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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

um meine Hand auf sein geschichtliches und sagenerfülltes Gestein zu legen.

Und nun dieses Rundbild! Gegen anderhalbtausend Fuß hoch auf des Gebirges Scheitel den Jahrhunderten trotzend erhebt der Thurm selbst noch an seinem Fuße uns durch das Gefühl majestätischer Erhabenheit über alle Lande ringsum und alle Höhen nah und fern. Da liegen zu unseren Füßen im weiten Umkreise Auen und Wälder, Dörfer und Städte, Schlösser und Ruinen – dort, im Osten, Allstedt mit seinem Schlosse, Artern und Sangerhausen, jenseits der Goldenen Aue die langgestreckten dunkeln Linien der Berge des Vorharz, daraus hervor leuchtend und ragend da die Trümmer von Questenberg, weiter die Josephshöhe mit ihrem Kreuz, dann der Eichenforst, der Rammberg mit der Victorshöhe und vom Blau des Himmels leise geschieden der Brocken – der alte Sagennachbar Blocksberg –, etwas westlicher Nordhausen mit seinem hohen Petrithurme, und ganz im Westen begrenzt, über die freundlich herüberwinkende Rothenburg sich erhebend, das Ohmgebirg den Blick, die Hafenburg tritt hervor, dann schließt sich das Nachbargebirg der Hainleite mit dem Jagdschloß Possen und nach geringer Unterbrechung das der Finne mit der Doppelruine Sachsenburg an, und zwischen beiden grüßen die Thürme von Erfurt und Weimars Ettersberg herüber und über sie alle spannt seine fernen blauen Bogen der Thüringerwald. Es ist auf den ersten Blick sonnenklar: welchen Glanzes und Ruhmes Schlösser und Burgen rings umher sich rühmen mochten, alle beugten ihr Haupt vor der Kaiserburg.

Nur wer hier gestanden, wundert sich nicht mehr darüber, daß unser Volk gerade diesen Berg und seine Burg durch die schönste und bedeutungsvollste seiner Sagen verherrlicht hat: die Lage von Barbarossa’s Verzauberung und dem Glauben an seine und des Reichs endliche Erlösung. Der Kaiser Friedrich, so lautet sie allbekanntlich, war in den Bann gethan, jede Kirche und Capelle ihm verschlossen. Da ritt der edle Held kurz vor der Osterzeit zur Jagd, nur seine liebsten und Treuesten bei ihm, auch sein geliebtes Töchterlein. Und im Walde am Kyffhäuser nahm er ein Zauberfingerlein hervor und drehte es und verschwand mit Allen von der Erde. Aber er wird nicht verschwunden bleiben, sondern, wenn ein Adler die Raben vom Kyffhäuserthurm vertreibt, wieder hervorkommen zu Kampf und Sieg,

Da wird er seines Schildes Last
Hangen an den dürren Ast

eines Birnbaums, der auf dem Rathsfeld steht, und er wird die Pfaffen demüthigen und das heilige Land befreien, und die Herrlichkeit des deutschen Reichs wird aufgehen, und das ist Deutschlands Sagenthron und der graue Thurm ist seine Denksäule!

Kein Wunder, daß dieser Volksglaube von manchem falschen Barbarossa mißbraucht wurde. Es sind deren im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert zwei verbrannt, zwei „heimlich hinweggeschafft“ worden, und dennoch fand sich noch im Jahre 1545 ein fünfter, der größeres Aufsehen erregte, als alle früheren, vor dem sogar Fürsten in Furcht geriethen, denn die Meisten glaubten damals noch wirklich an Barbarossa’s Wiederkehr, und große Volksmassen strömten dem Kyffhäuser zu, den großen Kaiser zu begrüßen, bis der langbärtige Alte sich als einen Schneider aus Langensalza zu erkennen gab. Der Graf von Schwarzburg schonte ihn als einen armen Irren und gewährte ihm „sein lebelang umbs Golleswille das Allmuß“. Aber so tief und fest stand der Glaube an Barbarossa’s Schlummern im Kyffhäuser und seine Wiederkehr, daß alle diese Täuschungen ihn nicht erschütterten.

