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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Bis zum sechsundsiebenzigsten Breitengrad schon war das Schiff gegen die gewaltigen Eismassen vorgedrungen, aber der übermächtige Feind hatte es wieder um drei Grade südwärts zurückgedrängt. Allein ungebeugten Muthes haben die Helden den Kampf auf’s Neue begonnen. Doch wenn sie nun wirklich jene furchtbare Schranke durchbrechen, – wenn sie wirklich zur ersehnten Küste gelangen sollten – was dann? Werden sie dort das freie Fahrwasser finden, auf dessen Vorhandensein der ganze kühne Plan gestützt ist? Die Ostküste Grönlands zu erreichen – so lautet ja jener Plan – da, wo Sabina einst die nach ihm benannte Insel entdeckte und von wo ab uns jede genauere Kenntniß der grönländischen Küste fehlt, längs dieser Küste so weit wie möglich nach Norden vorzudringen und entweder das Nordende dieser großen Insel festzustellen oder der weiteren Landbildung gegen den Pol hin zu folgen. Nur in zweiter Linie ist die Expedition angewiesen, das spitzbergische Meer und das noch ziemlich unbekannte Gillis-Land im Osten Spitzbergens zum Gegenstand ihrer Forschung zu machen. Das hohe Meer also ist der Expedition untersagt; dort können nur vom Wind unabhängige Dampfschiffe den ernsten Kampf aufzunehmen wagen; kleine Segelschiffe, wie die „Germania“, sind auf das sicherere Fahrwasser im Schutze der Küsten angewiesen. Aber wird sich ein solches Fahrwasser an der grönländischen Ostküste finden, die eine sehr verbreitete Ansicht von ewigem Eise umlagert sein läßt? Die Erfahrungen früherer Expeditionen und zahlreicher Walfischfahrer lassen es erwarten.

Alle Kenner der Polarmeere unterscheiden streng zwischen dem festen „Landeis“ und dem „Packeis“. Letzteres besteht aus treibenden Eisflarden, die an Größe von Fußen bis zu Meilen und an Dicke von Zollen bis zu Klaftern wechseln, die bald dicht zusammengedrängt, bald weit von einander getrennt sind und von Winden und Strömungen abhängen. Dieses Packeis zu durchbrechen, erfordert oft Wochen und Monate und ist häufig erst im August möglich, wenn die Sonne oben und das Wasser unten daran gezehrt haben. In diesem Packeis gefangen zu werden, ist die größte Gefahr des Polarfahrers. Ganz anders verhält es sich mit dem festen Landeise, von dem ein schmaler Streifen gewöhnlich selbst bis zum Ende der Sommerzeit zurückbleibt. An ihn klammern sich die Walfischfänger, und die Schiffe der Forschungsreisenden sind gewöhnlich ihrem Beispiel gefolgt. Sie benutzen den letzten Riß, der sich gebildet hat, oder, wie sie es nennen, den Durchgang zum Ufer. Hier finden sie Sicherheit, wenn der Wind das Packeis gegen sie herabtreibt; denn sie können für ihre Schiffe eine Docke in das feste Eis sägen oder eine Bucht finden, um darin das Fahrzeug vor Anker zu legen. Sie können überdies, wenn das Eis locker und kein Wind ist, das Fahrzeug durch die Mannschaft mittels des Taues am Rande desselben hinschleppen lassen. In dieses Fahrwasser zwischen dem Landeis und dem gefürchteten Treibeisgürtel einzudringen, darauf beruht die Hoffnung unserer deutschen Nordpolexpedition.

Ohne hier näher eingehen zu können aus eine Darlegung des Planes und die speciellen Aufgaben der Expedition,[1] wollen wir über die letzteren nur bemerken, daß eine große Anzahl nicht blos für den Geographen, sondern für die Naturwissenschaft im Allgemeinen hochinteressanter Fragen zu lösen sind. Die Grenze des Eises, die Verbreitung von Meeresströmungen, das Gebiet des Treibeises will man feststellen, magnetische meteorologische Beobachtungen ausführen, die Tiefe der See messen und die Temperatur der letzteren in verschiedenen Tiefen erforschen. Außerdem richtet man seine Aufmerksamkeit auf das pflanzliche und thierische Leben der arktischen Region, denn diese entbehrt desselben durchaus nicht in der Weise, wie man zu glauben geneigt ist. Vorzüglich will man sich auch über den merkwürdigen Volksstamm der Eskimos näher unterrichten, der in seiner Ursprünglichkeit für die Ethnographie, zumal für die Kenntniß der sogenannten Pfahlbauperiode von außerordentlicher Wichtigkeit ist. Die Kosten der Expedition hat man auf etwa fünfzehn- bis sechszehntausend Thaler berechnet.

