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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)


decorirten Zimmer saßen drei Herren an einem Tische, darauf sich eine riesige Rheinweinflasche schlank wie der Straßburger Münster erhob. Neben diesem Riesenquell der Begeisterung und des sprudelnden Humors standen die mit dem goldigen Blut der Reben gefüllten Gläser.

„Mein Gott, Sie haben ja einen Doppelgänger?“ fragte ich erschreckt den Präsidenten.

Er nickte ernst und schweigend mit dem Kopfe.

An dem Tische saß wirklich eine Gestalt, die dem Präsidium glich, wie Hamlet’s Geist dem Geiste Hamlet’s. Sie sah mit den stechenden Augen, die hinter der classischen Brille lagen, an der Riesenflasche vorbei und zu einer vierten Gestalt hinüber, die an dem Tische, die Hände auf die Stuhllehne gestützt, mit einer Miene stand, mit welcher der Delinquent vor dem Richter zu stehen, pflegt, wenn dieser sich erhebt, um das Urtheil über Leben und Tod zu sprechen. Ja, diese vierte Gestalt sah nicht so heiter drein, wie das Triumvirat an der Tafel. Die ernsten Augen in dem marmorblassen Antlitz blickten zu Boden, oder senkten sich doch bis auf die Spitze des langen, langen Bartes hernieder. Die heroische, aber dabei doch unglückselige Figur legte feierlich Protest ein gegen ihre Aufnahme als Ehrenmitglied des Ulk, und ihre wahrscheinlich mit dumpfer Grabesstimme gesprochenen Worte wurden auf Befehl des Präsidenten von dem Schriftführer vermittelst einer Riesenfeder in das Manuscript der folgenden Nummer des Ulk-Kladderadatsches eingetragen. Dieses Urorgan des Humors, dieser würdige Sproß des Berliner Gelehrten-Kladderadatsches, hing in einem Exemplare einsam an der Wand, während der Berliner College kopfüber von der Tischkante herniederhing. Hinter dem Sitzungstisch prangten die von zwei Ehrenbüsten gehüteten Tafeln der Mitglieder und Ehrenmitglieder des Ulk. Ich konnte auf der ersteren nur den Namen des Präsidiums und auf der letzteren nur die Namen Wartensleben und Wantrup lesen. Wahrscheinlich folgten Eich (der vielgenannte Bürgermeister von Longerich), von Dücker (Rödinghausen), Urner, Grafe, Klug (Elberfeld), Hülsmann, Eickelberg, Löbbecke (Iserlohn), Graf Platen-Plappermund (Contrasignateur aller Ulk-Erlasse) und Knak („Sonnenschieber“ in Berlin). Rechts von dem Sitzungstisch hing an einem Hutständer der weiße angetriebene Hut jenes Bürgermeisters von Longerich; ein schwarzer Frack, aus dessen Schooßtasche eine riesige Ergebenheits-Adresse hervorragte, die Welfenhose und – ein Stück ungebrannte Asche. Auf der andern Seite befand sich die „Knakuhr“ mit festgebundenem Perpendikel.

„Ich danke Ihnen für die Ueberraschung!“ sagte ich zum Präsidium und ließ die Portière wieder über das Glas des reizenden Stereoskopbildes – es war nichts Anderes – fallen.

„Das hatte ich Ihnen zugedacht, weil in der Tropengluth des Sommers der Ulk nicht in corpore tagt. Nehmen Sie das Bild zur Erinnerung mit nach Berlin.“

Ich dankte und bat dann das Präsidium, mir auch in aller Kürze die Geschichte der geheimnißvollen, in jüngster Zeit so weltberühmt gewordenen Gesellschaft mitzutheilen.

„Die ist höchst einfach,“ sagte der Präsident. „Wir constituirten uns im Herbst 1857, um die bevorstehenden langen Winterabende bei derbem Humor zu verbringen. Unsere Mitglieder vermehrten sich bald wie die Sauerstoffperlen in einem Glase abgestandenen Wassers …“

„Mit diesem Glase des erquicklichen Getränks meinen Sie Haspe?“

„Ja, Haspe und Umgegend!“

„Richtig! was weiter?“

„Wir constituirten uns parlamentarisch, und jedes Mitglied wurde nach Befähigung und Neigung einer der drei Fractionen der Gesellschaft, die in einem glücklichen Augenblick ‚Ulk‘, das heißt Spaß, getauft ward, zugewiesen. Obenan stand die Fraction U, oder der Unsinn; dann kam das L oder der Leichtsinn, und schließlich das K, oder der Kneipsinn. Wenn Sie jetzt addiren, so erhalten Sie den ULK. Die erste Fraction umfaßte die Häupter majorum gentium …“

„Oder die Gelehrten des Ulk!“ fiel ich ein. „Wieviel gab es deren?“

„Das weiß ich nicht genau,“ antwortete der Präsident nach einigen Zögern.

