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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)


Während des ganzen Abends geht es im Gange lebhaft her. Fortwährend kommen Herren und lassen Mitglieder herausrufen, die gewöhnlich nicht gerade gern erscheinen. Freunde, Wähler, Bittsteller, geheime Rathgeber – alle Sorten von Personen versammeln sich an diesem Platze. Hier werden auch jene wunderbaren Gerüchte ausgebrütet, welche in aufgeregten Zeiten von der Presse wie auf Flügeln durch die Welt getragen werden. Hier hören wir – gewöhnlich von einem irischen Mitgliede – daß ein Riß im Cabinet entstanden ist, oder daß Disraeli die Auflösung des Parlaments bereits in der Tasche hat. Die Stammgäste des Ganges wissen von dem Geheimniß der beiden großen politischen Parteien bedeutend mehr, als die Führer jener Parteien selbst, und dem „Londoner Correspondenten“, der hier täglich einen Theil seiner Zeit verbringt, mißlingt es nie, ein ganzes Paket überraschender Neuigkeiten mit sich fortzunehmen, die er seinen Lesern in der Provinz auftischen kann. Neben diesen komischen Seiten des Ganges tritt keine häßliche Seite stark hervor. Erinnert man sich, daß das Vorzimmer des heutigen Unterhauses eine größere Wichtigkeit besitzt, als der Controleurgang vor Joseph’s des Zweiten Cabinet einst besaß, so kann man sich nur freuen, daß dieses Vorzimmer keines der demüthigenden Schauspiele gewährt, die man in anderen Vorzimmern erlebt hat und noch heute erlebt. Man kann den ganzen Abend dastehen und wird nichts Verletzendes sehen, keine der unwürdigen Schmeicheleien oder Drohungen hören, die anderswo nicht unbekannt sind. Doch sieh’ da, die Debatte ist beendet. Die Sitzung war interessant, aber kurz. Die Mitglieder eilen zum Abendessen, die elektrischen Glockenzüge klingeln im ganzen Hause, und jetzt ruft der Thürsteher laut: „Wer geht heim?“ Die einmal hergebrachte Frage ist sonderbar, denn es versteht sich von selbst, daß Alles geht, wenn das Spiel aus ist.





Die totale Sonnenfinsterniß am 18. August 1868.
Von Otto Ule.


Man kann es den Lesern der „Gartenlaube“ gar nicht verdenken, wenn sie sich ein wenig verwundert haben, als sie von dem Eifer hörten, mit welchem die Großmächte der Erde in diesem Jahre sich rüsteten, Expeditionen in das ferne Arabien und Indien zu entsenden, nicht etwa, um dort Länder zu erobern oder eine ihnen angethane Beleidigung blutig zu rächen, auch nicht um den widerstrebenden Völkern die Wohlthat europäischen Schutzes oder die noch größere Wohlthat christlicher Civilisation aufzudrängen, sondern lediglich, um ein kleines Ereigniß am Himmel von nur wenigen Minuten Dauer beobachten zu lassen. Denn daß die Sonnenfinsternisse gerade so ganz außerordentliche Erscheinungen seien, behaupten die Astronomen nicht einmal, die uns vielmehr belehren, daß sie weit häufiger als die Mondfinsternisse vorkommen. Im Laufe von achtzehn Jahren, sagen sie, kommen durchschnittlich neunundzwanzig Mondfinsternisse und einundvierzig Sonnenfinsternisse vor, und es können sogar vier Sonnenfinsternisse in einem einzigen Jahre stattfinden. Nun mag es sich freilich mit den Sonnenfinsternissen doch etwas anders verhalten, als mit den Mondfinsternissen. Letztere werden durch den Eintritt des Mondes in den Schatten der Erde erzeugt, dem Mond wird also dabei das Licht der Sonne wirklich entzogen, und alle Orte der Erde, denen der Mond überhaupt über dem Horizonte steht, also fast über die ganze Halbkugel hin, müssen die Finsterniß in der gleichen Weise sehen. Bei den Sonnenfinsternissen dagegen wird durch das Dazwischentreten des kleinen Mondes nicht der ganzen Halbkugel der Erde das Licht der Sonne gleichmäßig entzogen; die Sonne kann vielmehr dem einen Orte gänzlich, dem andern nur zum Theil verfinstert erscheinen und an einem dritten Orte vollkommen sichtbar bleiben.

