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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

haben. Trotzdem verließ das Storchenpaar die Jungen nicht; eines um das andere der Alten flog dem in der Nähe des Thurmes außerhalb der Stadt befindlichen Weiher zu, tauchte sich und füllte den Kropf mit Wasser, das sie scheunigst, unbekümmert um den Rauch und die aufzüngelnden Flammen nach dem Nest zurückkehrend, über die den Schnabel weit aufreißenden Jungen ausgossen, während sie diese und das Nest mit dem auseinandergespreizten nassen Gefieder zu bedecken suchten. So wechselten die Alten in ihrem Feuerwehrdienste, bis spät Abends die Gefahr für die Jungen und das Nest ein Ende hatte. Wie oben erwähnt, steht heute noch der so gefährdete Thurm mit dem bewohnten Storchenneste inmitten der Brandruinen – ein beredtes Zeugniß der Eintracht, der Jungenliebe und des an Verstand streifenden Instinctes dieser Thiere.

Ein alter Glaube läßt Gebäude, auf welchem Störche nisten, vom Feuer verschont bleiben; im erzählten Falle hat der Glaube, den ich oft als Aberglaube verlachte, zufällig seine volle Bewahrheitung gefunden.

G. Ziebland.


Der Chignon-Pilz, welcher vor einiger Zeit (Gartenlaube 1867, Nr. 5) den haarbeuteltragenden Damen so großen Schreck eingejagt hat, ist durch den unermüdlichen und entdeckungsreichen Pilzforscher Professor Hallier in Jena auf einfache Weise enträthselt worden. Dr. Hallier erhielt die davon befallenen Haare aus der ersten Quelle, von dem Dr. Beigel in London, dem zu Ehren diese an den Chignonhaaren haftenden kleinen Knötchen von Naturforschern den Namen „Pleurococcus Beigelii“ erhalten haben. Er cultivirte diese Haare in den von ihm zu solchen Zwecken erfundenen Isolir- und Culturapparaten und erzog daraus – unsern gemeinsten Schimmel, den bläulichen Pinselschimmel (das Penicillium), dessen zahlreiche Ungebührlichkeiten wir schon in dem Hexenartikel (Gartenlaube 1866, Nr. 44, S. 687) erwähnt haben. Als Controle und Gegenversuch säete Dr. Hallier auf gesunde Haare einen anderen leicht erkennbaren Schimmelpilz, den Weihwedel-Schimmel (Aspergillus), und erzog daraus in denselben Culturapparaten ganz ähnliche Knötchen, aus denen der echte Aspergillus hervorwuchs. Die Entstehung dieser Gebilde in den Chignons ist ganz einfach erklärbar. Allenthalben in der Luft schweben Pilzsamen (Sporen) als sogenannte Sonnenstäubchen umher, am massenhaftesten in Wohnzimmern. Wir athmen sie in Menge ein, so daß sie sich im Munde festsetzen und keimend zu dem Schleim auswachsen, den wir an unseren Zähnen finden; von da aus bohren sie den Zahn an und erzeugen den Zahnbrand, die sogenannten hohlen Zähne, welche daher (nebst Zahnbelegen) bei Stubenmenschen und Stubenhunden am häufigsten vorkommen. (Hierüber haben neuerdings Leber und Rottenstein in Berlin eine sehr interessante Brochüre veröffentlicht.) In gleicher Weise setzen sich die schwärmenden Pilzsporen in die Haare, sowohl in die lebenden (wo sie dann verschiedene Formen der Kopfausschläge nach sich ziehen), als auch in die todten. In den Chignons, wo sie durch Kämmen Und Reinigen nicht gestört werden und sich aus dem Schweißdunst, gelegentlich auch wohl aus atmosphärischer Feuchtigkeit (Nebel, Regen etc.) nähren können, wachsen sie mit dichtgedrängten Sporen zu dichten Knötchen (sogenannten Sklerotien) aus. In ganz ähnlicher Weise wachsen und gedeihen verschiedene Schimmelformen in den so sorgfältig vor Kamm und Bürste gehüteten Wichtelzöpfen (fälschlich Weichselzöpfe genannt) der Polen.

Es ist charakteristisch, daß man ganz ähnliche Knötchen in den Haaren der aus Amerika in die Museen gelangten Faulthiere findet! Also, meine Damen, eine Unreinlichkeit ist der Chignonpilz jedenfalls, und er kann auch Kopf-, Gesichts- und Nackenausschläge erzeugen. Und so lange Sie kein Mittel haben, den Chignon ebenso zu kämmen und zu bürsten, wie Sie es hoffentlich alle Tage mit Ihrem eigenen wallenden Haupthaar zu thun pflegen, so lange wäre es wohl hübscher, wenn Sie sich bloß mit dem letzteren begnügten.