„Sie concentrirte sich in Ihrem Kopfe allein; das ist mir genug,“ sagte ich. „Die Mitgliederzahl der Fractionen Leicht- und Kneipsinn wünsche ich nicht zu erfahren.“

„Der Verein entschlief nach zweijährigem Bestehen Anno 1859 aus Mangel an Theilnahme,“ fuhr das Präsidium fort.

„Und nur der Kopf lebte weiter!“ betonte ich.

„Als aber die Erweckungen im Waisenhause zu Elberfeld vor sich gingen, schlief der Ulk nicht länger. Sie kennen seine Thätigkeit nach jenen ,spittelsupperlichen’ Tagen. Dixi!“

„Außer den jetzigen thätigen Mitgliedern in Haspe, deren Zahl ich nicht wissen will, weil ich, um technisch zu reden, wenig geneigte Linien nicht gern auf den Horizont reducire, hat doch der Ulk etliche feine Fühlfäden in den Metropolen Europas? Lassen Sie mich das noch wissen.“

Der Präsident nickte, statt zu antworten, so bedeutungsvoll und humoristisch mit dem Kopfe, daß ich unwillkürlich mit einem „Wir verstehen uns!“ nachnicken mußte. Dann trat ein Diener in das Zimmer und überreichte einen Brief mit der Aufschrift: „An den Vorstand der Gesellschaft Ulk in Haspe.“

Der Brief mußte sofort beantwortet werden, und während dieses geschah, that ich einen tiefen Blick in den ausgedehnten Briefwechsel des Ulk. Der Ulk correspondirte mit den berühmtesten und berüchtigtsten Gesellschaften aller Welttheile, am interessantesten jedoch mit der ‚zigeunerbraunen Schwefelbande‘ in Böhmen, deren prachtvolles Diplom mich wahrhaft entzückte. Unter allen Scripturen aber fesselte mich der Dankbrief einer bekannten Größe für Uebersendung der Ulk-Rettungsmedaille und zwar für umsichtige Rettung aus höchsteigener Lebensgefahr am meisten. –

Beim Abschiede erhielt ich aus den Händen des Präsidiums den Ulkorden. Derselbe verleiht mir unter Anderm das Recht, der Gesellschaft zur Zeit ein Ehrenmitglied vorzuschlagen. Das Siegel des Ordens hat die Größe eines sächsischen Zweithalerstücks und stellt einen Bock dar, der eine Trommel hält. Die Eule, der Vogel der Weisheit, bearbeitet das Instrument. Dabei wird der Eulenlaut hörbar oder die Siegelumschrift: UUUUUUUUULK sichtbar.

F. B.




Aus meiner Vogelstube.
3.

Immer wechselvoll und anregend ist das lustige Leben hier rings um uns her. Eine allgemeine Pause, einen Stillstand, der gar nichts Neues zeigt, giebt es nicht. Selbst wenn bei den meisten Vögeln die Mauser eintritt, in der sie bekanntlich nicht allein ruppig und unschön aussehen, sondern auch ihr munteres und anmuthiges Wesen verlieren, selbst dann fesseln doch noch einige unsere Aufmerksamkeit durch neue Erscheinungen.

Das Paradieswittwen-Männchen hat sein prachtvolles Hochzeitskleid angelegt; seine glänzend schwarzen Schwanzfedern, welche die Länge des übrigen Körpers doppelt übertreffen, wehen im Fluge malerisch durch die Luft. Auch der Atlasvogel hat sein tiefschwarzes Gefieder mit blauem Seidenglanz bekommen, von dem das weiße Schnäbelchen und die rosenrothen Füße gar hübsch sich abheben. Und wenn diese beiden Vogelpaare jetzt, wie es den Anschein hat, auch zu nisten beginnen, dann giebt es eine gewiß seltene und interessante Erscheinung. Kürzlich ist eine Brut der Silberfasänchen ausgeflogen und Schönbürzel, Bandfinken, Helenafasänchen und Tigerfinken haben jetzt, bereits im Angust, noch auf’s Neue gebaut; die Inseparables, Korellas und Sperlingspapageien sind ebenfalls noch im Brüten begriffen.

Dieser fortwährende Wechsel ist einerseits darin begründet, daß die einzelnen Glieder der zahlreichen Gesellschaft mannigfaltig verschiedene Heimathen haben, so daß z. B. die vielen Afrikaner sogar unter sich zu sehr abweichenden Zeiten Frühling feiern; andererseits ist als Ursache auch der Umstand anzusehen, daß viele dieser Vögel mehrere Bruten hinter einander machen und eigentlich nur eine verhältnißmäßig sehr kurze Zeit zur Erholung und Mauser brauchen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_615.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)