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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Wer etwa „das Gruseln lernen“ will, dem empfehle ich, am östlichen Abhang des Bergs hinabzusteigen und sich dann rechts zu wenden. Tief und dunkel zieht dort die Schlucht der Wollweda, vom klaren Taterborn durchrieselt, den kahlen und von mächtigen Steinbrüchen tief ausgehöhlten Berg entlang. Es ist ein wahrer Schauergang, wild durcheinander liegt das herabgestürzte Gestein und drohend hangen über unseren Häuptern die unterwühlten Felsen. Aber wie tief sie auch hinein drangen, Barbarossa’s Zauberhöhle haben sie nicht erschlossen. Dagegen haben Bergleute unweit Frankenhausen wenigstens eine Vorhalle zu ihr entdeckt und dahin eilte ich nun, als zum dritten Ziel dieser Bergfahrt.

Die breite Straße nach Frankenhausen, zu welcher man vom Kyffhäuser zurückkehren muß, führt uns zur Hochebene des Rathsfeldes. Links liegt ein schwarzburgisches Jagdschloß mit guter Wirthschaft; rechts dehnen saftig grüne Wiesen, vom Wald in großem Bogen begrenzt, sich aus. Hier also steht der Birnbaum, an welchem Kaiser Friedrich seinen Schild aufhängen wird. Hier ist er oft citirt worden im Sturmjahr Achtundvierzig, hierher strömten Tausende zu Volksversammlungen und riefen nach Kaiser und Reich. Alle die gewaltigen Reden auf dem Rathsfeld sind verschollen, nur eine einzige hat sich im Volk erhalten und zeugt von der Begeisterung der Treuen für das deutsche Banner. Stundenweit hatte ein Bäuerlein die schwarz-roth-goldene Ehrenlast getragen, schwer keuchte er den Berg hinauf, aber dennoch sprach er das denkwürdige Wort: „Ich schwitz’ wie ein Esel, aber nicht um fünfzig Thaler gäb’ ich die Fahne her.“

Beim Rathsfeld fand sich ein wegkundiger Genosse zu mir, mit dem ich den kürzesten, schwer zu findenden und leider noch immer nicht durch Wegweiser bezeichneten Waldpfad hinab in das Wipperthal ging. Als ich unten die Thürme von Frankenhausen und den Schlachtberg sah, stand abermals ein blutiges Stück Geschichte vor meinen Augen. Hier war die letzte Schlacht Thomas Münzer’s und seiner Bauern, hier kämpften Kittel und Knüttel gegen Harnische und Karthaunen, bis siebentausend dreihundert dreiundzwanzig Bauern erschlagen lagen und ihre Weiber und Kinder in der Wagenburg über Frankenhausen ein so furchtbar entsetzliches Wehklagen erhoben, daß die Stätte das Geheul und Geschrei genannt ward; jetzt haben sie „Eulengeschrei“ daraus gemacht.

Das ganze Thal ist nach der Sage einst eine Meeresbucht gewesen, und die Geologen bestätigen, die Salzlager der Frankenhäuser Saline beweisen dies. Selbst die Höhle, die wir jetzt besuchen, soll ein solches Salzlager gewesen sein, über welchem die Fluth einen Gypsberg aufschwemmte. Als das Meer aus dem Thal gewichen war, löste allmählich das beständig von oben ein dringende Gebirgswasser die Salzmasse auf, die Gypshöhle ward immer größer und zuletzt blieb als Filtrat der völlig aufgelösten Salze nur eine mergelartige Bodenmasse übrig, wie sie noch heule dort zu sehen ist. Diese Erklärung verdanken wir einem bei der Bergarbeit, die zur Entdeckung der Höhle führte, beschäftigt gewesenen Fachmann, dem Herrn Bergverwalter F. Herthum in Könitz bei Saalfeld, welcher über diese „Barbarossa-Höhle“ ein besonderes Schriftchen (Leipzig bei Ed. Wartig) veröffentlichte, das wir jedem Besucher dieser Naturmerkwürdigkeit empfehlen. – Entdeckt wurde die Höhle in der Weihnachtswoche 1865. Unter den Fäusteln der Bergleute, welche einen Stollen als Hülfsbau eines Unternehmens auf Kupferschiefer trieben, öffnete sich plötzlich der geheimnißvolle Raum.

