Seite:Die Gartenlaube (1868) 586.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Kommen Sie mit uns in’s Meeting,“ drang Vay in ihn, „dann urtheilen Sie.“

„Gut, ich will kommen. Wo ist es?“

„In einer Halle des City-Road.“

Wir gingen dann zusammen hin. Der Ort der Versammlung war ehemals eine Kornhalle, ein ungeheurer Saal, mit kahlen weißgetünchten Wänden, schlechter Beleuchtung, harten Bänken, die Halle voll von Proletariern, denn es ist ein chartistisches Local und das Ganze war ein Chartistenmeeting. Bedeutende Redner verschiedener Nationalitäten traten auf; nach der in englischer Sprache gehaltenen Rede des Vorstandes hielt Herzen, dann Arnold Ruge, später Louis Blanc und Felix Pyat, die ersteren in deutscher, die beiden letzteren in französischer Sprache, Reden; auf sie folgte Kossuth.

Die vier ersten Redner wurden vom größten Theil der Zuhörer nicht verstanden, eben weil sie in fremden Idiomen sprachen, der Applaus war demnach kein so großer, wie sie es vielleicht erwartet und verdient hätten. Kossuth sprach englisch. Ich stand zwischen den beiden englischen Garde-Officieren, die uns hierher begleitet hatten. Alle Augenblicke hörte ich aus Eines oder des Anderen Munde „very nice“ (sehr hübsch), „that's true“ (es ist wahr) etc. Als er seine Rede, welche wohl über eine halbe Stunde gedauert haben mochte, beendet hatte, rief ihm Niemand im Saale ein so herzliches „Cheer“ zu, wie die beiden Officiere. Der Beifall schien nicht enden zu wollen; die Officiere und auch andere Zuhörer warfen in ihrer Ekstase die Mützen und Hüte in die Höhe, zumal der torystische Officier war ganz exaltirt. Ich fragte ihn jetzt, ob Kossuth wohl einen Vergleich mit Disraeli aushielt. „Ach was, Disraeli; das ist ein Piephuhn im Vergleich mit ihm!“ meinte er und versäumte fortan niemals ein Meeting, wo er Gelegenheit fand, Kossuth sprechen zu hören.

Kossuth kannte die Bedeutung des Neujahrsempfanges, welcher am 1. Januar 1859 dem Baron Hübner in den Tuilerien zu Theil wurde. „Ah, er beißt an,“ sagte er zu einigen seiner Vertrauten. „Er muß sich seinen Thron auf einige Jahre weiter sichern; man wird nöthigenfalls mit ihm gehen, so lange er in derselben Richtung wandelt, wie wir.“

„Jetzt wird wohl eine Allianz zwischen Ihnen, Herr Gouverneur, und ihm zu Stande kommen,“ wagte ich zu bemerken.

„Wenn er die nöthigen Bürgschaften für die Unabhängigkeit meines Vaterlandes leistet, dann kann es wohl sein, daß ich mich zu einem Bündnisse mit ihm entschließe,“ war seine Antwort.

„Werden Sie den ersten Schritt thun?“ fragte ich.

„Auf keinen Fall. Eine solche Demüthigung könnte nicht einmal mein Vaterland von mir verlangen, und ich werde mich sehr bedenken, mich mit ihm in einen Vertrag einzulassen, denn so gut er Mazzini sein Wort brach, wird er es vielleicht auch mit mir thun wollen. Dieser traut ihm nicht mehr, wie würde ich es thun!“

Vier Monate später marschirte Gyulay über den Ticino. Was Jeder von uns ahnte, geschah: Napoleon machte Kossuth Anträge, und zwar durch den ungarischen Obersten Nicolaus Kiß.

Eines Morgens begegnete ich Kiß, der von Paris wieder angekommen war, auf der Straße.

„Du kommst wahrscheinlich im Auftrag Napoleon’s und willst nach der Gower Street (der Wohnung Kossuth’s) gehen?“ fragte ich ihn.

„Ihr wißt davon? Und was sagt Kossuth dazu?“

„Daß er für Euch nicht zu haben sei.“

„Dann werde ich ihm einen Namen nennen, durch welchen ich ihn banne.“

Moritz Perczel?“

„Allerdings.“

„Ein braver Patriot, ein ziemlich geschickter General, doch ein Pechvogel und nicht ganz rein von Verdächtigung geblieben. In Ungarn kann man nur mit einem makellosen Namen durchgreifen. Einen solchen besitzt nur Kossuth. Kossuth’s Name ist Millionen werth.“

