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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Der Bienenfinder.

Charakterbild[WS 1] aus dem amerikanischen Westen.

Nach den Ueberlieferungen, wie sie unter den Indianerstämmen im fernen Westen der großen Union fortleben, ist die Honigbiene erst mit den puritanischen Ansiedlern in der neuen Welt heimisch geworden und somit anzunehmen, daß dieselbe mit der Civilisation den Weg über’s Meer nahm und mit dieser von Osten nach Westen gewandert ist. Lange zuvor, ehe der Fuß des weißen Mannes die Ufer des Mississippi betrat, soll ein Krieger des Shawnee-Stammes, welcher einen Schwarm der ihm fremden Insecten in einem hohlen Baume entdeckte, seinen Brüdern voraus gesagt haben, daß ihren Jagdgründen ein feindlicher Einfall drohe. Sei dem nun wie ihm wolle, heute schwärmt die Honigbiene auf der großen ausgedehnten Prairie in ungeheueren Massen und vertraut die Erzeugnisse ihres Fleißes den Riesen der hundertjährigen Waldungen in solchem Umfange an, daß die Hinterwäldler einen Handelsartikel daraus machen, der, wenn er sie auch nicht immer für die aufgewandte Mühe lohnt, ihnen doch neben den Erträgnissen der Jagd eine willkommene Baareinnahme sichert. Anders als der Jäger, welcher die Wechselplätze des Hirsches aufsucht oder dem Bären nachstellt, ist der Hinterwäldler, der dem Flug der Biene folgt, von einer sanfteren, friedlicheren Gemüthsart, aber mit nicht minder scharfen Sinnesorganen ausgerüstet; er liebt die Natur, liebt die Blumen – wenn auch vielleicht nicht als Botaniker oder Naturkenner. Seinem Charakter nach gleicht er dem Angler, und seine Geduld darf diesem nicht nachstehen. Dabei ist er still und schweigsam, wie der Wald um ihn her, in welchem er jeden Fußbreit Boden kennt, und selbst das unzeitige Zirpen eines Vogels oder das Picken eines Spechts an einem dürren Baum erregt seine Aufmerksamkeit und stört ihn in seiner Ruhe.

Der Bienenjäger von Profession errichtet seine Hütte meistens an einem schiffbaren Strome, bebaut ein oder zwei Acker Land mit Gemüsen, Fleisch liefert ihm seine gute Büchse und im Uebrigen verläßt er sich auf sein Geschick, die süßen Schätze der wilden Bienen aufzufinden. Hat er dann drei oder vier Fässer mit denselben gefüllt, so rollt er dieselben zum Ufer herab, ladet sie in sein Canoe und fährt damit zur nächsten Ansiedelung, um Mehl, Pulver, Blei und andere Bedürfnisse dagegen einzutauschen. Steht sein Blockhaus an einem der größeren Ströme, die mit Dampfbooten befahren werden, so setzt er sich wohl der Zeitersparniß wegen mit dem Führer eines solchen in Verbindung, wenn er demselben auch, damit dieser in New-Orleans oder St. Louis einen Verdienst dabei machen kann, einen Preisabschlag einräumen muß. Der gewöhnliche Preis, den er erhält, pflegt ein Viertel Dollar für die Gallone zu sein, und da einzelne Bäume ihm acht bis zehn, auch wohl zwölf Gallonen liefern, so ist sein Geschäft immer ein ziemlich lohnendes. Wer je die westlichen Staaten Amerikas besucht und Gelegenheit gehabt hat, in die entlegenen Jagdgründe der Bienenjäger vorzudringen, wird, wenn er mit einem derselben Bekanntschaft gemacht hat, den Mann und seines Gleichen unter hundert anderen Hinterwäldlern wieder herauskennen.

In seinem Erwerb durchaus auf seine geistigen Fähigkeiten angewiesen, verachtet er jeden äußeren Prunk. Ein alter zerdrückter Filzhut, dessen breite Krempe seine Augen beschattet, schmückt sein Haupt; ein blau- und weißgestreiftes Flanellhemd hängt lose und aller beengenden Knöpfe bar, nachlässig auf den breiten Schultern; Rock und Weste kommen gar nicht in Frage, und seine Unaussprechlichen sind, wenn sie aus Hirschleder bestehen, mit einer dichten, aus Honig und Schmutz gebildeten Kruste überzogen, während, wenn sie aus Zwillich oder einem andern weniger dauerhaften Stoffe gemacht sind, die zahllosen Flicken auf denselben den Beweis liefern, wie oft deren Träger, unbekümmert um Dornen und Gestrüpp, mit unverwandtem Blick eine Biene zum „Neste“ geleitete. Es ist wahrhaft wunderbar, zu welcher Fertigkeit der Bienenjäger es hierin bringt und auf welche Ferne sein geübtes Auge dem Flug der heimkehrenden Biene folgen kann.

