verschiedene: Die Gartenlaube (1868) | |
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dreihundertneunundvierzig Ochsen und Bullen und neuntausend sechshundertundvier Kühe für England verladen. Nächstdem folgt Frankreich mit neununddreißigtausend zweihundertvierundvierzig Stück Hornvieh, dann Holland, Schleswig-Holstein, Bremen, Spanien, Dänemark, Portugal, Schweden, Belgien, Rußland und noch viele andere Länder. Im Ganzen sind in dem genannten Jahre zweihundertundneuntausend hunderteinundsiebenzig Stück großes Hornvieh im Werthe von fast vier Millionen Pfund Sterling nach England geschafft worden, außerdem mehr als achtundzwanzigtausend Kälber, achtmalhunderttausend Schafe, vierundsiebenzigtausend Schweine, ferner zweihundertdreiunddreißigtausend Centner gesalzenes und frisches Ochsenfleisch (selbst von Australien schafft man jetzt frisches, in flüssigen Talg gepacktes Rind- und Hammelfleisch nach London, wo es das Pfund zu fünf Pence verkauft wird), fünfhundertachtundsiebenzigtausend Centner Speck, siebenundfünfzigtausend Centner Schinken, drei Millionen Großhundert (einhundertundzwanzig) Eier, fünfhunderttausend Centner Fische aus nichtenglischen Gewässern etc. Man sieht aus diesen Zahlen mit aller Augenscheinlichkeit, daß die Engländer den Werth der thierischen Nahrung zu schätzen wissen, sich dieselbe verschaffen, wo sie nur irgend zu haben ist, und sie sich auch ein gutes Stück Geld kosten lassen. Für die aufgeführten Nahrungsmittel bezahlte England im Jahre 1866 mehr als zehn Millionen Pfund Sterling oder siebenzig Millionen Thaler. Und in dieselbe Abtheilung muß man noch die jährliche Ausgabe von mehr als sechs Millionen Pfund Sterling für eingeführte Butter und zwei unddreiviertel Millionen Pfund Sterling für Käse rechnen. Der Einfluß, welchen dieser ungeheure Verbrauch von Nahrungsstoffen auf den Preis derselben ausgeübt hat, ist auf dem ganzen europäischen Continente zu spüren.
Eine Doppelnatur. Als ich ich Herbst 1827 von Leipzig nach Gotha zurückgekehrt war mit einem bereits gut klingenden Namen als Verfasser von einigen Romanen und Novellen, zu dem mir besonders Adolf Müllner verholfen hatte, trat eines Tages ein langer, schlanker, junger Mann von meinem Alter bei mir ein. „Er kenne Niemand in Gotha, der ihn bei mir einführen könne, so komme er allein, zwar ein namenloser Candidat der Theologie und Führer eines jungen Adeligen, der das gothaische Gymnasium besuche, aber großer Liebhaber der deutschen Poesie und Literatur.“ Er hatte ein merkwürdig verzwicktes Gesicht, eigentlich beschränkte, sogar dumme Züge; wenn er sprach, brauchte er erst einige Zeit, um in Fluß zu kommen. Erst kamen die Worte, darauf die Sätze stoßweise, dann aber sprach er rasch, fließend, anfangs gewöhnlich, dann geistreich. Ich machte ihm meinen Gegenbesuch und fand ihn mit Shakespeare in der Ursprache beschäftigt. Er machte die treffendsten Bemerkungen über Shakespeare, und nun lernte ich ihn nach und nach als einen Mann von enormem Wissen und einer sehr scharfen Beurtheilungsgabe kennen, der sich sehr treffend kritisch aussprach. Er kannte Alles, die ganze antike und moderne poetische Literatur, sein Lieblingsfach war aber die altdeutsche, in deren Dichtern er ebenso bewandert war, wie in Goethe, Voltaire, Shakespeare etc. Ich lernte viel von ihm. Dabei war er sehr bescheiden und prunkte nie mit seinen Kenntnissen; über die jüngere Literatur sprach er entschieden ungünstig, ja gehässig. So wie er aber auf sein Brodfach, die Theologie, kam, sprach er lauter wunderliches Zeug; der strengste lutherische Orthodoxe und Bibelgläubige, meinte er, nur im Glauben an die Bibel könne die Menschheit genesen. Ich lachte ihn oft aus und legte mir mehrmals die Frage vor: Ist dieser Mensch dumm oder genial? Zuletzt kam ich mit mir überein, er sei ein ganz außerordentlicher Mensch, zugleich genial und beschränkt, jenes in Beurtheilung der Dichter, dieses in Betracht der Theologie und Philosophie. Natürlich fühlte ich mich zugleich von ihm angezogen und abgestoßen.
