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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

in Form einer Maifahne, die Tintenkleckse sind Frühlingsmücken, es kommt Alles auf den Gesichtspunkt an.“

Zum letzten Male begegnete ich Bettinen im Opernhause, beim zweiten Berliner Gastspiele der Ristori; der italienischen Melpomene galt ihr letzter Enthusiasmus. Sie besuchte sie mit der jüngsten Tochter, welche sogar ein Drama für die schöne Adelaide geschrieben hatte, worin letztere jedoch nicht auftrat, obwohl man es für sie in’s Italienische übersetzen ließ. Von einem zahlreichen Verwandten- und Freundeskreise umgeben, saß Bettina, wie mich dünkt, zum letzten Mal, im Opernhause, und klatschte der Francesca von Rimini lauten Beifall. So steht ihr Bild mir in lebhafter Erinnerung vor Augen.



Zu Deutschlands Sagenthron.
Eine Thüringer Bergfahrt. Von Friedrich Hofmann.
Madonna Thuringia. – Die „Güldene Aue“ – Der Rothenburger Einsiedler. – „Du schöner Wald“ – Die Rothenburg. – Die erste deutsche Dampfmaschine. – Die Kaiserburg. – Deutschlands Sagenthron. – Die falschen Barbarosse. – Der Sagenbaum und die Wunderblume. – Der Schmied von Jüterbogk und die Prinzessin. – Die Schlacht am Welfisholz und Deutschlands Einheit. – Die Schlucht der Wollweda. – Das Rathsfeld und das denkwürdige Wort. – Thomas Münzer’s Schlachtberg. – Die Barbarossahöhle. – Prinzenraub. – Das Echo des heiligen Thals.

„Halle!“ rief der Schaffner in den Waggon, und „Grüß Gott, mein Thüringen!“ rief ich, denn auf der Saale linkem Strande stehen die Füße der schmucken Jungfrau im Schooße Deutschlands, deren schönes Haupt die Wartburg ist. Und sie muß der Madonna gleichen, die Thuringia, denn sie hält ein wunderschönes Kind im Arm, es lacht aus dem Wäldermantel des Harz, den sie um ihre linke Schulter geworfen, heraus, seine Füße reichen bis Wallhausen und Brücken, sein Haupt ist Heringen, Kelbra sein Herz und sein Name „Goldene Aue“. Also wird er auch Recht gehabt haben, jener Graf Bodo von Stolberg, da er vom Kreuzzuge aus Palästina heimkam und wieder vom Kyffhäuser in die Thale hinabschauend ausrief: „Gehet mir mit dem gelobten Lande! Ich nehme die Güldene Aue dafür."

Lange Zeit war dieses geschichte- und sagenreiche Thal- und Bergland mit dem Kyffhäuserthurm als Wahrzeichen nur ein Wallfahrtsort für die sogenannte „schwärmerische Jugend“ im altdeutschen Rock; die Besucher mehrten sich, jemehr das Nationalgefühl in Deutschland Gemeingut wurde; nachdem aber eine Eisenbahn die goldene Aue durchzieht und die Jahre 1848 und 1866 an der Nation gerüttelt, wollen Tausende zum alten Barbarossa, und das allein schon verpflichtet uns, auch unsere Leser zu einer solchen Thüringer Bergfahrt einzuladen.

An einem schönen Sommer-Sonntagmorgen sagte ich in Roßla dem Dampfroß Valet. Da lag sie vor mir weit ausgedehnt, des Kyffhäusergebirgs, dieses im Norden von dem Helme-, im Süden von dem Wipperfluß umgrenzten Bergreviers, steile Nordwand mit ihrem dichten Wäldervorhang und den dunkeln Falten ihrer tiefen Schluchten, zur Linken auf höchster Höhe der Thurm der Kyffhäuserburg, gerade vor mir, der grünen Riesenkuppel eines versunkenen Domes gleich, der Berg der Rothenburg und zu ihren Füßen Thürme und Dächer von Kelbra.

Ich eilte zur Rothenburg hinüber, vor deren Berge ich nach etwa einer halben Stunde stand, und bald darauf umfing mich der Schatten in hohen, feierlichen Waldeshallen.

Meine Fahrt fiel noch in die Zeit, wo auf der Rothenburg der Dichter und Kaufmann Friedrich Beyer aus Kelbra als der in Thüringen allbekannte „Rothenburger Einsiedler“ gemüthliche Wirthschaft führte. Wer damals die originelle Benutzung der beschränkten Räumlichkeit für zahlreiche Gäste, die Grotten, Häuschen und Plätzchen, die der fleißige Einsiedler im Verlaufe von fast dreißig Jahren alle eigenhändig hergestellt, neben dem Alten selbst betrachtete, war gewiß mit Beiden zufrieden und fühlte sich behaglich. Jetzt ist leider, nach Beyer’s ziemlich rücksichtsloser Beseitigung von dieser schwarzburgischen Stätte, aus der poetischen Einsiedelei eine gewöhnliche Schenke geworden.