Totale Sonnenfinsternisse können darum allerdings für einen bestimmten Ort zu den seltneren Erscheinungen gehören, und es kann vorkommen, wie es Paris im neunzehnten Jahrhundert widerfährt, daß ein einzelner Ort ein ganzes Jahrhundert hindurch keine totale Sonnenfinsternis; zu sehen bekommt; London ist sogar, wie man berechnet hat, vom Jahre 1140 bis zum Jahre 1715, also in einem Zeitraum von fünfhundertfünfundsiebenzig Jahren nicht ein einziges Mal durch ein solches Ereigniß beglückt worden. Man kann also doch wohl zugeben, daß manche Länder, daß vielleicht England und Frankreich, Oesterreich und die nordamerikanischen Staaten einige Veranlassung haben mochten, ihre Gelehrten in jene bevorzugten Gegenden des Aequators zu senden, die von den Küsten des rothen Meeres bis zur Küste von Neuguinea am 18. August d. J. das Glück genossen, von einer so seltenen Naturerscheinung heimgesucht zu werden. Freilich schwerer begreiflich wird man es finden, daß selbst Rom seine Gelehrten dorthin sendete, da man im Allgemeinen der Meinung ist, daß es seine Peterspfennige zu andern Dingen nöthiger braucht, als um ein seltenes Naturphänomen im Dienste der profanen Wissenschaft beobachten zu lassen. Vollends unbegreiflich aber wird man es finden, daß auch der Norddeutsche Reichstag sich mit diesem Ereigniß befaßt hat, daß sogar auf Veranlassung und im Auftrage des Norddeutschen Bundes eine Doppel-Expedition nach Aden an der arabischen Küste und in das Innere Indiens zu seiner Beobachtung abgegangen ist.

Wir sind an dergleichen Regierungsunternehmungen von den Zeiten des seligen Bundestages her so gar nicht gewöhnt, daß wir wirklich etwas ganz Außerordentliches dahinter vermuthen müssen. Nun kommen vollends die Astronomen und erzählen uns, daß noch im Laufe der nächsten Jahrzehnte, am 19. August 1887, eine totale Sonnenfinsterniß sich die Ehre geben wird, sich in Berlin und an anderen Orten Norddeutschlands öffentlich sehen zu lassen, und wir wissen, daß wir bei einer solchen Ankündigung keine rothen Zettel zu fürchten haben, daß höchstens eine Wolke an unserem launenhaften deutschen Himmel uns das Schauspiel verderben kann. Warum wartete man denn nicht diese bequeme und billige Gelegenheit ab und ersparte so die Tausende, welche diese Expedition kostete, wenn denn doch einmal etwas für Wissenschaft und Aufklärung geschehen soll für unsere darbenden Schulen? Es muß also doch wohl eine ganz besondere Bewandtniß mit dieser Sonnenfinsterniß vom 18. August haben, und diese hat es in der That. Wir wollen daher versuchen, unsern Lesern in möglichster Kürze und Deutlichkeit eine Vorstellung davon zu verschaffen, worin sich diese Sonnenfinsterniß von allen andern unterscheidet und welche Zwecke überhaupt die Beobachtung einer Sonnenfinsterniß verfolgt.

In der That ist eine totale Sonnenfinsterniß keineswegs wie die andere. Was sie ganz besonders unterscheidet, das ist ihre Dauer. Offenbar ist diese Dauer zunächst durch das Verhältniß der scheinbaren Größen der beiden einander verdeckenden Himmelskörper zur Zeit des Ereignisses bedingt. Denn daß Sonnen- und Mondscheibe uns nicht immer gleich groß erscheinen, ist bekannt, weil Sonne und Mond wegen der länglichen elliptischen Form der Mond- und Erdbahn sehr verschiedene Entfernungen von uns einnehmen können. So kann der Mond einmal achtundvierzigtausendsechshundert, ein ander Mal einundfünfzigtausendsechshundert Meilen von uns entfernt sein. Die Verfinsterung der Sonnenscheibe durch die Mondscheibe muß nun offenbar um so länger dauern, je größer die scheinbare Fläche des verdeckenden Mondes und je kleiner die verdeckte scheinbare Sonnenscheibe ist. Am größten erscheint uns aber der Mond in seiner Erdnähe, am kleinsten die Sonne in ihrer Erdferne. Vereinigen sich also diese beiden Umstände zur Zeit, wo Sonne, Mond und Erde in einer geraden Linie stehen, also eine Sonnenfinsterniß veranlassen, so kann die totale Verfinsterung an Orten des Aequators bis zu sieben Minuten achtundfünfzig Secunden währen. Tritt aber das Umgekehrte ein, ist der Mond sehr weit von der Erde entfernt, die Sonne dagegen sehr nahe, so dauert die totale Finsterniß nur etwa zwei bis drei Minuten. Dies war bei den letzten totalen Sonnenfinsternissen der Fall, bei der vom 28. Juli 1851 und bei der vom 18. Juli 1860.

Bei der jetzigen dagegen finden sich nahezu die günstigsten Bedingungen erfüllt. Die Sonne ist am 1. Juli dieses Jahres in ihre größte Erdferne getreten und hat sich während der sechs Wochen bis zum Ereigniß noch kaum merklich genähert. Der Mond dagegen trat gerade in der Nacht vom 17. zum 18. August, sechs Stunden vor der Finsterniß, in seine größte Erdnähe. Dadurch geschah es, daß bei dem betreffenden Ereigniß die totale Verfinsterung die seltene Dauer von sechs Minuten sechsundvierzig

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_570.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)