Ich arbeitete damals viel für die Brockhaus’schen Unterhaltungsblätter; er sah Bücher bei mir, die mir Brockhaus zur Beurtheilung geschickt, und bat mich, ihn diesem zu empfehlen, er wolle auch in die Unterhaltungsblätter schreiben. Zu diesem Zweck gab er mir einen vortrefflich geschriebenen Aufsatz, den ich Brockhaus schicken mußte. Darauf ist er, glaub’ ich, auch Mitarbeiter geworden. Unser Umgang dauerte vielleicht ein halbes Jahr. Nachher ging ich nach Stuttgart, und er erhielt eine Rectorstelle am Gymnasium in einer Stadt seines Vaterlandes Kurhessen.
Nachher las ich viel von diesem Manne; er wurde der geistreichste Beurtheiler unserer Nationalliteratur bis auf Goethe, und der beschränkteste Ultra-Orthodoxe der Neuzeit, der eine Literaturgeschichte geschrieben hat, die seinen Namen auf die Nachwelt bringen wird, und der allen Ernstes behauptete, der Teufel habe ihm in Person einen Besuch gemacht (wir Thüringer sagen, er hat den Teufel barfuß laufen sehen). Der Leser weiß nun schon, daß es Vilmar war, der vor Kurzem als Consistorialrath und Professor der Theologie in Marburg gestorben ist.
Instinct oder Ueberlegung? Ich saß einmal in einem Dorfe bei Königsberg in Franken, im Wirthshaus bei einem Glas Bier, ganz allein; wie mir’s schien, war außer mir kein lebendes Wesen mehr in der Stube, als ein großer Metzgerhund, der, ein Mittagsschläfchen machend, sich lang ausgestreckt hatte und auf der Seite lag wie ein todtes Thier. Ich war im ungestörten Zug meiner Gedanken, als ein drittes Wesen hinzukam – ein Staar, der auf den Hund hüpfend, sofort eine Lese begann, wahrscheinlich nach Flöhen, denn daß ganze Schwärme von Staaren sich auf Schafheerden niederließen, um sie von einer andern Gattung von Parasiten zu befreien, mit denen auch unreinliche Menschen, Affen, Wildpret und Schweine reichlich gesegnet sind, das sah ich schon öfter. Hier wie dort hatte ich meine stille Freude an diesem Act der Nächstenliebe, der freilich nicht ganz ohne Eigennutz war, da es sich wohl mehr um das Genießen, als um die Wohlthat für Andere handelte. Der Hund gab lange kein Zeichen der Erkenntlichkeit von sich – als aber der Flohjäger einige Male zu heftig auch an den Kopf des Siesta Haltenden pickte, erhob er denselben mit einem zornig fragenden Blick, und als die Angriffe wiederholt wurden – schnapp – war der Vogel im Rachen des Hundes verschwunden. Ich staunte nicht wenig, zumal der Hund den Kopf ohne Ruck und Druck wieder auf die Seite legte und regungslos liegen blieb, wie vorher. Was, dachte ich, sollte denn der den Kerl mit Haut und Haar, das heißt mit Federn und Krallen, verschlungen haben, ohne ihn zu kauen? Da erhob Sultan nach einigen Minuten sein Haupt wieder, mit einem um Beifall buhlenden Blick auf mich, machte das Maul auf, ungefähr wie Raucher die Ringelwölkchen blasen – und heraus flog Bruder Staarmatz, „fröhlich und wohlgemuth“ einen triumphirenden Flug durch die Stube machend, dann „hüpfte das junge Blut“ wieder auf den dolce far niente Pflegenden und begann den Pürschgang auf den Pulex von Neuem. Die Wirthsleute bezeugten mir später, daß diese brüderliche Scene nicht zum ersten Male gespielt habe, und wir müssen deshalb wohl annehmen, daß nach den vielen Beweisen von Treue und List, von Ueberlegung und Rache, wie sie die Gartenlaube mittheilt, die Thiere auch Humor haben.
