Seite:Die Gartenlaube (1868) 601.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

(Klingeln). Auch diese mundartliche Benennung deutet auf einen gemeinsamen Urstamm mit dem englischen und holländischen bell (Glocke) hin;

10) die dritte Octave und was noch darüber „Gitzer und Gitzerchen“ d. i. Ziegenschellchen (von Gitzi, Gais, Zickelchen).

Alle die hier aufgefährten Intervalle behalten übrigens stets dieselbe Benennung, wenn auch das Geläute durch Hinzufügung eines tieferen „General- oder Conderbasses“ einen Sexten- oder Quartsexten-Accord bildet.

Folgende Notenbeispiele mögen die dargestellten Verhältnisse noch mehr veranschaulichen:

Die Namen „Gitzer“, „Auw- und Laminschellen“ rühren jedenfalls davon her, daß auch die Ziegen- und Schafheerden im Thüringer Wald harmonische Geläute tragen. Diese sind gleichsam verjüngte Kuhgeläute und bestehen, bei sonst gleicher Bezeichnungsweise, nur aus den kleineren Schellen der oberen Oetavenlagen vom Halbstumqf an, klingen aber nicht minder lieblich.

Einem Hirten von altem Schrot und Korn ist es Ehrensache, sein Geläut in reiner Stimmung und überhaupt in bestem Stande zu erhalten, und er sieht darauf umsomehr, als dasselbe nicht der Gemeinde oder einzelnen Viehbesitzern gehört, sondern sein Privateigenthum und gewissermaßen eine Bedingung zur Uebernahme seines Amtes ist. Denn aus forstwirthschaftlichen Rücksichten einestheils, anderntheils aber auch, um dem Verirren oder Zerstreuen der Heerde vorzubeugen, darf kein Hirte ohne Geläute in den Wald treiben, und ein solches zu erwerben, erfordert immerhin ein für die Verhältnisse des Mannes nicht unbedeutendes Capital. Im Herbste werden die Schellen den Kühen abgenommen, sorgfältig gereinigt und ausgebessert, vor Allem sorgt aber ein gewissenhafter Hutmann dafür, das Geläute alljährlich im Frühjahr von Neuem „richten“, harmonisch rein stimmen zu lassen, ehe er es wieder unter seine Heerde vertheilt, denn ein „zergehendes Gelüt“ ist ihm ein wahrer Gräuel.

Das Stimmen erfordert wiederum eine besondere Kunst und Geschicklichkeit, die eben nur der in die Hirtenharmonielehre tiefer eingeweihte „Schellenrichter“ besitzt. Dieser zieht im ersten Frühjahr von Ort zu Ort zu seinen Collegen, um das wichtige Amt zu verrichten, wird überall respectvoll aufgenommen, reich bewirthet und nach Verhältniß gut honorirt. Zum Stimmen braucht er einen eigens zugerichteten Hammer („Stimmhammer“), eine Eisenfeile und einen zwei Zoll starken, oben abgerundeten Holzstock. Auf diesen steckt er die Glocke und schlägt, wenn dieselbe zu tief ist, mit dem Hammer eine leichte Telle hinein; ist sie zu hoch, so ebnet er entweder schon vorhandene Vertiefungen, oder feilt die Wandung dünner. Versteht der Schellenrichter, wie unsere kunstgerichten Clavierstimmer, nach fortschreitenden Octaven und Quinten zu stimmen, so rechnet er sich diesen Vorzug als besondern Ruhm an.

Auch das Anfertigen der Glocken aus gut geschmiedetem (nicht gewalztem) „Harzer“ Eisenblech erheischt eine eigenthümliche Geschicklichkeit, ja das Zusammenlöthen soll sogar als ein Geheimniß gelten, das wenige Schellenmacher gründlich verstehen. Gegenwärtig wird die Schellenmacherkunst nur noch in Kleinschmalkalden (früher auch in Ohrdruf) von einzelnen Eingeweihten betrieben. Die übrigen Bestandteile der Schellen, den hölzernen, mit Schnitzereien und bunten Farben verzierten Bügel („Kanfe“) und die ledernen Riemen („Strippen“), mit denen die Glocken befestigt sind, wissen die meisten Hirten selbst herzustellen.

Ein vollständiges Geläute muß wenigstens ein Schock und einige Mandel Schellen enthalten und ist nach Verhältniß seiner Stimmen etwa in folgender Weise zusammengesetzt: sechs Gitzer, sechs kleine Beller, sechs grobe Beller, vierzehn Laminschellen, vierzehn Beischläge, zwölf Auwschellen, zehn Halbstumpfe, acht Mengel, sechs Mittelstumpfe, vier Ganzstumpfe (Bässe), zwei Conderbässe, zwei Generalbässe, in Summa neunzig Stück (ein Schock zwei Mandel). Neu und mit allein Zubehör kommt ein solches auf sechszig bis siebenzig Thaler zu stehen. Je nach Anzahl und Beschaffenheit der Glocken stellt sich der Preis natürlich billiger; zuweilen kann man auch wohl alte, aber noch brauchbare Geläute von abgegangenen Hirten erhalten.

Schon öfters sind Thüringer Heerdengeläute in weite Ferne versendet worden, und es gereichte dem Verfasser dieser Zeilen stets zum Vergnügen, derartige Ankäufe durch sachverständige und zuverlässige Hirten zu vermitteln, theils um diese schöne, volkstümliche Sitte weiter zu verbreiten, theils aber auch, um unsern kunstsinnigen Hirten einen kleinen Verdienst zuzuwenden.

R.




Fidelio.
Nach persönlichen Mittheilungen des Herrn Professor Joseph Röckel von Rudolph Bunge.

Es war ein grauer nebeliger Wintertag, der 20. November des Jahres 1805. Aengstlich rannte das Volk durch die Straßen der alten unglücklichen Kaiserstadt, in die vor sieben Tagen das siegreiche Heer der Franzosen eingezogen war. Die Nachrichten von neuausgeschriebenen Contributionen, welche Kaiser Napoleon im ganzen Erzherzogthume eintreiben ließ, zogen wie Gespenster von einem Hause zum ändern und erregten Schrecken in den Palästen wie in den Hütten. An den Straßenecken war ein dichtes Gedränge: Alles wollte die großen Placate lesen, durch welche der neuernannte Gouverneur von Wien, General Clarke, das Volk zur Ruhe und Ordnung mahnte, während in Folge der unglücklichen Ereignisse die Kriegsvorräthe der Kaiserstadt von den französischen Truppen ausgeräumt und geplündert wurden. Jeder las die hochtönenden Proclamationen an den Straßenecken, die damals so wichtig waren und jetzt doch längst wieder vergessen sind – und nur Wenige widmeten wohl dem kleinen, unmittelbar darunter befindlichen Theaterzettel einen Blick, der auch heute an seinem alltäglichen Platze klebte und mit den Worten begann:

K. K. Theater an der Wien.

Heute, am 20. November 1805,
Zum ersten Male:
Leonore.
Oper in 3 Acten nach dem Französischen des Bonilly von Sonnleithner.

Musik von L. van Beethoven.

„Wer ist dieser Beethoven, dem die schöne Oper unseres Meisters Paer nicht gut genug war, daß er denselben Text noch einmal componiren mußte?“ Niemand wußte es und Niemand frug danach, außer wenigen eingeweihten Musikfreunden, welche vielleicht hie und da in einem der vielen Concerte eine Sonate dieses Tonkünstlers gehört hatten. Aber auch diese kümmerten

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 601. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_601.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)