Prof. Richter.


Zeitungs-Jungen in Nordamerika. Der speculirende Charakter des Nordamerikaners entwickelt sich bei ihm schon in frühester Jugend, und ein vortrefflicher Beweis dafür sind die Zeitungs-Jungen in der ganzen Union, die bei der ungeheuern Verbreitung der Straßen-Literatur eine gar nicht etwa so unbedeutende Rolle spielen und bei Aufständen oder sonstigen Unruhen selbst eine Macht bilden. Bei dem Neger-Crawall in New-Orleans, der vor einigen Jahren stattfand, hielten sie sogar einmal eine ganze Zeit die Levee oder Dampfboot-Landung besetzt, und wehe dem unglücklichen Schwarzen oder sonstigen coloured gentlemen, der sich in Steinwurfsnähe blicken ließ. Wirklich interessant ist die Geschicklichkeit, mit der sie überhaupt manövriren, um die Exemplare der ihnen anvertrauten Zeitungen oder Flugblätter an den Mann zu bringen, und mit besonderer Geschicklichkeit benutzen sie dabei die Pferdeeisenbahnen der Stadt, auf denen allen sie freien und ungehinderten Zutritt haben.

An irgend einer Ecke springt ein Junge, den Arm voll Zeitungen, auf und ruft aus, welches Blatt oder welche Blätter er gerade colportirt. Eins setzt er auch gewöhnlich ab, denn man sieht ebenso wenig einen deutschen Staatsbürger ohne Regenschirm wie einen richtigen Yankee ohne mindestens ein Zeitungsblatt in der Hand, daß er denn auf Omnibus, Fährboot oder Straßeneisenbahn durchstudirt. Ist ihr Geschäft nun in diesem Waggon beendet, so springen sie ab und in den nächsten ihnen begegnenden hinein, ohne daß der Kutscher je die geringste Notiz von ihnen nähme. Bemerken sie aber Jemanden auf der Straße, der stehen bleibt und etwas sucht, denn ohne Zweck bleibt eben Niemand stehen, so sind sie auch im Nu an seiner Seite und verfehlen selten ihren Zweck. Man findet sie überall – beim Ein- und Aussteigen aus den Fährbooten, an Dampfboot- und Eisenbahnstationen, auf den Straßen, an den Kirchthüren, in den Restaurationen, an der Börse, an den Bankhäusern, selbst an den Theatern, kurz man ist nicht im Stande, ihnen zu entgehen. Aber sie sind auch lebendige Zeugen des steten, nie gestörten Interesses, das alle Welt dort nicht allein an dem Geschäftsgange, sondern auch an politischen Fragen nimmt. Der Amerikaner sitzt nicht stundenlang in Bierhäusern und politisirt, wobei er ungesunde Ideen in sich aufnimmt und verbreitet – leider ein allzu gewöhnliches Uebel bei uns – er liest und sieht selber und bildet sich dabei sein eigenes Urtheil, dem er treu bleibt – ausgenommen es lohnte sich vielleicht, anderer Meinung zu sein.

Höchst interessant ist es manchmal, diesen Zeitungs-Jungen zuzusehen, wie sie ihre Waare anbringen, und treffen sie Jemanden in ruhiger Zeit – denn sonst bekümmern sie sich um keinen Einzelnen –, der noch in Zweifel ist, ob er sich eine Zeitung kaufen soll oder nicht, so entscheiden sie das bald zu ihren Gunsten.

Ich saß eines Morgens in St. Louis am Fenster und schrieb, wobei ich die Aussicht auf die Straße hatte. Unten an der gegenüberliegenden Ecke, gerade neben einem neuen im Bau begriffenen Hause, stand ein Zeitungs-Junge, seine Blätter über dem Arme und schaute, die rechte Hand in der Tasche, mit einem ziemlich mißmuthigen Gesicht bald die, bald jene Straße hinunter. Aber es war vor der Hand schlechte Aussicht auf Absatz, noch dazu an einem Sonntagsmorgen, unter der Kirche und bei fast ganz menschenleeren Straßen. Wenn erst die Kirchen aus waren, kam mehr Leben in die Stadt.

