks Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung. Er pflegte seit einem Decennium alljährlich nach Karlsbad zu gehen, so war er den politischen Kreisen jener Gegend bekannt geworden. Der Kreis Elbogen gab ihm sein Mandat. In Frankfurt war er Mitglied des Augsburger Hofes, eines Clubs des linken Centrums. Als die österreichischen Abgeordneten die Paulskirche verließen, hielt er es für seine Pflicht, sein Mandat niederzulegen. Der Herbst 1849 entschied seine Anstellung in Wien. Hof, Publicum und Schauspieler empfanden gleichmäßig, daß es mit dem alten pedantischen Director v. Holbein nicht mehr gehe, daß eine neue, frische Kraft von geistiger Bedeutung eintreten müsse, sollte das Burgtheater nicht in handwerksmäßiger Routine zu Grunde gehen. Das Repertoire bedurfte systematische Zufuhr dauernder, neuer Erwerbungen, das Personal der Auffrischung durch jüngere Kräfte. Da kam man auf Laube zurück. Holbein kannte die Gefahr, die seiner Stellung in diesem Prätendenten drohte. Er wollte sie abwenden und verfiel auf ein kühnes Mittel. Er setzte Alles auf eine Karte. Man war daran, Laube’s Struensee einzustudiren. Das Stück ist bekanntlich die Darstellung einer dänischen Revolution, in welcher der deutsche Bürger Struensee der Coalition deutschen und dänischen Adels als Opfer erliegt. „Gebe ich dies Stück ungestrichen mit allen freiheitlichen Tiraden und demokratischen Tendenzen, dann ist der Autor als Director in Wien unmöglich.“ So dachte Holbein. Laube’s Freunde unterrichteten ihn von dieser Lage. Auf ihre Einladung kam er neuerdings nach Wien. Die ihm wohlwollenden Schauspieler riethen ihm, alles Bedenkliche zu streichen, um Anstoß zu vermeiden. „Nein,“ sagte Laube, „erregt das Stück, wie ich es geschrieben, Anstoß, dann bin ich als Director unmöglich, dann nehme ich die Direction so wie so nicht an. Wir spielen den Struensee ungestrichen.“

Holbein jubelte innerlich über die Verblendung und saß, dieses Jubels voll, den Abend über neben dem Dichter, den er in seine Loge geladen. Jede Beifallssalve, die bei Struensee’s Reden erscholl, traf in seinen Augen den Directionsaspiranten in’s Herz. Er hatte sich getäuscht. Gerade in den Hofkreisen hatte man das Stück am unbefangensten gewürdigt. Man hatte ein rein objectives, künstlerisches Interesse daran genommen und zeigte sich ebenso erbaut von der würdigen Haltung des Königthums im Stücke, wie von den volksthümlichen Tendenzen des Bürger-Ministers. Dabei hatte man die meisterhafte mise-en-scène vollkommen anerkannt und rühmte die Trefflichkeit der Darstellung auf das Wärmste. Statt ein Nagel zu dem Sarge seiner Hoffnungen zu werden, wurde Struensee eine Stufe, auf der Laube zum Directionsstuhle emporstieg. Die Unterhandlungen wurden energisch betrieben und gelangten bald zum Abschluß. Mit Beginn des Jahres 1850 trat er sein neues Amt an.

Im Feuilleton der „Neuen freien Presse“ veröffentlicht Laube eine Geschichte seiner Direction, gewissermaßen eine moralische Rechnungsablegung über die Verwaltung des ihm anvertraut gewesenen Kunstwesens. Wir verweisen auf diese Artikel, die bald im Buchhandel gesammelt erscheinen werden. Sie sind offene und ehrliche Confessionen, eine lehrreiche Schule für Schauspieler, Dichter und Theaterleiter.

Laube hat den alten Glanz des Burgtheaters erneut und erhöht. Es war in den abgelaufenen zwei Jahrzehnten eine Musterbühne. Die Entwickelung der Schauspielkunst und der dramatischen Literatur wurden gleichmäßig in’s Auge gefaßt, und bedeutende Darsteller wie Dichter sind Laube’s Förderung zu warmem Dank verpflichtet. Er pflegte das Burgtheater als eine Pflanzstätte edelster geistiger Genüsse, als ein in der Zeit wurzelndes und mit ihr fortschreitendes lebendiges Organ des geistigen Nationallebens. Wie schwer war das in Wien in der Zeit der Reaction und der Concordats-Wirthschaft! Das hohe Verdienst, welches sich Laube erworben durch energische Vertretung der künstlerischen Interessen, der berechtigten liberalen Strömung in der Literatur, wird ihm die Kunst- und Literaturgeschichte zum höchsten Ruhme anrechnen müssen.