Der freie nach Süden schauende Platz vor der ehemaligen Einsiedelei fesselt Jeden, auch den Weitgereisten. Vor uns senkt der Berg sich zu einem tiefen Thale ab, genannt „das heilige Thal“, und jenseits erhebt sich eine hohe steile Bergwand, an welche zur Linken und Rechten wieder andere Höhenzüge sich anschließen, bald sanft übereinander aufsteigend, bald kühn vorspringend; nur zur Rechten neigen sich die Höhen zur hereinwinkenden Goldenen Aue nieder, – und all’ diese Bergwände und Vorsprünge sind der üppigste, grünste Laubwald, nichts als herrlicher Wald, wohin das Auge blickt, hochstämmig, weitästig, laubwogend und aufathmend mit millionenblättrigem Rauschen! Das Auge schwelgt in dieser unnennbar wohlthuenden Fülle, es schweift nach allen Seiten hinaus und ruht wieder aus, und wo es ruht, ist grüne entzückende Herrlichkeit. Aus tiefster Brust, Alles um mich vergessend, mußte ich laut hinaussingen:

„Wer hat dich, du schöner Wald,
Aufgebaut so hoch dort droben?“

Die Rothenburg war von geringem Umfange; die meisten Grund- und Seitenmauern, eine hohe Giebelwand, die Fenster des Rittersaales und ein mächtiger runder Wartthurm sind noch bis zu ziemlicher Höhe erhalten. Das Anziehendste auch dieser Ruine ist aber ihre Lage, ihre „Aussicht“. Vor dem nördlichen Eingänge tritt ein Altan hinaus, auf dem in einer Nähe, die das unbewaffnete Auge beherrscht, der ganze obere Theil der Goldenen Aue uns zu Füßen liegt. Umrahmt von dem grünen Kyffhäusergebirg im Süden und den dunkeln Nadelwäldern der Vorberge des Harz von Norden her, dehnt wie ein einziges ungeheures Aehrenfeld die breite Ebene des Thales sich aus, und die Städtchen und Flecken, Dörfer und Weiler, die grünen Wäldchen und Wiesen, die Fruchtbäume der Straßen, das Ufergebüsch der Helme – das Alles lag so klar und ruhig, wie auf Goldgrund gemalt, zwischen der Fülle des Erntesegens. Bis zu dem Ohmgebirge des Eichsfeldes reicht zur linken der Blick und diesem zur Rechten gipfelt Höhe über Höhe sich auf, bis der Doppelrücken des Brocken mit seinem dunklen verschwimmenden Blau das ganze Bild krönt.

Neben diesem Prachtstück der Natur hat die Geschichte der Rothenburg und ihrer Bewohner für uns wenig Anziehungskraft. Dennoch nimmt ein Kreuzgewölbe, von einer Säule getragen, unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. In einer Nische desselben soll der berühmte Püsterich gefunden worden sein, jene zwei Fuß hohe hohle Erzfigur, die einen unförmlich dicken knieenden Knaben vorstellt, der zwei Oeffnungen im Kopfe hat. An die Ergründung der Bedeutung des Püsterich, der jetzt das Sondershäuser Naturaliencabinet ziert, ist schweißtriefende Gelehrsamkeit verwendet worden; er stieg bis zum slavischen Götzen, ja bis zum Germanengott des Donners hinauf und bis zur Branntweinblase herunter. Unsere dampfkundige Zeit thut am besten daran, in ihm die erste deutsche Dampfmaschine zu verehren, mittels deren kluge Priester ihrem Willen als dem ihres Gottes den nöthigen Nachdruck zu verschaffen wußten; denn wenn man den alten Püsterich halb mit Wasser gefüllt über Feuer setzt und seine beiden Oeffnungen verpflöckt, so benimmt er sich wie der jüngste Dampfkessel: wenn das Feuer seine Schuldigkeit gethan hat, fahren Pflöcke und Dampf donnernd und zischend in’s Freie – und mehr brauchten die Priester für ihren Zweck gewiß nicht. Dem frommen Betrug dieser Art gebe ich sogar den Vorzug vor den Wundern ungenähter Röcke, weinender Crucifixe und curpfuschender Heiligengebeine.

Auf einem freien Plätzchen vor dem Wartthurm sieht man im Osten den Thurm der Kyffhäuserburg über alle Wälder emporragen. Von ihm, nach dem ich mich tausend Male in der Sagen- und Kaiser- und Reich-Schwärmerei meiner Jugend gesehnt und den ich nun erst als Graukopf schauen sollte, trennte mich hier nur noch ein Wegstündchen. Da galt kein Halten mehr.

Die ersehnte Ruine kommt uns auf dem ganzen Weg nie zu Gesicht und erst an seinem Ende, wo er plötzlich ansteigt, steht mit einem Male, wie auf einem grünen bebuschten Kegel, der ungeheuere, massige, schaurig zerrissene Barbarossa-Thurm vor uns, röthlichgrau, wie seines Kaisers Bart, in den blauen Himmel aufragend. Ich eilte mit Jünglingshast den schmalen Treppenpfad hinauf

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