Der Eingang hat einen sonderbaren Wächter, die Ruine eines einst berüchtigten Raubnestes, der Falkenburg. Gerade unter ihr gelangen wir zu den Jahrtausende verborgenen Geheimnissen der Tiefe jetzt auf einem sehr bequemen Pfade in einem Stollen von nahe an sechshundert Fuß Länge. Bergleute begleiten uns als Führer; Lichter kauft man am Eingang. Die Länge der ganzen, in der Hauptrichtung von Süd nach Nord laufenden Höhle beträgt etwa tausend Fuß; zum Theil sehr umfangreiche Seitenhöhlen verdoppeln diese Länge für unsere Gehstrecke. Ich brauchte zur Durchwanderung derselben in allen ihren Theilen anderthalb Stunden. Dreierlei zeichnet diese Gypsgrotte besonders aus. Die den Höhlenfirst bildenden Gypslagen sind in einzelne Gypstafeln wie aufgeblättert und hängen bald in äußerst dünnen, beim Anschlag klingenden Scheiben, bald wie zarte Blätter, bald wie gegerbte Thierhäute oder gar täuschend ähnlich wie Speckseiten von der Decke herab. Das ist ein köstlicher Schmuck, der bei dem Wechsel der Schatten durch die wandelnde Beleuchtung immer neue Zeichnung darbieten. An den meisten dieser Platten, jedoch wegen der Höhe der Gewölbe, die von zehn bis zu fünfzig, ja wohl achtzig Fuß aufsteigt, und wegen der schwachen Beleuchtung nur selten sichtbar, dagegen an den Seitenwänden ganz scharf hervortretend, ist ein anderer dieser Höhle ganz eigenthümlicher Schmuck: durch Fältelungen des Alabasters in den Schichtungszonen grauen Plattengypses entstanden höchst regelmäßige, bald tapeten- und bordüren-, bald schriftartige Zeichnungen, die, je heller sie beleuchtet sind, als eine um so wunderbarere Zierde hervortreten. Der dritte Schmuck sind die im Verhältniß zum Höhlenraum bedeutenden sieben Wasserflächen. Und zwar ist dieses Wasser so klar, so durchsichtig, daß bei schwacher Beleuchtung ein Unterschied zwischen dem Wasserstande und der trockenen Sohle kaum zu bemerken und es eben deswegen nicht ganz ungefährlich ist, von den gutgebahnten Wegen nach rechts oder links ohne größte Vorsicht abzuweichen. Um so mehr tragen sie zur feenhaften Pracht bei, wenn jenseits ihrer größten Flächen bengalische Feuerpulver abgebrannt werden, denn sie sind dann Spiegel des Höhlenschmucks und Selbstschmuck zugleich.

Und doch thut uns der Strahl der Sonne noch einmal so wohl, wenn wir wieder in ihrem Lichte stehen. Von rechts her sind wir zur Höhle gekommen; wir wenden uns jetzt links am Falkenburger Berg hin und sehen denselben bald von großartigen Steinbrüchen bis zu bedeutender Höhe bloßgelegt. Unmittelbar über denselben erhebt sich ein Fels mit einem von unten sichtbaren thorähnlichen Loch, an welches sich die jüngste Romantik dieses Zaubergebirges knüpft. Vor einigen Jahren lief durch die Zeitungen die Kunde von einem neuen, jedoch vor der Ausführung vereitelten Prinzenraub. Ein Doctor Weiß hatte den Plan entworfen, ein Kind der Schwarzburg-Rudolstädtischen Fürstenfamilie zu entführen; der Zweck der romantischen Unthat soll auf Erpressungen hingerichtet gewesen sein. Die Vorbereitungen waren weit gediehen und eine gegen achtzig Fuß tiefe Felsenhöhle, zu welcher jenes Loch über den Steinbrüchen den einzigen Zugang bot, war zum Aufenthaltsort des geraubten Prinzen ausersehen. Es war Winterzeit. Weiß soll deshalb Wasserflaschen in den hintersten Theil der Höhle gestellt haben, um zu prüfen, wie stark der Frost hier wirke, denn Feuer hätte man nicht schüren dürfen, um nicht den Rauch zum Verräther des Verstecks zu machen. Weiß kam in’s Zuchthaus, ward aber später – „Was hilft’s mir, daß er im Zuchthaus sitzt!“ sagte der gütige Fürst – nach Nordamerika entlassen.

Mein Tagewerk war vollendet, ich kehrte über das Rathsfeld und durch den dämmernden Wald zur Rothenburg zurück. Hier bereitete mir der gute Einsiedler noch eine unvergeßliche Ueberraschung. Die letzten Lichter waren erloschen, die letzten Gäste gegangen. Es war wonnige Ruhe nah und fern. Selbst der Wald schlief mit allen seinen Blättern. „Den will ich aufwecken,“ sagte der Alte, „der muß Dir den Gutenachtsgruß bringen.“ Da holte er ein großes Sprachrohr herbei und sang voll und gezogen nach der Waldschlucht hinüber die Töne eines Dreiklangs – und hervor brach’s aus dem heiligen Thal wie ein stimmenreicher voller Männerchor, wohl zehn Secunden lang hallte der Dreiklang in den Waldeshallen dahin, leiser und leiser, bis er verhauchte. Ich stand mit verhaltenem Athem vor dem neuen Wunder und lauschte dann den Worten des Alten, der erzählte, daß dort tief in dem Grunde eine Wallfahrtskirche versunken sei, weil eine wilde Rotte die Priester gemordet und den Tempel geschändet, und die Geister der Märthyrer wären es, sagte er, die nur in heiligen Tönen den Weckeschall der Menschen erwiderten. Einem Worte, noch so laut gerufen, gäben sie keine Antwort. Ich machte den Versuch, ich rief die der feierlichen Stimmung des Augenblicks angemessensten Worte hinüber, aber Wald und Thal blieben stumm. Als aber der Alle das Rohr wieder zu Hülfe nahm, da hallte Dreiklang auf Dreiklang, zum Choral verbunden, wie ein hundertstimmiges Lied ohne Wort, durch die Schauer der Nacht. Noch im Schlummer unter des Einsiedlers Strohdach klang es in mir fort, das Echo des heiligen Thals.



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