Literarisch schuf er während seines Wiener Aufenthalts die Trauerspiele „Graf Essex“ und „Montrose“ und das Schauspiel „Der Statthalter von Bengalen“, welches eine der Ursachen seines Sturzes war. Ein neues Schauspiel „Böse Zungen“ hat seinen Rundgang über die deutschen Bühnen begonnen.

Auf dem Gebiete des Romans, welches er schon in Leipzig mit Erfolg angebaut hatte – „Die Gräfin Chateaubriand“ gewann den Beifall des ganzen Lesepublicums – entstand in Wien sein großer historischer Roman „Der deutsche Krieg“, ein Hauptwerk dieser literarischen Gattung in Deutschland. Es steht durch die künstlerische Gestaltung ebenso hoch wie durch die echtdeutsche kernfreie Gesinnung, aus welcher es herausgeboren ist.

Laube’s physische und geistige Kraft ist noch frisch und verspricht noch vielfache Bethätigung auf dem Felde der Production. Der Kampf hat seine Nerven nur gestählt. Mögen wir seiner herbfrischen und gesunden Individualität recht bald in der Literatur wie in der Bühnenleitung wieder begegnen!




Der Teufel.
(Fortsetzung.)


Herr Sebastian Brand trat zu dem Geheimerath in das Zimmer, das kleine Männchen mit dem großen Buckel, den listigen, stechenden und blitzenden Augen. War jener schon überrascht durch die Erscheinung, so sollte er es noch mehr durch die Worte des kleinen Mannes werden.

„Herr Geheimerath, ich bin Advocat hier,“ begann der Eintretende.

Der Geheimerath verbeugte sich schweigend.

„Ich bin ein Bekannter Ihres Herrn Schwiegersohnes, schon von der Universität her,“ fuhr der Buckelige fort.

Der Geheimerath konnte auch darauf nur schweigen.

„Ich komme in einer Angelegenheit, die ihn betrifft,“ sprach der Advocat weiter.

„Darf ich fragen, was es ist?“ sagte der Geheimerath, der ungeduldig zu werden schien.

„Der Tod Ihrer Frau Tochter,“ antwortete Herr Sebastian Brand.

Der Geheimerath mußte unwillkürlich den kleinen, buckeligen Mann sich genauer ansehen. Er glaubte, in den grauen, stechenden Augen Bosheit zu lesen und doch wieder den Ausdruck der Wahrheit und Ehrlichkeit zu finden.

„Theilen Sie mir mit, was Sie mir zu sagen haben,“ bat er.

Der Kleine sah sich darauf auch den Geheimerath an. „Herr Geheimerath,“ sagte er dann, „der plötzliche und schreckliche Tod Ihrer Tochter hat Sie hart getroffen; was ich Ihnen mitzutheilen habe, wird Sie noch schwerer treffen, könnte Sie niederwerfen. Erlauben Sie, daß wir uns setzen; im Sitzen kann der Mensch mehr aushalten, als im Stehen.“

Der Geheimerath hatte seinen Besuch bisher zum Sitzen noch nicht eingeladen, er schien nicht recht gewußt zu haben, was er an dem sich allerdings etwas sonderbar einführenden Manne mit dem seltsamen Aussehen habe. Jetzt bot er dem Advocaten einen Stuhl an und setzte sich selbst.

„Herr Geheimerath,“ fuhr Brand fort, „die Ehe Ihrer Tochter war keine glückliche, Sie wissen es, Sie wissen auch den Grund. Ihr Herz gehörte einem Anderen, einem braven, einem muthigen, hochherzigen, edlen Manne; sie mußte ihre Hand einem elenden, heuchlerischen Schurken schenken, der –“

„Mein Herr,“ rief der Präsident, „Sie vergessen, wo und mit wem Sie sprechen.“

Der Buckelige blieb ruhig.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 537. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_537.jpg&oldid=- (Version vom 26.8.2021)