Der Junge klopfte ungeduldig mit dem Fuß den Boden, denn die Streetcar. die eben vorbeikam, war gleichfalls leer oder hatte nur einige Damen-Passagiere. Da kam ein alter Neger die Straße herab und schien unschlüssig, ob er sich links oder rechts wenden sollte. Der Junge trat an ihn hinan, aber der Neger schüttelte mit dem Kopf. Er konnte keinenfalls lesen, was sollte er da mit einer Zeitung thun? Das half ihm aber nichts; der Junge hatte darin schon sicher Erfahrung. Ich konnte allerdings nicht hören. was er zu ihm sagte, aber ich sah, wie er ihn am Arme nahm und festhielt und ihm dabei aus der geöffneten Zeitung eine Stelle vorlas, die den Neger jedenfalls interessiren mußte. Er hörte eine kleine Weile zu, und als der junge Bursch plötzlich abbrach und die Zeitung wieder zusammenfaltete, griff er in die Tasche und kaufte sie, – er mußte das, wovon er eben den Anfang gehört, jedenfalls weiter erfahren. Der Junge verkaufte in der nächsten Viertelstunde sieben oder acht Blätter, bis eine volle Streetcar vorbeikam, auf der er noch keinen Concurrenten bemerkte. Mit wenigen Sätzen war er drüben und rollte dann mit ihr die Straße hinunter.

Fr. Gerstäcker.


Wieder ein neuer Curir-Schwindel. In einem rothen zugeklebten Couvert, auf dessen Außenseite gedruckt steht:

Der Keim des Todes oder des Menschen Lebensdauer, nach seiner körperlichen und geistigen Beschaffenheit beurtheilt auf Grund 30jähriger Beobachtungen, Forschungen und Erfahrungen von einem Natur- und Menschenfreunde. Preis 5 Ngr. Dresden, Commissions-Verlag der Expedition des Colporteur.“

werden zwei Blätter versendet, von denen das eine Vorbemerkungen enthält, unter welchen jedenfalls die für den Verfasser wichtigste die ist, daß das zweite Blatt, das aus einem Fragezettel besteht, ausgefüllt, frankirt und unter Beifügung Eines Thalers an die Expedition des Colporteur in Dresden einzusenden ist. Die vorgelegten Fragen betreffen: Geschlecht, Alter, Verheirathung, Beschäftigung, etwaige Gebrechen, Statur, Sprache, Haar, Gesichtsfarbe, Nase, Mund, Augen, Stirn, Ohren, Kinn, Hände, Verdauung. Husten, Athem (übelriechend), Zähne, Gesichtsform, Temperament und geistige Function. – Hat man nun diese Fragen beantwortet und ist so dumm gewesen, einen Thaler eingeschickt zu haben, so erhält man in einigen Tagen einen mit „Anthropologus“ unterzeichneten kurzen Schreibebrief, welcher einige wenige diätetische, mehr oder weniger passende und unpassende Verordnungen enthält. Der Beantworter obiger Fragen scheint ein Kaltwasserquacksalber zu sein, denn Einhüllungen des Unterleibes mit nassen Tüchern und das Trinken frischen, guten Wassers spielen bei seiner Verordnung eine große Rolle. Wer der Thaler zu viele hat, kann sich übrigens ohne Nachtheil das kindliche Vergnügen machen und den in und aus dem Dunkeln curirenden Anthropologus um Rath fragen, aber ja nicht etwa ihm trauen und folgen.

Bock.



Nachträglicher Dank.

Von den verschiedenen Hülfs-Comités zur Linderung des Nothstandes in Ostpreußen aufgefordert, in unserem Blatte den edlen Spendern ihren aufrichtigen Dank für die durch uns gesammelten reichen Beiträge auszudrücken, kommen wir mit wahrer Freude dieser Aufforderung hierdurch nach, in den Worten, welche eines der erwähnten Hülfs- Comités an uns richtet: „Der herzlichste Dank gebührt dem großen Leserkreise der Gartenlaube, welcher so bereitwillig Ihrem Aufrufe entsprochen und Sie dadurch in den Stand gesetzt hat, unserer darbenden Bevölkerung so reiche Gaben zuzuführen. Sie würden uns sehr verbinden, wenn Sie den hochherzigen Menschenfreunden Kenntniß von unseren dankbaren Gesinnungen geben wollten.“ D. Red.


Inhalt: Die Brüder. Novelle von Adolf Wilbrandt. (Fortsetzung.) – Deutschlands Herrlichkeit in seinen Baudenkmälern. Nr. 3. Das Münster zu Ulm. Von Robert Aßmus. Mit Abbildung. – Einer vom „jungen Deutschland“. (Schluß.) – Der Teufel. Novelle. (Fortsetzung.) – Die Arbeiter der ersten deutschen Nordpolexpedition. Von Otto Ule. Mit Portraits. – Blätter und Blüthen: Ueberseeische Briefe. Von Fr. Gerstäcker. – Die Beredsamkeit auf den Pariser Straßen. Von Kalisch. – Instinct oder Ueberlegung? Von G. Ziebland. – Der Chignon-Pilz. Von Prof. Richter. – Zeitungs-Jungen in Nordamerika. Von Fr. Gerstäcker. – Wieder ein neuer Curir-Schwindel. Von Bock. – Nachträglicher Dank.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_544.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)