Es erübrigt uns jetzt nur noch ein kurzes Wort über die heldenmüthigen Führer der Expedition. Wie Petermann der geistiges Leiter, so sind die beiden Obersteuerleute Karl Koldewey und Rudolph Hildebrandt die praktische Seele des Unternehmens. Die Portraits dieser drei Männer behalten wir uns für eine spätere Nummer vor. Koldewey ist am 26. October 1837 zu Bücken bei Hoya im Hannöverschen geboren, auf dem Gymnasium zu Clausthal und später auf der Obersteuermannsschule in Bremen gebildet und in den letzten Jahren durch die polytechnische Schule in Hannover und die Universität Göttingen auch für die höheren wissenschaftlichen Arbeiten einer solchen Expedition vorbereitet. Er ist einer der ausgezeichnetsten Schüler Dr. Breusing’s und von dem Astronomen Klinkerfues wegen seiner ungewöhnlichen Begabung für astronomische Arbeiten gerühmt. Er ist begeistert für seine Aufgabe und entschlossen, wenn es sein muß, sein Leben für den Ruhm des deutschen Namens zu opfern. Rudolph Hildebrandt ist der Sohn des Predigers Hildebrandt in Magdeburg, gleichfalls unter Dr. Breusing’s Leitung auf der Obersteuermannsschule in Bremen ausgebildet und ein Mann von seltener Energie und Thatkraft. Mit ihnen bilden neun bewährte deutsche Seeleute und zwei mit der grönländischen Schifffahrt vertraute norwegische Matrosen die Bemannung des kleinen Schiffes. Unser Bild stellt die sieben bewährtesten Seeleute der Expedition in ihrem Eismeercostüm vor. Ganz besonders rühmt Koldewey in seinem Berichte die drei Bremenser Wagner, Iversen und de Wall als ausgezeichnete Matrosen und als „kräftige entschlossene Männer, die sich nicht fürchten würden, selbst dem Teufel in der Hölle einen Besuch abzustatten.“

Das sind die Arbeiter der ersten deutschen Nordpolexpedition, das sind die Männer, die im Kampf mit den Wogen des Eismeeres der deutschen Wissenschaft ein Gebiet erobern wollen, um das Jahrhunderte lang die ersten Seemächte der Erde gerungen haben! Das sind die Helden, und das ist die That, um die uns das Ausland beneidet! Der deutschen Expedition den Rang abzulaufen, sendet soeben Schweden eines seiner besten Dampfschiffe in das spitzbergische Meer hinaus, verdoppelt Frankreich seine Anstrengungen zur Aufbringung der Mittel für seine Expedition durch die Behringsstraße, rüstet Nordamerika bereits und sinnt selbst England auf Rüstungen. Was auch die „Germania“ uns bringen möge, wenn sie im Spätherbst dieses Jahres in den deutschen Hafen zurückkehrt, hoffen wir, daß diese erste That zur See für Deutschland eine ähnliche Bedeutung haben werde, wie einst Franz Drake’s kühne Weltumsegelung für England, daß sie das Wiedererwachen der deutschen Seemacht bezeichne!




Blätter und Blüthen.


Ueberseeische Briefe. Es ist eine merkwürdige Thatsache, daß unter hundert Briefen, die aus überseeischen Ländern zurück in die Heimath geschrieben werden, neunzig einen trüben, schwermüthigen, oft melancholischen Charakter haben und nicht selten sogar mit Klagen angefüllt sind, was nachher Freunde und Verwandte beunruhigt und sie um die Ausgewanderten besorgt macht.

Durch mein oftmaliges Wechseln der Welttheile bin ich nun verschiedene Male – oft sogar dringend von den Eltern dazu aufgefordert – mit solchen Unglücklichen da drüben zusammen getroffen, von denen man hier fürchtete, daß sie entweder eine gefährliche Krankheit, oder kaum genug hätten, ihre Existenz zu fristen. Aber in allen Fällen fand ich diese Befürchtungen nicht allein nicht bestätigt, sondern die jungen Herren wohl und gesund, mit reichlichem Auskommen und stets in bester Laune, ja oft übermüthig in einer sorgenfreien, unabhängigen Existenz.

Woher kommen nun diese trübseligen Briefe, die so oft schon ein armes Mutterherz sehr unnöthiger Weise betrübt und geängstigt haben?

Ich glaube, ich kann eine Antwort darauf geben, denn wenn ich auch nicht im Stande bin, anderen Menschen in’s Herz zu sehen, so weiß ich doch aus eigener Erfahrung gut genug, wie Jemandem zu Muthe ist, der sich fern von der Heimath und seinen Lieben in einem fernen Lande herumtreibt, und habe mich außerdem selber bei solchen Briefen ertappt, zu denen ich nicht die geringste Ursache hatte.

So lange wir uns da draußen befinden und dem Leben mit unserem Kopf oder unseren Fäusten eine Existenz abringen, oder auch eine lohnende oder uns angenehme Beschäftigung haben, die unsere Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, quälen wir uns wahrlich nicht mit Sorgen oder trüben Ideen. Wir denken wohl an die Heimath und malen uns dieselbe mit freundlichen Bildern aus, aber wir lassen deshalb wahrhaftig

  1. Ausführliche Auskunft über den Plan und die Aufgaben der Expedition. wie über die Geschichte der Nordpolfahrten von Cabot bis auf Kane und Hayes findet der Leser in der kleinen bei Quandt und Händel in Leipzig erschienenen illustrirten Schrift: Die erste deutsche Nordpolexpedition von Dr. Otto Ule. (Preis 5 Ngr.) D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_542.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)