Darum will auch ich ihn nicht erschüttern; er ist ja so schön, und alle die Hunderte von Sagenzweigen führen so klar zu dem Stamm des Bannes hin: zum unterirdischen Hofhalt des Kaisers, der so rein menschlich alles Gute und Schlimme der überirdischen Hofhalle fortpflegt. Da walten Gerechtigkeit und Laune des Herrn, Schalkerei und Uebermuth des Dienervolks, besonders der Zwerge, „ganz wie bei uns“, und die Bedürfnisse der Menschenkinder, Lust an Glanz und Pracht, Vergnüglichkeit und Kurzweil fordern auch hier ihre Befriedigung, und nur deshalb gehen Ritter und Zwerge und sogar der Kaiser und die Prinzessin so gern mit den Menschen droben um, belohnen oder bestrafen, erfreuen oder necken sie, und diese erzählen dann weiter und treiben den Sagenbaum zu immer neuen Blüthen. Bald öffnet sich ihnen der Ritterkeller voll köstlichen Weins, bald die Kaiserhalle voll Gold und Edelstein; bald verschwinden Heerden im Berg, denn der Hofhall bedarf ihrer, bald wird einem Bauer sein Hafer abgekauft, denn die Rosse des Kaisers und der Ritter fressen noch immer; bald erlustiren sich die Ritter mit Kegeln beim Thurm, bald lustwandelt die Prinzessin allein und zeigt dem Glücklichen die berühmte, glückverheißende blaue Wunderblume. Und daß die Prinzessin Leinknotten ausstreut, beweist, daß sie und ihre Hoffräulein fleißig die Spindel führen – und wie tanzt sie so gern! Wenn ein Hirt oben die Schalmei bläst, oder lustige Musikanten dem Kaiser ein Stücklein zum Gruß aufspielen, kommt sie mit zwei brennenden Kerzen hervor und tanzt so freudig und belohnt die Musikanten reichlich aus ihres Vaters Schatz. Besonders freut es mich, daß auch der Schmied von Jüterbogk mit drunten ist. Weil er den Tod auf seinen Birnbaum gebannt und den Teufel so lederweich geschmiedet hatte, erhielt er weder im Himmel noch in der Hölle Einlaß. Er aber machte kurz Federlesen: er stieg hinab zum Kaiser Friedrich, der nahm ihn gar wohl auf und da beschlägt er die Rosse und bedient den alten Kaiser, am liebsten und freudigsten aber des Kaisers holdiges Töchterlein, und dasselbe verkehrt mit ihm ganz besonders gern, denn so ein aller Schmied und eine gute Prinzessin, die halten merkwürdig zusammen.

Vom alten Kaiser-Friedrichsthurm, der, von Mauern und einem besondern, noch sichtbaren Wallgraben umgeben, die Oberburg bildete, gelangen wir zu einem weiteren Plateau. Hier war Raum zu Palästen, Höfen und Gärtchen, hierher führte auch das Hauptthor, das „Erfurter Thor“ genannt, weil hier zwischen den Höhen der Finne und Hainleite die Thürme der Thüringer Hauptstadt am sichtlichsten herüberschauen. Jetzt ist Alles öde und wüst. Nur eine kleine Wirthschaft hat sich hier eingenistet mit einem bescheidenen Häuschen, Lauben und Bänken. Einzelne Mauertrümmer und ein verschütteter Brunnen erinnern allein an die vergangene Pracht. Eine tiefe Schlucht, wohl später durch einen Steinbruch vergrößert, der Fundort versteinerter Baumstämme, trennt diesen Theil der Burg von der Capelle, welche die schönsten Reste der Ruinen zeigt, und dem ehemaligen Gottesacker, und weiter am Berg hinab steigen noch mächtige Mauertrümmer der alten Befestigung auf, so daß kaum eine volle Stunde zur Umgehung der ganzen Kaiserburg ausreicht.

Die vier kaiserlichen Pfalzen der Goldenen Au, Tilleda, Wallhausen, Ahlstedt und Memleben, sind Zeugen, wie oft und gern die Beherrscher Deulschlands in dieser Gegend weilten. Die Kyffhäuserburg, die stärkste aller Bergvesten Thüringens, war wohl schon in dem Besitz der sächsischen Kaiser und soll damals schon fast ein halbes Jahrtausend alt gewesen sein. In die Geschichte tritt sie durch ihren ersten tiefen Fall. Drunten in Wallhausen hatte Kaiser Heinrich der Fünfte den Sachsen den Grafen von Mansfeld zum Herzog aufgedrungen. Aber die Fürsten und Edlen der Sachsen sammelten ein Heer und vernichteten des Kaisers Macht in der großen Schlacht am Welfisholze, in welcher die damalige letzte Hoffnung auf Deutschlands Einheit zu Grunde ging. Das ist jetzt siebenhundertdreiundfünfzig Jahre her! Viele Gerettete des Kaiserheeres flohen in die Kyffhäuserburg. Drei Jahre lang vertheidigten sie sich, dann erlag die Veste und ward von der Sachsen Rache in einen blutigen Trümmerhaufen verwandelt. Das Alles hat der alte Thurm gesehen. Und er sah die Veste in neuer Pracht erstehen, sah die Flammen von sechszig Burgen am Himmel lodern, als Kaiser Rudolph den Thüringer Raubadel züchtigte, sah dann die Rothenburger Beichlingen als kaiserliche Burggrafen walten und, nachdem die Schwarzburger des Landes Herren geworden, den Berg von einem Heiligenschein umgeben, der von dem wunderthätigen Kreuz der Capelle ausstrahlte und Tausende von Wallern zu seinen Höhen rief. Der Gottesacker ward zur Goldgrube, denn nur die Reichsten konnten das Glück erkaufen, sich hier begraben zu lassen. Da kam Luther und vertrieb die Pfaffen und ihr Kreuz, wie das Pulver längst das Ritterthum vertrieben hatte – und nicht im Sturm der Waffen, nicht durch die Gewalt einer Feindeshand, sondern an der Gleichgültigkeit der Menschen ging die Kaiserburg unter. Der verlassene Berg ward öde und wüst, und keine Chronik meldet, wohin die Trümmer der verfallenen Pracht gekommen. Der Thurm hat’s auch gesehen, aber der schweigt.

Seitdem waren Schatzgräber, goldsuchende Venetianer und Räuber des Berges unheimliche Bewohner und die letzten Pfleger seines Sagenbaumes.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 555. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_555.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)