Nach dem im fernen Westen bestehenden Rechte der Gewohnheit ist der Entdecker eines „Honigbaumes“ stets dessen Eigenthümer, wenn er denselben durch Abschälen eines Streifens Rinde gezeichnet hat, und wer einen so gezeichneten Baum dennoch fällt, um sich in Besitz des Honigs zu setzen, wird ebensowohl als ein Dieb angesehen, als wenn er seines Nachbarn Tasche ausräumt. Zur Ehre der Tausende von Hinterwäldlern muß ich aber bekennen, daß mir nie ein Fall zu Ohren kam, wo dies Gesetz verletzt wurde.

„Wie viel Honigbäume habt Ihr in diesem Sommer angehauen, Pompy?“ fragte ich einst im nördlichen Louisiana einen alten Neger, von dem man mir gesagt hatte, daß er alle seine Feiertage auf der Honigjagd verbringe.

„Vierundsechszig,“ entgegnete er mit einem gewissen Selbstgefühl, „denk’ wohl, werd’ mir eine ‚Hülfe‘ nehmen müssen, um sie vor Weihnacht’ alle schlagen zu können.“

Und diese Bäume waren sämmtlich in der unmittelbaren Nähe der Pflanzung, zu der er gehörte, und wenn Pompy dieselben aller Wahrscheinlichkeit nach wohl kaum alle wiederfinden würde, so konnte er dennoch sicher sein, daß sein Eigenthum unberührt sei, wenn er später zum zweiten Male darauf stieß. Den Hottentotten in Afrika dient der sogenannte Honigvogel als sicherer Führer zu dem Bienenbau, indem er dem Jäger durch sein schrilles Schreien, mit welchem er den heimkehrenden Bienen folgt, den Weg dorthin zeigt. In Amerika dagegen hat der Jäger keine solche Hülfe, sondern muß sich ganz auf sich selbst verlassen und jeden Baum, den er nicht durch Zufall findet, in der Weise suchen, wie es Tony Sneed, ein Bienenjäger, thut, dessen Revier ich oberhalb Memphis in Tennessee besuchte.

Es war ein schöner Herbstmorgen, als ich mich von dem Capitän des Dampfers Waterlily oberhalb Colonel Nixon’s Pflanzung an’s Land setzen ließ, wo mir Tony, den ich wenige Tage vorher in Memphis kennen gelernt hatte, ein Rendez-vous geben wollte. Auf seine Axt gestützt und von seinem Sohne, einem großen, ungeschlachten Burschen von siebenzehn Jahren, begleitet, der ebenfalls eine scharfgeschliffene Axt sowie zwei leichte Eimer trug, empfing mich der biedere Hinterwäldler wie einen langjährigen Freund.

„Schöner Morgen, heute,“ sagte er mit der beliebten Begrüßungsformel des Westens; „wenn Sie schon etwas für Ihren inneren Menschen gethan haben, so wollen wir gleich an’s Geschäft gehen.“

Ich sah, daß er für dies Geschäft genügend ausgerüstet war, denn ein Seitenblick in die Eimer seines langbeinigen Sohnes hatte mich ein kleines Blechbüchschen mit Honig, eine blaue irdene Untertasse, ein Glas und ein Fläschchen mit Schwefelblüthe erkennen lassen – Gegenstände, die, so einfach sie schienen, mir als unumgänglich nothwendig bezeichnet wurden. Tony und Sohn führten mich auf eine ungefähr eine halbe Stunde vom Flusse entfernte ausgedehnte Klärung. Die letzten Kinder des Herbstes, blaue, gelbe und rothe Blumen, prangten hier im vollen Farbenschmucke, und zwischen denselben summte und surrte es von fleißigen Bienen. Zuweilen ließen sich vier oder fünf auf einer Blüthe nieder.

„Die sind meistens aus demselben Bau,“ sagte Tony, als er bemerkte, daß dies meine Aufmerksamkeit erregte; „ich suche nach einzelnen Bienen, um Linie und Winkel zu bekommen.“

Mir waren diese Bezeichnungen nicht recht verständlich und ich fragte ihn deshalb, was er mit Winkel und Linie meine.

„Abwarten,“ entgegnete er, seinen Hut tiefer in die Augen drückend; „auf der Honigsuche muß man mit den Augen arbeiten, nicht mit dem Munde.“

Ich wußte somit, daß man der Gewohnheit des Städters, über Alles, was er Ungewöhnliches hört oder sieht, sich alsbald orientiren zu müssen, am Mississippi nicht immer Rechnung trägt, und beschränkte mich daher darauf, ihm zuzuschauen. Einer Geberde seines Alten folgend, setzte nun der jüngere Tony einen der mitgebrachten Eimer umgekehrt auf den Boden, stellte die Untertasse darauf, nachdem er ungefähr einen halben Theelöffel voll Honig hineingethan hatte, und trat dann mit uns einige Schritte zurück. Schon wenige Secunden darauf ließ sich eine von dem Honig angezogene Biene auf der Tasse nieder, ihr folgte eine zweite und dritte, und binnen Kurzem waren deren fünf emsig beschäftigt, sich nach Möglichkeit mit dem süßen Stoffe zu beladen. Vorsichtig Zoll um Zoll vorrückend, näherte sich jetzt Tony mit

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Chatakterbild
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 590. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_590.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)