„Diese werden bereit stehen, wenn er zugreift.“

„Teufel! Also Bestechung? Und wie hoch beläuft sich die Summe?“

„Drei Millionen Francs, nöthigenfalls auch mehr.“

„Geh’ hin, versuche Dein Glück.“

„Adieu, auf Wiedersehen in Italien.“

Am nächsten Tage lasen wir in der Times unter dem Artikel (Geldmarkt) die Bedingungen, unter welchen sich Kossuth zu einem Bündnisse mit Napoleon herbeiließ. Dieser Artikel wurde durch Rothschild in die Times eingerückt, da ihm die Sache durch Fould, welcher das Geld herbeischaffte, gesteckt wurde. Waren bisher Kossuth die meisten ungarischen Emigranten ausgewichen, so kamen sie nun in Massen herbei. Alle suchten Versöhnung mit ihm, seine erbittertsten Gegner, namentlich der Minister Vukovics, der Bischof Rónay, die Generale Perczel und Vetter, antichambrirten bei ihm und baten vorgelassen zu werden. Ich war gegenwärtig, als Perczel bei ihm eintrat.

„Kannst Du mir verzeihen? Willst Du wieder mein Freund werden?“ sprach Perczel mit Thränen in den Augen.

„Nicht ich habe Dich verstoßen, Du verließest mich,“ entgegnete Kossuth. „Meine Arme standen Dir stets offen.“

Perczel warf sich an die Brust Kossuth’s, und sein Schluchzen hinderte ihn am Sprechen.

„Blos Euch zu Lieb’ verbinde ich mich mit Napoleon,“ sagte Kossuth, „es geschieht gegen meine bessere Ueberzeugung, denn Napoleon wird uns beseitigen, sobald er uns nicht mehr braucht; wir werden eine lächerliche Rolle vor der Welt und namentlich vor Ungarn spielen, wir dienen als Gespenster gegen Oesterreich. Ihr könnt das Opfer ermessen, welches ich Euch bringe, doch ein guter Patriot schuldet seinem Vaterlande Alles, selbst seine Ehre.“

Als Perczel wegging und ich mit Kossuth allein blieb, seufzte dieser und sagte: „Wenn das Geld, das er und die Uebrigen erhalten, verzehrt ist, sind sie wieder Alle meine Feinde.“

Kossuth reiste bald ab; er hatte mit Napoleon eine Unterredung zu Paris und folgte ihm in Begleitung des Senators Pietri nach Italien. Viele von den ungarischen Emigranten reisten ebenfalls dahin, einige jedoch blieben zurück, namentlich Pulszky; dieser witzelte über die abenteuerliche Expedition und sagte unter Anderm: „Im Monat Mai schickt man die Esel in’s Heu.“ Ein in Oesterreich übliches Sprüchwort, ähnlich dem vom „in den April schicken“.

Der Friede von Villafranca war für Viele ein Schlag, aber Kossuth traf er am härtesten. Als er nach London zurückkam, stand er wieder allein und verlassen da, nur der Oberst Daniel Ihász blieb bei ihm, und außer Figyelmesy, dem Bildhauer Alexy und mir besuchte ihn keiner der Emigranten. Die drei Millionen waren unter die Ungarn, welche nach Italien gegangen waren, vertheilt worden. Moritz Perczel, Klapka, Kiß, Ezetz und Vetter hatten Jeder achtzehn bis zwanzigtausend Francs, die Obersten Emerich und Stefan Szabó Jeder zwölftausend Francs etc. erhalten; für Kossuth waren siebenzigtausend Francs entfallen. Napoleon soll ihm noch hunderttausend Francs angeboten, Kossuth aber die Annähme dieser Summe verweigert haben.

Niemals, nicht einmal in Arad am 9. August des Jahres 1849, am Tage, wo er seine Gouverneurswürde niederlegte und Görgey zum Dictator ernannte, sah ich ihn so niedergeschlagen, wie jetzt bei seiner Rückkehr aus Italien.

Ein Jahr hindurch kam in Kossuth’s Hause Politik nicht mehr zur Sprache; ich besuchte ihn nun öfters als früher. Abends pflegte er mit Ihász und mit mir Tarok zu spielen; er lebte einzig und allein seiner Familie und den wenigen ihm treu gebliebenen Freunden, zu welchen Pulszky damals nicht mehr gehörte.

Zur Zeit der Protestantenbewegung in Ungarn (im Jahre 1860) fing er an sich wieder für die Angelegenheiten unseres Vaterlandes lebhafter zu interessiren; die moralische Stärke, welche die Protestanten Ungarns, namentlich zu Miskólez und Debreczin, bewiesen, machte ihn glauben, daß bei seinen Landsleuten noch nicht alle Energie geschwunden sei. Namentlich machte das Benehmen des Barons Nicolaus Vay, nachherigen ungarischen Hofkanzlers, und des Hofrathes Eduard Zsedényi, welcher für seine Rede eingesperrt wurde, einen angenehmen Eindruck auf ihn.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_586.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)