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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 38.   1868.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Süden und Norden.
Eine bairische Dorfgeschichte von 1866.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Lachend lief Tonerl hinweg; der Bursche sprang hochvergnügt mit einem Satze aus der Thür, daß er beinahe einen Mann zu Boden rannte, der, im Begriffe einzutreten, durch dieselbe grüßend herein sah. Die Bäuerin erwiderte den Gruß und eilte ihm freundlich entgegen. Es war ein älterer, kräftig gebauter Mann, mit mächtigem rothen Vollbart, der aber schon stark in’s Aschengrau spielte, wie auch das unter einem weichen Filzhute von abenteuerlicher Form ungeordnet herabhängende Haar. Ein Kittel von ungebleichtem Leinen, durch eine Gürtelschnur mit Quasten zusammengehalten, Beinkleider von gleichem Stoff und derselben Farbe und ein paar schwerbenagelte Bergschuhe bildeten den ganzen Anzug des Fremden; ein niedriger breiter Holzkasten, der an einem Riemen über der Schulter hing und auf welchem ein großer Schirm und ein Feldstuhl aufgeschnallt waren, ließen den Maler nicht lange verkennen.

„Guten Tag, Bäuerin,“ rief er in munterem Tone, „ist es erlaubt, einen Augenblick Rast zu machen und um ein Glas gute Milch zu bitten?“

„Freilich, Herr, das können Sie haben,“ sagte die Bäuerin, indem sie Bank und Tisch vor dem Hause mit der Schürze abwischte und einer aus der Stube kommenden Magd auftrug, ein Glas Milch und ein Stück Brod herbeizubringen. „Habt Euch schon früh auf den Weg gemacht, Herr? Ihr seid wohl ein Maler, weil Ihr solch’ einen Werkzeug bei Euch habt?“

„Auf’s erste Mal errathen, Frau,“ rief der Mann lachend, „ich gehöre zu der lustigen Compagnie, die unserem lieben Herrgott den Tag abstiehlt und seine schöne Welt dazu!“

„Und das Geschäft muß net schlecht gehen, weil Sie so wohlauf sind!“ entgegnete die Bäuerin. „Sie kommen mir auch so bekannt vor … sind Sie nicht schon einmal bei uns eingekehrt?“

„Nein, gute Frau,“ rief der Maler, „aber daß ich Euch bekannt vorkomme, ist deshalb doch möglich … wir Gesellen, die wir mit dem Werkzeug da wandern, sehen einander alle ein bischen ähnlich, nur daß eben bei dem Einen das Geschäft etwas besser geht, als bei dem Andern. Ich habe diese Gegend schon oft durchstreift, aber bis hier herauf bin ich nie gekommen; wenn man unten im Thale dahin geht, sieht man Euren Hof kaum und glaubt nicht, daß er so frei und herrlich da liegt und eine so wundervolle Aussicht gewährt!“

„Ja, ja, die Aussicht läßt sich nicht spotten,“ erwiderte die Bäuerin, indem sie der herankommenden Magd das Glas mit der fetten, rahmbedeckten Milch abnahm und vor den Maler hinstellte. „Und der Luft ist auch so besonders gut!“

Der Maler trank mit Behagen und ließ während des Schlürfens den Blick über die Gegend streifen. „Ihr seid zu beneiden, Frau,“ sagte er dann, „Ihr wißt gar nicht, wie schön Ihr wohnt! Wie in einem versteckten Paradies, einem heimlichen Zaubergarten oder einer unentdeckten seligen Insel! Es kommen wohl selten Fremde zu Euch?“

„Diemalen geschieht’s doch, daß sich Einer herauf versteigt; aber im Sommer logirt jedes Jahr eine fremde Familj bei mir …“

„Ah, es giebt also doch noch Leute, die Geschmack haben! Wer sind die Glücklichen?“

„Das weiß ich selbst nit so recht; sie sind aus dem Preußischen daheim, aber Heuer sind sie noch nicht da!“

„Preußen also? Die werden in diesem Jahre wohl auch schwerlich kommen!“

„Warum? Wissen Sie vielleicht ’was davon?“

„So könnt Ihr fragen!“ rief der Maler und warf den Hut in’s Gras, daß der Ostwind ungehindert in den grauen Locken spielen konnte. „Ihr wißt also gar nicht, was draußen geschieht, und was die ganze Welt bewegt, wie ein stürmendes Meer, bricht sich wie eine Fluth am Fuße Eurer Berge und die Brandung reicht nicht herauf zu Euch. Erfahrt Ihr denn gar nicht, was sich im Lande zuträgt?“

„Herrgott,“ sagte die Bäuerin ängstlich, „es wird ja doch nicht sein! Neulich, wie ich am Sonntag im Dorf d’runten war im Gottesdienst, da hat’s geheißen, es soll der Befehl vom König ’raus kommen, daß die Buben einrücken müssen und daß es Krieg geben soll …“

„Leider ist das sehr zu befürchten!“ entgegnete der Maler ernst, „der Zwiespalt zwischen Preußen und den anderen Fürsten Deutschlands wird mit jeder Stunde bedrohlicher; sie wollen, daß die Schleswig-Holsteiner, von denen Ihr doch wohl auch schon gehört haben werdet, ein eigenes Volk für sich sein und ihren eigenen Landesherrn haben sollen; Preußen will das nicht, es will das schöne Land für sich behalten. In diesen Tagen sitzen die Gesandten alle am Bundestag in Frankfurt beisammen, und von dem Beschluß, den sie da fassen, wird es abhängen, ob wir Frieden behalten oder ob es zu einem Kriege kommen soll, in dem Deutsche wider Deutsche stehen … Doch nichts mehr von diesen Dingen, liebe Frau. Ihr bekommt da noch einen anderen Besuch …“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 593. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_593.jpg&oldid=- (Version vom 28.10.2021)