„Das Geheimniß der alten Mamsell“ auf den Brettern. Daß
man E. Marlitt’s treffliche Erzählung zu einem Bühnenstück bearbeitet
hat, wissen jedenfalls die meisten unserer Leser. Das Drama, von Karl
Moßberg verfaßt, ist zuerst auf dem Schloßtheater in Charlottenburg zur
Aufführung gekommen, hatte aber dort, wegen der mangelhaften Inscenirung
und Rollenbesetzung, nicht den Anklang gefunden, den man zu erwarten
berechtigt war; jetzt ist das Stück auch auf dem Victoriatheater
in Berlin gegeben worden und hat sich hier, bei zum Theil trefflicher
Wiedergabe der einzelnen Rollen, eines durchschlagenden Erfolges zu erfreuen
gehabt, so daß, wie die Berliner Theaterkritik voraussagt, „das Geheimniß
der alten Mamsell“ jedenfalls ein Zug- und Glanzstück der erwähnten
Bühne werden dürfte. Leider ist die hochbegabte Dichterin der mit
so allgemeiner Anerkennung aufgenommenen Erzählung noch immer von
ihren schweren Körperleiden nicht völlig hergestellt und hat deshalb ihre von
der Gartenlaube bereits mehrfach angekündigte Novelle „Reichsgräfin Gisela“
noch nicht vollenden können, wenn auch der Abschluß derselben in allernächster Aussicht steht.
Frau E. H. in Soerabaya auf der Insel Java. Für Ihre Töchter
und deren Ausbildung in Deutschland empfehlen wir Ihnen das Pensionat
der Frau Dr. Beta in Berlin, Königgrätzerstraße 48. Da der Bruder derselben,
Herr R. Rolf, Postbeamter in Soerabaya ist, wird er nicht nur darüber
gern nähere Auskunft geben, sondern Ihnen auch die gewünschten
Jahrgänge der Gartenlaube, sowie die Wochenausgabe der Kölnischen Zeitung
auf die schnellste und billigste Weise verschaffen. D. R.
G. F. in W…n. Privat-Anfragen über Auswanderung kann ich
nicht einzeln beantworten, denn sie nehmen so überhand, daß sie meine
ganze Zeit beanspruchen würden.
Dresden, im September 1868. Fr. Gerstäcker.
Inhalt: Süden und Norden. Eine bairische Dorfgeschichte von 1866. Von Herman Schmid. (Fortsetzung.) – Die Altmeister der deutschen Imker. Mit Portraits. – Das Schellengeläute der Thüringer Heerden. – Fidelio. Nach persönlichen Mittheilungen des Herrn Professor Röckel von Rudolph Bunge. – Aus dem Hamburger Hafen. Mit Abbildung. – Blätter und Blüthen: Eine Doppelnatur. Von Ludwig Storch. – Instinct oder Ueberlegung? – „Das Geheimniß der alten Mamsell“ auf den Brettern. – Kleiner Briefkasten.
Mit nächster Nummer schließt das dritte Quartal unserer Zeitschrift. Wir ersuchen daher die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das vierte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen. Die Verlagshandlung.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 608. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_608.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)